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Krimis und Jazz, eine bewährte Kombination. Die netten Jazzmusiker, die ich näher kenne, haben zwar rein gar nichts Kriminelles, Verruchtes oder Gefährliches an sich, aber die Klischees sind nicht auszurotten. Das Nachtklub-Milieu, Drogen und Mafia, die New Yorker Kriminalitätsrate: Jazz und Tod gehören irgendwie zusammen.

Jazz, Tod und Teufel
Was verraten uns Jazz-Romane?
(2004)

Von Hans-Jürgen Schaal

Bill Moodys detektivischer Pianist Evan Horne kümmert sich notorisch um Jazz-Tote und bringt sich damit auch in Amsterdam in Gefahr. „Auf der Suche nach Chet Baker“ ersetzt eine Baker-Biografie und bereitet außerdem reichlich Lesespaß. Die „Anzugtypen von der Plattenfirma“, für die Baker seine letzte Aufnahme machte, sind allerdings frei erfunden. Auch Christian Gaillys zweiter Jazzroman, „Ein Abend im Club“, befasst sich mit Jazz und Tod. Ein ehemaliger Jazzpianist wird rückfällig und opfert sein bisheriges Leben der großen Verführung. Die Figuren heißen Bill, Scott, Paul, Nardis und Debbie: eine Hommage an Bill Evans und, nebenbei gesagt, kein Roman, sondern eine schulmäßige, rundum gelungene Novelle. Der französische „Tod in Venedig“.

Jazz und Kriminalistik haben noch einen anderen Berührungspunkt: Wer kennt nicht den detektivischen Ehrgeiz der Jazzfans, Musiker am ersten Ton zu erkennen, seltene Stücke zu identifizieren, schwer zugängliche Platten aufzutreiben? Der wahre Freak ist immer auch eine Art Sherlock Holmes. Wer je die Entstehungs- und Interpretations-Geschichte eines Jazz-Standards recherchieren musste, weiß, was ich meine. Auch Michael Cuscuna weiß es, der jahrelang die Hinweise der Musiker in seinem Ermittlungsbuch notiert hat, um dann in den Katakomben von Blue Note auf Schatzsuche zu gehen. Vielleicht mögen Kriminalbeamte auch deshalb den Jazz – jedenfalls in Krimis. Ganz besonders begabt sind da die Krimi-erprobten Schweden. In Arne Dahls „Misterioso“ weiß die Polizistin der Sonderkommission auswendig, wann Monks Live-Album „Misterioso“ aufgenommen wurde und wer darauf Schlagzeug spielt. Solche Frauen sind mir im Zivilleben noch nie begegnet. Ein obskures, unveröffentlichtes Monk-Stück bringt dann die Ermittlungen in Gang. Genau wie im Leben eines Jazz-Journalisten.

Uwe Timms Roman „Rot“ verrät, dass Jazz-Journalisten nebenher einen ordentlichen Broterwerb brauchen, in diesem Fall einen Job als Leichenredner. Aber ein Porträt über Charlie Parker, wie es die Hauptfigur schreibt, ist ja etwas ganz Ähnliches. Auch hier: Jazz und Tod, von letzterem deutlich mehr. Als heiteren Nachruf auf Volker Kriegel gibt es nun die Taschenbuch-Ausgabe von dessen Bildergeschichte „Erwin mit der Tröte“. Der musikalische Nasenbär, in den hin und wieder der Geist Charlie Parkers fährt, ist momentan mein Lieblingsmusiker. Jedenfalls unter den fiktiven.

Buchhinweise:
Bill Moody: Auf der Suche nach Chet Baker, Unionsverlag, Zürich 2004. Christian Gailly: Ein Abend im Club, Berlin Verlag, Berlin 2003. Arne Dahl: Misterioso, Taschenbuch, Piper, München 2003. Uwe Timm: Rot, Taschenbuch, dtv, München 2003. Volker Kriegel: Erwin mit der Tröte, Taschenbuch, Heyne, München 2004.

©2004, 2010 Hans-Jürgen Schaal


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