Carola Grey
The Drummer is a Woman
(2000)
Von Hans-Jürgen Schaal
Carola Grey ist viel herumgekommen - geographisch wie stilistisch. In den New Yorker Jazzclubs "Visiones" und "Birdland" trat sie mit ihrer eigenen Jazz-Combo auf. Auf indischen Festivals spielte sie zusammen mit Meistern der indischen Musik. Quer durch die USA ging sie mit einer Female Gothic Rock Band auf Tournee. Sie stand auf Bühnen in Djakarta, Thailand und Singapur, flog in Japan aus einer Tour-Band, hat drei eigene CDs gemacht, tourte mehrfach durch Europa, experimentiert in München mit Live-Elektronik und produziert Popmusik. Und nicht zu vergessen: Diese junge Dame spielt Schlagzeug - gemeinhin das Instrument der hechelnden Swing-Schläger und dröhnenden Rock-Giganten. Für Carola Grey ist die Trommel jedoch eher ein Ritual-Instrument: "Sie zapft die Energie an, auf der alles aufbaut."
Angefangen hat es in einer Schülerband. Da blies einer das Saxophon, hatte einen jazzbegeisterten Vater und gründete mit Schulfreunden eine Gruppe. Am Schlagzeug: ein 14-jähriges Mädchen. Kurse in Burghausen wurden belegt, mit 17 hatte Carola die erste eigene Band ("meine Blakey-Phase"), dann folgte die Formation Minorswan - zusammen mit einigen anderen Young Lions der Münchner Szene. Mit 7 Jahren begann Carola das Klavierspielen, mit 19 gab sie es auf: Das Beethoven-Üben hatte ihr eine Sehnenscheiden-Entzündung eingebracht. Die Tastatur blieb ihr dennoch nahe: Wenn sie Jazz komponiert, denkt sie pianistisch; wenn sie mit Elektronik arbeitet, ist das Keyboard Voraussetzung.
Komposition, Harmonik, Arrangieren, Gehör: Das waren die Schwerpunkte ihres Studiums an der Musikhochschule in Köln, wo Joachim Ullrich von der Kölner Saxophon Mafia ein prägender Lehrer wurde. Fürs Schlagzeug war das Studium weniger wichtig; da lernte sie mehr, indem sie sich im Zimmer einschloss, viele Stunden lang übte ("die Carola-übt-endlich-Phase"). Die Kommilitonen ließen sie auch deutlich spüren, was sie von einer Frau am Schlagzeug hielten: "Ich habe zweieinhalb Jahre lang fast gar nicht gespielt. Das war ziemlich scheußlich."
Eine Frau an den Trommeln ist ein seltener Anblick geblieben - trotz Cindy Blackman, Terri Lyne Carrington, Marilyn Mazur. Ist die Trommel ein Symbol des Patriarchats? "Es gibt weibliche und männliche Energie", sagt Carola Grey, "und jeder Mensch hat von beiden etwas. Es gibt Männer, die spielen sehr weiblich. Es gibt Frauen, die sehr männlich spielen. Es geht da ja nicht nur ums Reinhauen, sondern darum, wann man was spielt: Man kann auf verschiedene Weise dominieren - brachial oder subtil. Alle guten Schlagzeuger haben da eine Balance gefunden. Und dann ist es egal, ob Mann oder Frau. Mit Kung Fu ist es ganz dasselbe: Da brauchst du innere Kraft und Kontrolle, Weichheit und Härte zugleich."
Selbst im kosmopolitischen New York gab es Musiker, die mit der Tatsache, dass der Drummer eine Frau war, nicht recht umgehen konnten. Eigentlich war ja nur ein Test-Semester an der New School geplant, doch am Ende wurden daraus fünfeinhalb Jahre New-York-Aufenthalt inklusive Drummers' Collective, DAAD-Stipendium, Plattenaufnahmen, Studium der indischen Musik. Die begabte junge Schlagzeugerin aus Germany kam in Jam-Sessions hinein oder an die (meist schlecht bezahlten) Restaurant-Gigs. Und sie fand einen hervorragenden Mentor in Billy Hart, der mit ihr in Konzerte ging, alles kommentierte, die geschichtlichen Zusammenhänge erläuterte. "Das war besser als jeder Unterricht", sagt Carola heute. "Billy ist immer offen für neue Rhythmen und Tricks, die er dann in sein Spiel einbaut und in seinem Sinn weiterentwickelt."
In New York entstanden die ersten CDs unter eigenem Namen, "Noisy Mama" und "The Age Of Illusions", hochkarätige Mainstream-Aufnahmen mit komplexen Schikanen. Weltklasse-Musiker wie Mike Stern, Craig Handy, Ravi Coltrane oder Lonnie Plaxico ließen sich für Carolas originelle und fordernde Musik gewinnen. Bassist Ron McClure leistete einige organisatorische Hilfestellung bei der ersten Platte. Fast gleichzeitig gab es "Maria Excommunikata", die Frauen-Rock-Band, die auch einen Videoclip produzierte ("Ocean") und kurz vor dem großen Deal mit Columbia stand. Nur leider stellten sich wiederholt Probleme mit den Sängerinnen ein, und die Band zerbrach. Schade für Carola, aber vielleicht ein Glück für den Jazz.
Dass sie 1996 nach München zurückging, war daher wiederum eher ungeplant. Hier nutzte sie die Chance, in Ruhe zu arbeiten und zu produzieren, was nach den hektischen Jahren in New York guttat. Doch die Kontakte nach drüben bleiben, eine endgültige Entscheidung zwischen Bayern und Amerika ist noch nicht gefallen. Die dritte CD, "Girls Can't Hit", wurde in Bonn eingespielt, mit deutschen Musikern, und markierte eine Wende hin zur jazzrockigen Fusion - für Schlagzeuger immer eine besondere Herausforderung. Nicht umsonst zählt Carola auch Fusion-Drummer wie Omar Hakim, Dennis Chambers und Dave Weckl zu ihren Einflüssen. Vor allem Musiker-Magazine und die Schlagzeug-Industrie reagierten begeistert auf Carolas Bekenntnis zum Jazz-Rock.
Für sie selbst war die dritte CD zugleich der Einstieg in ein ganz neues Abenteuer: das elektronische Experimentierfeld von Ambient und Drum&Bass. Am Anfang war da nur ein Keyboard, ein Midi-Kabel, ein Atari und die Frage: Was macht man eigentlich damit? Alles war zunächst neu - das Mischen, die Arbeit am Computer, Fragen der Delay-Zeit und des Hallraums -, und die Wohnung verwandelte sich zusehends in ein Studio. "Anfangs hatte ich null Ahnung. Ich erlebte schlaflose Nächte und stand kurz davor aufzugeben. Es ist ein langer Weg bis zu dem Punkt, wo man kreativ werden kann und die Technik vergißt. Man muß dann mehr wie ein Produzent denken - musikdienlicher. Ich denke in Farben, ich sehe Klänge als Farben." Wenn sie heute CDs hört, dann meistens Pop- und Dancefloor-Scheiben: Der Aspekt des Produzierens wird immer wichtiger.
Inzwischen hat Carola auch begonnen, mit der Elektronik live zu arbeiten: Ein neuer Bereich kreativer, spontaner Freiheit tat sich da auf, offen für Jazz, Drum&Bass-Grooves, Indisches, was auch immer. "Das ist wie Free Jazz", sagt Carola. Wenn sie in New York ist, besucht sie derzeit nur noch Ambient-Konzerte: Dort trifft man neuerdings viele aufgeschlossene Jazzmusiker. Zweifellos werden da Barrieren abgebaut: Elektronik verwischt die Grenze zwischen den Dance-Clubs und den Jazz-Experimenten. "Das ist nötig, um den Jazz am Leben zu erhalten", glaubt Carola. "Miles würde heute dasselbe tun."
© 2000, 2003 Hans-Jürgen Schaal
© 2000 Hans-Jürgen Schaal |