„Smoke On The Water“, „Dark Side Of The Moon“, „Stairway To Heaven“: Die Rockmusik der siebziger Jahre ist Legende. Sänger, meist langhaarig und nacktbrüstig, hechteten damals kreischend über die Bühne, Gitarristen schlugen jeden Abend ihre Gitarre in Fetzen, Keyboarder schaukelten die Hammondorgel, bis sie jaulte, Schlagzeuger trommelten sich in viertelstündigen Soli zur Erschöpfung.
Aber Bläser? Bläser im Seventies-Rock?
Doch, es gab sie – und in rauen Mengen! Für unseren Autor sind sie aus der Rockmusik überhaupt nicht wegzudenken.
On a Stairway to Heaven
Bläser in der Rockmusik der 70er-Jahre
(2007)
Von Hans-Jürgen Schaal
In den sechziger Jahren entdeckten Londons Musiker den schwarzen amerikanischen Blues: Das war der Anfang der britischen Rockszene. Ob Colosseum, Cream, Taste, Manfred Mann, Led Zeppelin, Jethro Tull, Fleetwood Mac: Sie alle begannen als weiße Bluesbands, als Bluesrocker. Die Blues Harp (Mundharmonika) steckte bei so manchem frühen Rocksänger daher schon in der Gesäßtasche und fand so den Weg in klassische Rocksongs. Die Liste der prominenten Rocksänger, die sich als Bläsersolisten auf der Blues Harp profilierten, ist eindrucksvoll. Hier nur ein paar: Ian Anderson, Jack Bruce, Rory Gallagher, Ian Gillan, Mick Jagger, John Mayall, Ozzy Osbourne, Robert Plant.
Ian Gillans bekannteste Blues-Harp-Einlage bei der Band Deep Purple sind zwei 12-taktige Chorusse in „Lazy“ (1972). Obwohl kein Harmonika-Virtuose, gibt Gillan dem Stück damit einen unerwarteten Schuss charakteristischer Blues-Atmosphäre. In einer witzigen Live-Fassung auf dem Album „Made In Japan“ verrät sein Solo deutlich Spielfreude und technisches Können. An das schauerliche Western-Feeling von „Spiel mir das Lied vom Tod“ erinnern dagegen die Blues-Harp-Einleitungen in Black Sabbaths „The Wizard“ (1970), gespielt von Ozzy Osbourne, oder Supertramps „School“ (1974), gespielt von Ray Davies. Osbournes Harp übernimmt zusammen mit der Gitarre sogar das Haupt-Riff (in a-moll) und erweist sich damit als rundum Hardrock-tauglich.
Echte Blues-Forscher waren die Musiker von Canned Heat, die im Mai 1970 sogar ein Album mit der Blues-Legende John Lee Hooker aufnahmen. Schon zwei Jahre vorher schlugen Canned Heat mit dem Doppelalbum „Living The Blues“ die Brücke vom authentischen Blues zur kalifornischen Psychedelik. Das Stück „Parthenogenesis“ ist eine 19-minütige Suite aus 9 Miniaturen, und in zweien davon dominiert die Blues Harp. Der Harmonika-Virtuose ist Al („Owl“) Wilson (1943-1970), bekannt auch durch seine helle Gesangsstimme und seine wissenschaftlichen Analysen schwarzer Bluesmusik. Die Miniatur „Five Owls“, ein schneller instrumentaler Blues mit Rhythmusgruppe, erinnert an Milt Jacksons Jazz-Standard „Bags’ Groove“ und setzt mehrere Blues Harps im Playback ein. Die Miniatur „Raga Kafi“ ist eine ohne Time gespielte Mundharmonika-Fantasie, von einer indischen Tanpura begleitet: Blues Harp goes Hippieland.
1. Pied Pipers
Manche Rocksänger verwendeten auch die Querflöte für kleine Einlagen. Die bekannteste und meistgenannte „Flötenstelle“ des Seventies-Rock – das Intro zu Led Zeppelins „Stairway To Heaven“ – zählt allerdings nicht dazu: Hier war das Mellotron am Werk. Immer die Flöte griffbereit hatte dagegen Peter Gabriel, der Leadsänger der Band Genesis (bis 1975) und spätere Worldmusic-Förderer. Unvergesslich sind die Flötentöne am Anfang des Song-Dramas „The Musical Box“ (1972). Aber auch in anderen frühen Genesis-Songs – „The Knife“, „Get ‘Em Out By Friday“, „Supper’s Ready“ – liefert Gabriel in nachdenklichen Zwischenspielen ein paar reizvolle Melodie-Variationen.
Als vollwertiges Rock-Instrument – mit Folk-Bezügen – erklingt die Querflöte seit fast 40 Jahren bei der englischen Band Jethro Tull. Ihr Leader Ian Anderson ist Komponist, Texter, Sänger, Flötist und Showman, spielt zudem akustische Gitarre, Mandoline, Saxofon, Mundharmonika und vieles mehr. Dass die Flöte zum Führungs-Instrument und Markenzeichen einer Rockband werden konnte, verdankt sich Andersons spezieller Art, sie zu blasen: Er summt, singt, spricht, stöhnt und sabbert in sein Instrument und gewinnt dabei die Intensität eines Jazz-Saxofonisten. Abgekupfert hat er diese Techniken beim Jazzmusiker Rahsaan Roland Kirk (1936-1977), mit dessen „Serenade To A Cuckoo“ Anderson angeblich das Flötenspiel lernte. Ausführlich hört man Andersons Flöte in Aufnahmen wie dem teilweise unbegleiteten „My God“ (1971 auf „Aqualung“), dem jazzigen Live-Duett „By Kind Permission Of“ (1972 auf „Living In The Past“) oder der aus „My God“ entwickelten „Flute Improvisation“ (1978 auf „Bursting Out“).
Ebenfalls ein Allround-Musiker ist der Sänger, Flötist, Keyboarder und Kunstpfeifer Thijs van Leer. Er gründete 1969 die holländische Rockband Focus („Sylvia“, „House Of The King“, „Hocus Pocus“), bei der sowohl klassische wie Jazz-Einflüsse anklingen. Van Leers Spektrum als Flötist reicht dementsprechend von barock anmutenden Melodien über hinreißend melancholische Improvisationen bis hin zu heißen Ian-Anderson-artigen Rock- und Jazzsoli. Obwohl sie ein markantes Element im Rock-Jazz-Klassik-Mix von Focus ist, dominiert die Flöte nicht den Bandsound: Nur bei etwa der Hälfte der Stücke kommt sie überhaupt zum Einsatz. Die ausgedehntesten Flöten-Soli finden sich in zwei über 10-minütigen Live-Aufnahmen des Stücks „Answers? Questions! Questions? Answers!“ aus den Jahren 1972 und 1973.
Und noch ein singender Bandleader, der hin und wieder zur Flöte griff: die britische Musikerin Jill Saward. Leider gründlich vergessen ist ihre hörenswerte Rockband Fusion Orchestra, die nur ein einziges Album vorlegte: „Skeleton In Armour“ (1973). Darauf ist Saward als ekstatische Sängerin, vielseitige Keyboarderin und an der akustischen Gitarre zu hören – und eben auch mit drei Flötensoli. Das längste – im Stück „Talk To The Man In The Sky“ – dauert etwa eine Minute. Ihr Stil ist von Ian Anderson beeinflusst und konzentriert sich auf stimmlich verstärkte, überblasene und tremolierte Töne. Jill Saward wurde später als Sängerin der Funk-Disco-Band Shakatak bekannt.
2. Sax Appeals
In den bluesig-jazzigen Anfängen der englischen Rockszene gehörten Saxofone zum Alltag. Schon der Urvater des britischen Rock, Graham Bond, war ursprünglich Jazz-Saxofonist. Beim frühen Manfred Mann sorgte Mike Vickers für soulige Sounds an Sax und Flöte, bevor er sich mehr der Gitarre widmete. Auch der Gitarrist und Sänger Rory Gallagher griff hin und wieder zum Sax („It Happened Before“, 1970). Allerdings lässt sich ein Saxofon vom Leadsänger nicht so locker nebenbei einsetzen wie eine Blues Harp oder Flöte: Da braucht man dann schon einen saxofonistischen Hauptsachverständigen. Auch das gab es: Saxofonspieler als vollwertige Mitglieder in Rockbands.
Der vielleicht bekannteste war Dick Heckstall-Smith (1934-2004), ein gelernter Jazzer, Pionier der englischen Bluesrock-Szene (Graham Bond, Alexis Korner, John Mayall, Jack Bruce) und Mitbegründer der Band Colosseum. Auch Heckstall-Smith hat sich von Rahsaan Roland Kirk etwas abgeschaut, nämlich das Spiel auf zwei Saxofonen gleichzeitig. Vor allem sein raues, kräftiges Tenorsax war ein integraler Bestandteil des bluesrockigen Colosseum-Sounds. Auf dem Debüt-Album der Band, „Those About To Die Salute You“ (1969), hat er fast in jedem Stück eine längere Improvisation und im „Backwater Blues“ ein besonderes Highlight. Auf „The Valentyne Suite“ (1970) gibt er dem Titelstück zeitweise eine Coltrane-Färbung; in der kurzen Nummer „Elegy“ kommt er außerdem mit einem schönen, sanglichen Sopransolo zu Wort. Am ausführlichsten hört man ihn natürlich auf dem Konzertalbum „Colosseum Live“ (1971) – mit „Tanglewood ’63“ als witzigem Saxofon-Feature. Auf der letzten Studioplatte der originalen Colosseum, „Daughter Of Time“ (1971), wurde Heckstall-Smith teilweise durch die Saxofonistin und Flötistin Barbara Thompson ersetzt, die später als Jazzmusikerin Karriere machte.
Auch Elton Dean (1945-2006) war einer der Saxofon-Pioniere im Seventies-Rock. Eigentlich im experimentellen Jazz zu Hause, gehörte er auf drei Alben (1970-1972) zur Stammbesetzung der britischen Psychedelic-Rockband Soft Machine. Diese Avantgarde-Formation verzichtete auf E-Gitarren und stellte stattdessen die Keyboards und Bläserfarben in den Mittelpunkt. Mit seinen freejazzigen Altsax-Soli ist Dean zwar der wichtigste, aber nicht der einzige Bläsersolist; zu den Studiogästen gehören Nick Evans (Posaune), Mark Charig (Kornett) und Jimmy Hastings (Flöte, Bassklarinette), Musiker aus der Band des Jazzpianisten Keith Tippett. Die gelegentlichen Bläsersätze bewegen sich zwischen jazzig und zappaesk.
Im gleichen Musiker-Umfeld startete 1969 die Band King Crimson, mitbegründet vom Saxofonisten Ian McDonald. Auf dem ersten Album, „In The Court Of The Crimson King“, spielt McDonald rockende Sax-Riffs („21st Century Schizoid Man“), sanfte Flötentöne („Talk To The Wind“) und im Playback auch mal ein kleines Bläserensemble („Epitaph“). Außerdem ist er für Vibrafon, Mellotron und Keyboards zuständig. Sein Sax hörte man in den Siebzigern im T.Rex-Hit „Get It On“ (1971), in King Crimsons Song „Starless“ (1974) oder bei der Rockband Foreigner (1977-1979).
Bei King Crimson machte McDonald schon auf der zweiten Platte Platz für Mel Collins. Zwischen 1970 und 1972 liefert Collins bei King Crimson die kräftigen Bariton-Vamps, die schönen Flötensoli („Cadence And Cascade“, „Lady Of The Dancing Water“, „Formentera Lady“), kleine Saxofonsätze (z.B. in „Indoor Games“) oder auch die hübsche Tenorsax-Einlage in „Ladies Of The Road“. Zuweilen wird auch er von den Bläsern der Tippett-Truppe unterstützt – etwa Mark Charig und Nick Evans – oder dem klassischen Oboisten Robin Miller: Im Titelstück des Albums „Lizard“ gerät das Bläser-Fest zur Free-Jazz-Orgie. Die wildesten Tenorsoli von Collins hört man auf der Live-Platte „Earthbound“, die Anfang 1972 auf USA-Tournee entstand. Zwei Jahre später treffen sich Collins, McDonald, Charig und Miller noch einmal auf dem King-Crimson-Album „Red“. Mel Collins’ Saxofon- und Flötenspiel war in den Siebzigern allgegenwärtig: Er gehörte zur Band Camel (ab 1977) und spielte innerhalb weniger Jahre auf Platten von Joan Armatrading, Bad Company, Eric Clapton, Bryan Ferry, Humble Pie, Alexis Korner, Alvin Lee, der Rolling Stones oder Uriah Heep. Schon 1970 hatte er sogar – als Bläser! – eine eigene Rockband namens Circus.
Auch die deutsche Funk-Rock-Formation Kraan leistete sich jahrelang (1971-1976) einen Vollzeit-Saxofonisten: Johannes Pappert. Ausführlich kann man sein Altsaxofon auf dem Doppelalbum „Kraan Live“ hören (1974). Leider benutzt Pappert hier eine elektrische Verstärkung, sodass der Sound seines Instruments eher einer elektrischen Violine oder einem Synthesizer ähnelt. Ungleich populärer wurde John Helliwell, ab 1974 Saxofonist der ursprünglich britischen Band Supertramp. Seine kompakten, reifen Solo-Statements und Ausschmückungen zieren Hitsongs wie „Bloody Well Right“, „Breakfast In America“, „Crime Of The Century“ oder „The Logical Song“. Damit ihm zwischen den Bläsereinsätzen im Konzert nicht zu langweilig wurde, übernahm er außerdem die Bühnenansagen.
Bekannt für ihr breit gefächertes Instrumentarium (und ihre ständig wechselnden Stilistiken) war die britische Artrock-Band Gentle Giant. Die drei Brüder Derek, Ray und Phil Shulman gründeten sie 1970 in London. Phil Shulman war der Saxofonist im Ensemble und auch für andere Blasinstrumente wie Trompete und Mellofon zuständig. Sein Spektrum bei Gentle Giant reichte von mittelalterlich anmutenden Fanfaren bis hin zu rockenden Motiven. Im Stück „The Moon Is Down“ ist er dank Playback auch mal auf mehreren Saxofonen gleichzeitig zu hören. Nach seinem Ausscheiden 1973 wurden gelegentliche Saxofon-Aufgaben von seinem Bruder Derek übernommen, dem Sänger der Band. Gentle Giant hatten übrigens eine bläserische Spezialität im Programm, die in der Rockmusik ziemlich einmalig sein dürfte: das Blockflöten-Ensemblespiel.
3. Heavy Horn Sections
Ein Bläser ist genug? Aber nein: Einige Rockbands der Siebziger leisteten sich sogar eine „horn section“ als festen Bestandteil der Gruppe. Besonders in den USA lag dieser Schritt angesichts der allgegenwärtigen Jazz- und Soul-Bläsersätze nahe. Zum kurzlebigen Septett The Flock aus Chicago gehörten drei Bläser: der Trompeter Frank Posa und die beiden Saxofonisten Rick Canoff und Tom Webb. Auf dem Debütalbum (1969) gibt es sogar eine Kollektivimprovisation der Bläser zu bestaunen („Clown“) und im langsamen Blues „Truth“ auch mal originellere Bläsersätze. Auf der zweiten Platte „Dinosaur Swamps“ glänzt der Trompeter in drei Titeln. Wesentlich erfolgreicher war die Band Chicago mit der – bis heute konstanten – Bläsersektion aus Lee Loughnane (Trompete), James Pankow (Posaune) und Walter Parazaider (Sax, Flöte). Chicago begann als Progrock-Band mit verblüffenden, voll in die Musik integrierten Bläserparts, hatte aber auch Hit-Singles mit zupackenden Bläsersätzen oder Solo-Features, etwa „Just You ’N’ Me“ (1973) mit Sopransax-Solo oder das flötenlastige „Colour My World“ (1970).
Personell weniger konstant war die 1967 gegründete Formation Blood, Sweat & Tears, doch ein hochkarätiger Bläsersatz – meist fünfstimmig und mit namhaften Jazzmusikern durchsetzt – gehörte immer dazu. Unter den Bandmitgliedern in den Siebzigern waren die Trompeter Lew Soloff und Chuck Winfield, die Posaunisten Dick Halligan (auch Flöte), Jerry Hyman, Dave Bargeron und Tom Malone sowie die Saxofonisten Fred Lipsius und Lou Marini. Selbst die großen Pop-Hits der Band wie „Spinning Wheel“ boten heiße Jazz-Soli (hier: Lew Soloff). Malone und Marini wurden Ende der Siebziger auch mit der Blues-Brothers-Band bekannt.
Nur selten auf Bläser verzichtet hat der legendäre Frank Zappa, da er seine Musik möglichst komplex und vielstimmig umsetzen wollte. Schon The Mothers Of Invention, Zappas revolutionäre Underground-Band (1966-1969), verfügten mit Ian Underwood, Bunk Gardner, Jimmy Carl Black und Euclid Sherwood über gleich vier Multi-Instrumentalisten für Holzbläser-Einsätze. Ian Underwood arbeitete (auch als Keyboarder und Gitarrist) bis 1973 mit Zappa: Sein Saxofon soliert komödiantisch in „Holiday In Berlin, Full Blown“, kakofonisch in „Toads Of The Short Forest“, elektrisch verstärkt in „Chunga’s Revenge“. Die jazzigsten Zappa-Platten (um 1972) sind teils wilde Bläser-Partys: Sal Marquez (Trompete), Bill Byers (Posaune) und Ernie Watts (Saxofon) haben hier ausgedehnte Solo-Features. Auf dem Album „The Grand Wazoo“ wächst die Bläser-Sektion teilweise auf bis zu 11 Musiker an. In den folgenden Jahren konnte sich bei Zappa auch der Posaunist Bruce Fowler profilieren.
Das europäische Gegenstück zu US-Bands wie Chicago und Blood, Sweat & Tears war die britische Formation If (1969-1975), mitbegründet von Dick Morrissey (1940-2000), einem damals schon arrivierten Jazz-Solisten (Saxofone, Flöte). Zusammen mit Dave Quincy spielte er bei If recht unkonventionelle Saxofonsätze; die bläserisch interessantesten Stücke waren natürlich Instrumentals wie das Bläser- und Drums-Feature „Fibonnaci’s Number“. Auch die niederländische Formation Ekseption begann mit jazz- und soulgefärbten Bläser-Arrangements, bevor sie ihre ureigene Masche entdeckte: die Rockjazz-Bearbeitung klassischer „Hits“ von Bach, Beethoven oder Tschaikowsky. Co-Leader von Ekseption war der Trompeter Rein van den Broek, der in dieser (meist gitarrenlosen) Musik viele Aufgaben hatte: als Satzführer in raffinierten Riffs, als lyrischer Melodiker („Air“) und als Jazzsolist („The Lamplighter“). Ihm zur Seite stand – an Sax und Flöte – zunächst Rob Kruisman, dann Dick Remelink. Bläserische Verstärkung kam gelegentlich von Tony Vos (Saxofon) und Erik van Lier (Posaune, Tuba).
Neben den Bands mit integrierten Bläsern gab es auch immer wieder Spezialprojekte, für die Bläsergruppen als Gäste engagiert wurden. Berühmtes Beispiel: das Doors-Album „The Soft Parade“ (1969) mit afroamerikanischen Solisten wie Curtis Amy (Sax) und George Bohanon (Posaune). Oder John Mayalls „Moving On“ (1972) mit fünf Jazzbläsern, darunter Ernie Watts (Sax) und Blue Mitchell (Trompete). Oder man denke an Paul Simons Song-Arrangements: Randy Brecker, Michael Brecker, Dave Sanborn, Eddie Daniels oder auch Fred Lipsius (Blood, Sweat & Tears) spielen bei Simon gelegentlich im Bläsersatz; mal lässt er sich auch von der Onward Brass Band aus New Orleans oder den Flöten von Los Incas begleiten. Die Band Santana lieh sich für den Song „Everybody’s Everything“ (1971) einfach die Bläser der Soul-Formation Tower Of Power aus, die als selbstständige Horn Section auch bei Elton John, Rod Stewart, den Rolling Stones und vielen anderen zum Einsatz kamen. Eine mobile Bläsertruppe leitete auch der Saxofonist Bobby Keys, der bis 1973 häufig bei den Rolling Stones zu hören war. Um 1980 starteten zudem die Uptown Horns (USA) und die Kick Horns (UK).
Als die britischen Bands ihre Artrock-Ambitionen entdeckten (den Anfang machten die Beatles mit „Sergeant Pepper’s“ 1967), kam es auch zu Bläser-Abenteuern, die über bloße Horn-Section-Engagements weit hinausgingen. Die Band Uriah Heep bestellte für ihr 16-minütiges Opus „Salisbury“ (1970) umfangreiche Blasorchester-Arrangements beim Filmkomponisten John Fiddy. Die Kollegen von Pink Floyd verwendeten im gleichen Jahr im 24-minütigen „Atom Heart Mother“ ein Blechblasorchester, Solo-Streicher und einen gemischten Chor. Der Keyboarder von Deep Purple, Jon Lord, wurde sogar wiederholt von orchestralen Ambitionen geplagt. Schon der Mittelteil von „April“ (1969) ist eine kleine Kammermusik für 7 Bläser und 5 Streicher. Auch in Lords „Concerto For Group And Orchestra“ (1970) mit dem Royal Philharmonic Orchestra gibt es hübsche Stellen für Klarinette und Hörner (1. Satz), Englischhorn und Flöten (2. Satz) und den Blechsatz (3. Satz). Unter eigenem Namen veröffentlichte Lord weitere Rock-mit-Orchester-Experimente auf „Gemini Suite“ (1971), „Windows“ (1974) und „Sarabande“ (1975). Eine ganz besondere Brass Section besaß die Band The Who: ihren Bassgitarristen John Entwistle (1944-2002). Bei Studioprojekten (z.B. „Quadrophenia“ 1973) setzte er die Bläser-Arrangements höchstpersönlich um, auf Trompete und Waldhorn.
4. Solo-Perlen
Frage: Was haben Raphael Ravenscroft, Michael Brecker und Dick Parry gemeinsam? Antwort: Sie spielten – als Freelancer und Studiomusiker – einige der meistgehörten Saxofonsoli der siebziger Jahre. Ravenscroft ist der Bläser in Gerry Raffertys Hit „Baker Street“ (1978), wo er ein mehrfach wiederkehrendes 8-taktiges Motiv spielt, fast ohne Variation. Ravenscroft wurde als Solist später auch von Mike Oldfield, Pink Floyd und anderen geholt. Der wahrscheinlich meistbeschäftigte Studio-Saxofonist des 20. Jahrhunderts war Michael Brecker (1949-2007). Er ist – neben seinen unzähligen Jazzaufnahmen – auf buchstäblich Hunderten von Pop-, Soul- und Rockstücken verewigt, unter anderem bei Patti Austin, Blue Oyster Cult, James Brown, Eric Clapton, Natalie Cole, Dire Straits, Aretha Franklin, Michael Franks, Art Garfunkel, Elton John, Chaka Khan, Gladys Knight, John Lennon, Bette Midler, Joni Mitchell, Robert Palmer, Esther Phillips, Lou Reed, Diana Ross, Todd Rundgren, Carly Simon, Frank Sinatra, Ringo Starr, Steely Dan, James Taylor, Luther Vandross, Frank Zappa... Eines seiner sanglichsten Kurz-Soli blies er für Paul Simon auf der Hit-Ballade „Still Crazy After All These Years“ (1974).
Weniger breit gefächert ist das Tätigkeitsfeld von Dick Parry, einem Jugendfreund des Gitarristen David Gilmour. Doch mit ein paar Solo-Features auf Pink-Floyd-Platten eroberte Parrys Sound die Ohren der Welt. Erstmals trat er auf dem Album „Dark Side Of The Moon“ in Erscheinung: Mit seinem rauen Tenorsax powert er den 7/4-Takt von „Money“ hoch und darf zur Belohnung in „Us And Them“ auch sanftere Töne anschlagen. Das Highlight folgte auf dem Album „Wish You Were Here“: Da gehören ihm die letzten beiden Minuten von „Shine On You Crazy Diamond (Part One)“, wo er die Steigerung durch den Wechsel vom Bariton- aufs Tenorsax schön unterstreicht. In den Neunzigern durfte er auf dem Pink-Floyd-Album „The Division Bell“ nochmals ran.
Etliche Jazzbläser haben sich in den Siebzigern mit solchen Rock- und Pop-Features ein kleines Zubrot verdient. Hier zum Abschluss einfach noch ein paar Namen: Jules Broussard (z.B. Santana: „Mother Africa“), Jon Faddis (z.B. Paul Simon: „Oh Marion“), Joe Farrell (z.B. Santana: „When I Look Into Your Eyes“), Chuck Findley (z.B. Joni Mitchell: „Twisted“), Jerome Richardson (z.B. Steely Dan: „Dirty Work“), Tom Scott (z.B. Carole King: „Jazzman“), Phil Woods (z.B. Paul Simon: „Have A Good Time“).
© 2007, 2010 Hans-Jürgen Schaal
NACHTRAG
Einige Stücke mit Bläsern, die im Text nicht erwähnt sind:
Alan Parsons Project: Doctor Tarr And Professor Feather (mit Blockflöten)
Mike Oldfield: Tubular Bells (mit diversen Flöten
Mike Oldfield: Hergest Ridge (mit Oboen und Trompete)
Pink Floyd: Summer '68 (mit Blechbläsergruppe)
Uriah Heep: Prima Donna (Bläsersatz mit Mel Collins)
© 2007 Hans-Jürgen Schaal |