NEWS





Zurück

Nazi-Ideologen bekämpften es als „Neger-Instrument“ – doch das Propaganda-Ministerium wollte es für die „gute deutsche Tanzmusik“ erhalten. Der absurde Streit ums Saxofon schlug in der Nazi-Zeit hohe Wellen. Gespielt wurde das Instrument weiterhin – und reichlich.

„Ein typisches Jazzinstrument“
Das Saxofon im Nationalsozialismus
(2011)

Von Hans-Jürgen Schaal

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebt Deutschland einen Kulturschock. Statt Kaiserreich und Operettenwalzer –: Republik und Foxtrott. Die Frauen tragen Bubikopf und kurze Röcke, man tanzt Charleston und Shimmy, das Jazz-Fieber greift um sich. Am Jazz aus Amerika und England und seinen Tänzen scheiden sich die politischen Geister. Für die einen bedeutet Jazz: Demokratie, Spaß, Freiheit; für die anderen: der Einbruch des Fremdartigen, Internationalen und Undeutschen, Ausdruck von Kommunismus oder Amerikanismus, von Technikglaube oder Urwald-Barbarei. Nationalistische und rassistische Kreise in Deutschland beschimpfen den Jazz als „Geschmacksverrohung“, „Dreckbazillus“ und „geistige Negerinvasion“. Wilhelm Frick, der erste Landesminister der NSDAP, erteilt für Thüringen bereits 1930 ein Jazz-Verbot.

Mitten drin in dieser Hetze gegen den Jazz steckte das Saxofon. Zwar war es schon um 1840 für die Militär- und Konzertmusik erfunden worden, doch erst in den „wilden Zwanzigern“ wurde es so richtig populär – als Jazz-Instrument! Es war geradezu das Symbol des kulturellen Umbruchs, Inbegriff der Jazz-Mode: „das wichtigste Melodie-Instrument des Jazz“ (Alfred Baresel, 1929) und „seine Seele“ (O.A. Alberts, 1931). Reaktionäre Jazz-Hasser fanden daher im Saxofon, dem vermeintlichen „Negerinstrument“, eines ihrer Lieblingsopfer. 1929 forderte die Deutsche Tonkünstler-Zeitung bereits ein „Verbot der Saxofone“. Dem national-protestantischen „Deutschen Frauenkampfbund gegen Entartung im Volksleben“ war das nicht genug: Er verlangte neben einem „Verbot von Saxofonen“ auch gleich ein Verbot von „Negertänzen“. Auch Alfred Rosenberg, Chef-Ideologe der NSDAP, schimpfte 1930 auf „das Getute der Saxofone und anderer für Niggertrommelfelle gefertigter Instrumente“. In der Zeitschrift für Instrumentenbau wurde im gleichen Jahr schon die Frage gestellt: „Hat die Bekämpfung der Jazzmusik für die Musikinstrumenten-Industrie Nachteile oder Vorteile?“

„Saxofon kommt von Kohn“

Auch sogenannte „Musik-Fachleute“ waren sich nicht zu schade, in die mit rassistischen Tönen durchsetzte Polemik gegen das Saxofon einzustimmen. Ausgerechnet die angesehene Allgemeine Musikzeitung diffamierte das Saxofon 1932 in einem ausführlichen „Traktat“ als „groteskes Instrument“, „Monstrum“, „bizarre Maschine“ und als „modulationsarmes, näselndes, nörgelndes, der Erzeugung eines falschen Sentiments in der Musik dienendes Tonwerkzeug“, das dem „Zeitgeist in Quäklauten“ Stimme gebe. Fälschlicherweise verlegte dieses „Fachmagazin“ die Entstehung des Saxofons in die Gegenwart und nach Amerika – und es fehlte dann auch nicht an nationalistischen und rassistischen Angriffen auf die Amerikaner („ein in künstlerischen Dingen so rückständiges Land wie Amerika“, „das Geröhre vertrottelter Neger“).

Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, wurde in Sachen Jazz nicht lange gefackelt. Die Radiostation „Funk-Stunde Berlin“, später „Reichssender Berlin“, verkündete noch im gleichen Jahr ein Jazzverbot. Selbst die von Mátyás Seiber geleitete Jazzklasse an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt/Main wurde umgehend aufgelöst. Als die Musikerzeitschrift „Der Artist“ noch einmal betonte, dass das Saxofon „ein typisches Jazzinstrument“ sei, klingelten bei allen Saxofonisten in Deutschland die Alarmglocken. Viele stellten ihr Instrument stumm in die Ecke, versuchten es zu verkaufen oder wanderten mit ihm aus.

Selbst der Wuppertaler Konzert-Saxofonist Sigurd Raschér, der keinerlei Jazz-Ambitionen hegte, bekam die Feindschaft gegen sein Instrument zu spüren. Über einen seiner Auftritte im Februar 1933 erschien eine Rezension in der Allgemeinen Musikzeitung: Sie bezeichnete Raschér zwar als „jungen Meister“, beschrieb das „Forte“ seines Instruments aber als „unedel und lärmend, in schnellerer Bewegung geradezu grell und ordinär“. Raschér wehrte sich: In einem Magazinbeitrag kämpfte er im Mai 1933 um „Gerechtigkeit für das Saxofon“ und wies darauf hin, „dass bereits eine sehr beachtliche Literatur für den ernsten Saxofonkünstler vorliegt“. Als Beispiele nannte er die Komponisten Hindemith, Jacobi, Schreker, Schulhoff und andere – sie allerdings waren bei den Nazis als „Nicht-Arier“, „Halbjuden“ oder „jüdisch versippt“ nicht gut gelitten. Kurze Zeit später fand Raschér an der Tür seiner Wohnung einen Zettel mit antisemitischer Parole: „Saxofon – kommt von Kohn – weg davon!“ Noch 1933 verließ er Deutschland in Richtung Kopenhagen und Malmö, wo Saxofonklassen für ihn eingerichtet wurden.

„Gute deutsche Tanzmusik“

Nicht nur die Musiker hatten unter der Diffamierung des Saxofons zu leiden, auch Herstellerfirmen wie Adler, Hüller und Mönnig fürchteten um ihre Existenz. Die deutschen Saxofonfabrikanten wandten sich 1933 wegen Absatzschwierigkeiten mit einem Hilferuf ans Reichswirtschaftsministerium. Dieses wiederum fragte beim Reichspropagandaministerium an, ob man das Saxofon denn tatsächlich rundweg ablehnen müsse. Kurze Zeit später konnte das Reichswirtschaftsministerium dann in Fachzeitschriften von der Auskunft des Reichspropagandaministeriums berichten, wonach „das Saxofon an der Negermusik völlig unschuldig sei“. Demnach hatte das Reichspropagandaministerium festgestellt, das Saxofon „sei eine Erfindung des Adolf Sax und werde hauptsächlich in der Militärmusik gebraucht. Wie mit allen anderen Instrumenten könne man auch mit dem Saxofon gute Musik machen.“

Seitdem galt die Meinung, dass das Saxofon hervorragend für „gute deutsche Tanzmusik“ geeignet sei und sein Erfinder ohnehin ein Deutscher gewesen sein müsse. „Wenn es richtig gespielt wird, ohne die bisher üblichen Mätzchen (Glissando usw.), erweist es sich als ein wertvolles Hilfsmittel der Tanzmusik“, schrieb die Deutsche Kultur-Wacht 1933. Auch beim Westdeutschen Beobachter saßen 1935 echte Musikexperten: „Gegenüber den Musikreaktionären sei festzustellen, dass der Erfinder des Saxofons, Sax, ein Deutscher war.“ An der Berliner Musikhochschule wurde das Saxofonspiel tatsächlich weiterhin gelehrt – bis 1938 von Ernst Mittelbach, ab 1938 von Erich Rochow. 1937 durfte sogar die Jazz-Saxofon-Schule von Gebhardt und Manz erscheinen. Auch der Berliner Saxofonlehrer Gustav Bumcke unterrichtete – nach vorübergehenden Unstimmigkeiten mit dem Regime – ab 1940 wieder.

Die Saxofonfabrikanten konnten also zunächst aufatmen. Die Firma Keilwerth im böhmischen Kraslice, das seit dem Münchner Abkommen 1938 wieder Graslitz hieß und nun zum Deutschen Reich gehörte, wurde zum größten Saxofonhersteller in Deutschland mit 150 Beschäftigten. Im benachbarten Vogtland stiegen zwischen 1933 und 1940 sogar einige Firmen erstmals in die Saxofonproduktion ein, darunter Hess, Köhler, Schuster, Wunderlich und die MIGMA. Ein Rundfunkarchivleiter stellte 1941 fest, dass zu einem guten deutschen Tanz- und Unterhaltungsorchester einfach auch vier Saxofone gehören. Im Jahr davor wurde der Saxofonsatz im Musikkorps der Deutschen Luftwaffe sogar auf fünf Saxofone aufgestockt. Hans Hinkel vom Reichspropagandaministerium betonte 1942 noch einmal, dass das Saxofon nur „fälschlich als Negerinstrument“ bezeichnet werde.

Während die Reichsmusikkammer und Goebbels’ Propagandaministerium den psychologischen Nutzen von Musik einkalkulierten und daher zur „Großzügigkeit“ neigten, zeigten sich andere NS-Dienststellen – etwa das Amt des Rassenideologen Rosenberg mit seinem Mitstreiter Gerigk – weniger duldsam gegenüber dem Saxofon. Die Polemik ging also immer weiter: Einem Autor der Zeitschrift „Die Musik“ war „das Gedudel und Gequietsche“ des Instruments 1936 „ein Greuel“. Der Musikkritiker und Judenverfolger Gerigk verurteilte das Saxofon noch 1938 wegen seiner Nähe zu „Kapellen negroider Haltung“. Und in „Musik im Kriege“ hieß es 1943 über das Saxofon in der Konzertmusik: „Es muss doch wohl seinen besonderen Grund haben, wenn dieses Instrument in der langen Zeit seit seiner Erfindung so wenig in der höheren Musik verwertet wurde.“ Der Grund wurde auch gleich mitgeliefert: Er liegt nämlich im „weichlichen, qualligen, zuweilen ungesunden, schwülen Klang“ des Instruments.

„Lied vom blauen Ludwig“

Einig sind sich die NS-Oberen aber in der Verdammung des Jazz, der als „artfremd“, „negroid“ und „jüdisch“ gilt. Selbst die Zeitschrift für Musik schreibt 1940: „Jazz ist keine Musik, sondern eine als Musik getarnte internationale Kulturpest.“ Bereits 1935 ergeht ein allgemeines Rundfunkverbot für Jazz. Doch unterm Tarnmantel einer „deutschen Tanzmusik“ wird von den Orchestern weiterhin Jazz gespielt, vor allem in den Metropolen wie Berlin und Hamburg. Und das „typische Jazzinstrument“ Saxofon ist immer mit dabei. Während der Olympischen Spiele in Berlin 1936 können die Nazis daher vor aller Welt mit ihrer „liberalen“ Großstadtkultur protzen. Als zu dieser Zeit der Swing aufkommt, wird er von den Nazi-Musikverwaltern sogar zunächst begrüßt – als „kultivierte“ Überwindung des „primitiven“ Jazz.

Doch bald nach der Olympiade ändert sich alles. Weil der Swing-König Benny Goodman 1937 in New York für die Opfer des spanischen Bürgerkriegs auftritt, machen ihn die Nazis zum Feindbild, beschimpfen ihn als „Rattenfänger“ und „Swing-Juden“ und verbieten seine Platten. Nach den Judenpogromen im November 1938 zieht man sogar sämtliche Aufnahmen von jüdischen Musikern, Komponisten, Textern und Verlegern aus dem Verkehr. Regionale Vorschriften sollen nun Jazz und Swing unterbinden. In den Tanzlokalen hängen Schilder wie „Swing tanzen verboten“, Nazi-Spitzel spionieren die Konzerte aus, junge Swing-Fans (vor allem in Hamburg) werden von der Gestapo terrorisiert und zum Teil in Arbeitslager gesteckt. Am 1.1. 1939 wird in Pommern ein offizielles Verbot der „Swing- und Niggermusik“ erlassen: „Jaulende Orchester und swingende Paare gehören in den Urwald.“

Doch die Swing-Begeisterung in Deutschland ist nicht totzukriegen. Man jazzt weiterhin „verbotreif“, zum Beispiel in Berlin im Moka-Efti, Delphi-Palast, Sherbini-Club, Quartier Latin, Europa-Haus, Kakadu, Dorett, Weißen Raben, Imperator, Uhland-Eck, in der Scala, der Femina-Bar, der Ritz-Bar, der Rosita-Bar, der Melodie-Bar. Mit Fantasie unterlaufen die Musiker die offiziellen Verbote, sagen den „Tiger Rag“ als „Schwarzer Panther“ an, den „St. Louis Blues“ als „Lied vom blauen Ludwig“, „In The Mood“ als „In guter Stimmung“. Die absurden Vorschriften, wonach „verzerrte Rhythmen“ und „atonale Melodieführung“ untersagt sind oder der Anteil an Foxtrots und Synkopen festgelegt wird, überfordern die Nazi-Spitzel gründlich. Noch 1939 erscheinen in Deutschland Lizenzausgaben der neuesten Schallplatten von Glenn Miller und Harry James. Und als die Wehrmacht die europäischen Nachbarländer überfällt, kommen von dort immer mehr Swing-Platten und Jazzmusiker nach Deutschland.

„Entartete Musik“

Alle Versuche des NS-Regimes, abschreckend über Jazz „aufzuklären“, gingen nach hinten los. Die Anti-Jazz-Radiosendung „Vom Cakewalk zum Hot“ löste bei den deutschen Musikfans mehr Begeisterung als Abscheu aus. Die Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“ musste in Düsseldorf wegen Protesten vorzeitig geschlossen werden und wurde nur noch in zwei weiteren Städten gezeigt, nun als bloße Beigabe zur Ausstellung „Entartete Kunst“. Das Plakat der Ausstellung „Entartete Musik“ zierte natürlich ein Saxofon – in den Händen eines elegant gekleideten, als Affe karikierten schwarzen Musikers mit Judenstern. Vorbild dieses Motivs war ein bekanntes Werbebild für Ernst Kreneks Jazz-Oper „Jonny spielt auf“, gegen die die Reaktionäre schon 1927 Sturm liefen. Die Haltung von Musiker und Instrument und der schwarze Smoking waren dagegen dem von den Nazis verbotenen Otto-Dix-Gemälde „Großstadt“ entliehen.

Swing, Jazz und angejazzte Tanz- und Unterhaltungsmusik sind in Nazi-Deutschland nie verstummt. Trotz aller Anfeindungen blieb in den Tanzlokalen, Platten- und Radiostudios des Dritten Reichs daher auch das Saxofon allgegenwärtig – auch wenn mancher Saxofonist nebenher noch Klarinette oder Violine spielte. Da gab es zum Beispiel Ernst Höllerhagen (1912 bis 1956), der von sich selbst sagte: „Ich bin nicht Nationalsozialist, ich bin Saxofonist“ – und der bei Kriegsausbruch 1939 mit seinem Bandleader Teddy Stauffer Deutschland verließ. Da war Teddy Stauffer selbst (1909 bis 1991), der Schweizer Saxofonist mit amerikanischen Beziehungen, der in seiner Berliner Band immer einige gute deutsche und europäische Saxofon-Kollegen beschäftigte. Da war Erhard Bauschke (1912 bis 1945), der 1935 das Orchester des Rumänen James Kok übernahm und später ein Luftwaffen-Orchester in Norwegen leitete. Da war Eugen Henkel (1909 bis 1978), der bei Stauffer, Schütz, Brocksieper das Saxofon blies und als „Halbjude“ zeitweise mit Berufsverbot belegt wurde. Da war auch Lutz Templin (1901 bis 1973), der Goebbels’ Propaganda-Kapelle „Charlie and his Orchestra“ leitete und mit ihr Aufnahmen fürs feindliche Ausland produzierte. Mit denselben Musikern trat er aber auch als „Lutz Templin and his Ragamuffins“ im deutschen Radio auf.

Und es gab noch viele andere bemerkenswerte Saxofonisten in der deutschen Jazz- und Tanzmusik der Nazizeit – Deutsche wie Ausländer. Darunter waren Kurt Abraham, Tinus Bruyn, Bertalan Bujka, Eddie Brunner, Omer de Cock, Benny de Weille, Willy de Witt, Lubo D’Orio, Kai Ewans, Helmuth Friedrich, Alexander Gramatikoff, Hans Henke, Karl Maria Keller, Teddy Kleindin, Erich Kludas, Detlev Lais, Omar Lamparter, Lou Logist, Tullio Mobiglia, Herbert „Mäusezahn“ Müller, Jean Robert, Kurt Schieke, Erwin Steinbacher, Franz Thon, Kees Verschoor, Kurt Wege. Und selbst in den Konzentrationslagern wurde Saxofon gespielt – teils illegal, teils legal. Es gab Jazzbands in Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Theresienstadt. Jazz, diese improvisierte Musik, und das Saxofon, dieses Instrument individuellen Ausdrucks, lieferten ein Stück Überlebenstechnik, ein Stück Widerstand gegen Vernichtung und Gleichschaltung. Miroslav Hejtmar, Saxofonist des Buchenwalder Jazzorchesters „Rhythmus“, sagte nach der Befreiung aus dem KZ: „All diese Zuhörer verstanden, worum es ging. Nur die SS-Leute begriffen nichts.“

© 2011, 2014 Hans-Jürgen Schaal


Bild

10.11.2024
Neue Features auf der Startseite: JAZZ-PORTRÄTS (2) und FACETTEN DES PROGROCK (2)

09.11.2024
NEU bei Adrian Teufelhart: BLACK SABBATH

26.10.2024
China im Konzertsaal (Neue Musikzeitung)

24.10.2024
Über den Bildungsfetisch PISA (Brawoo 10/24)

mehr News

© '02-'24 hjs-jazz.de