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Ihre Musik kommt unscheinbar daher, romantisch, leise, fast minimalistisch. Diese Pianistin hat es nicht eilig – und das hört man: „Häufig bleiben meine Stücke monatelang in meinem Kopf, manchmal jahrelang“, sagt Anat Fort. „Sie müssen dort erst reifen, ehe ich mich tatsächlich hinsetze und sie aufschreibe.“ Und doch trifft die Pianistin aus Israel mit ihrem sparsamen Spiel einen Ton, einen Tonfall, der für viel Aufsehen gesorgt hat. Manche erkennen darin ein Echo von Israel, Orient und Osteuropa. Andere schätzen den Einfluss von Bill Evans und Keith Jarrett. Wieder andere begreifen Anat Forts Improvisationskunst als musikalische Verlängerung von Meditation und Yoga. Hören will man Anat Fort überall – in New York und Tel Aviv, in Paris und Berlin, in Prag und Belgrad.

Anat Fort
„Stille bedeutet mir ebenso viel wie Klang“
(2012)

Von Hans-Jürgen Schaal

*****

Wie geht’s deiner Katze?

Anat Fort: Es geht meinem Kater großartig, danke. Er liebt Musik und taucht immer auf, wenn sie erklingt. Wenn er das Gefühl hat, ich sollte jetzt üben, setzt er sich neben das Klavier, bis ich komme. Er ist da eine große Hilfe.

Du hast als Kind klassisches Klavier gelernt. Kommst du aus einer Musikerfamilie?

Meine Familie liebt Musik, aber ich wurde die erste Profi-Musikerin bei uns. Meine jüngere Schwester spielt ebenfalls Klavier, singt und komponiert.

Klassisches Klavier ist eine sehr technische, disziplinierte Angelegenheit. Hast du im Jazz die Freiheit gesucht?

Ich habe immer schon improvisiert. Eine klassische Pianistenkarriere war nie mein Ziel. Als ich den Jazz entdeckte, merkte ich, dass es das war, wonach ich gesucht hatte. Und als ich mich mehr damit beschäftigte, verstand ich schnell, dass ich ohne den Jazz nicht mehr leben kann.

Deinen reduzierten, lyrischen Klavierstil nennen manche „folksy“ oder „kindlich“. Kannst du das nachvollziehen?

Ich will meinen Stil – falls ich überhaupt einen habe – nicht zu sehr analysieren. Aber ich versuche, mein Spiel einfach zu halten, Lösungen des Augenblicks zu finden. Ich glaube an die Count-Basie-Wahrheit „Weniger ist mehr“.

In deinem ECM-Debüt „A Long Story“ glaubten die Kritiker auch einen Reflex deiner israelischen und nahöstlichen Wurzeln zu hören.

Ich glaube, dass meine Musik mich als Ganzes reflektiert. Verschiedene Facetten scheinen dabei an verschiedenen Stellen auf, bewusst oder unbewusst. Aber vieles steckt auch im Ohr des Hörers: Die Musik spiegelt sich im Hörer wider – und der Hörer in der Musik.

Du hast die Aufnahmen zu „A Long Story“ als eine fast magische Erfahrung beschrieben – besonders dank der Mitwirkung von Paul Motian. Hat er dich überrascht?

Paul benahm sich bei der Session genau so, wie ich ihn erwartet hatte: unberechenbar. Als menschliches Wesen – und das ist ein wesentlicher Teil des Musikerseins – reagierte er immer auf den Augenblick. Er folgte auf eigenständigste und individuellste Weise seinem Herzen, seiner Stimmung, seiner Kunst. Es war ihm gleichgültig, ob er damit den Erwartungen anderer entsprach.

Du meintest einmal, du warst bei dieser Aufnahme in einer „ECM-Stimmung“.

Ich sagte wohl eher, dass ich das Stück „Just Now“ mit einer ECM-Mentalität komponiert habe. Ich hatte das Gefühl, ein nordisches Volkslied zu schreiben und dabei auf den Klippen zu stehen und übers Meer zu schauen. Als Manfred Eicher von ECM das Stück hörte, assoziierte er damit lustigerweise die Klänge von Tel Aviv.

Reist du noch immer zwischen Israel und den USA hin und her?

Nach 17 Jahren in New York bin ich jetzt in Israel zu Hause. Aber ich reise viel nach Europa und in die USA, um dort kreativ zu sein und aufzutreten.

Hat sich dein Blick auf Israel geändert? Hat sich Israel geändert?

Israel ist natürlich in einem ständigen Wandel begriffen – wie der Rest der Welt. Und wenn du nach so langer Zeit zurückkommst, um hier zu leben, hast du dich auch selbst geändert. Manchmal ist es dann schwer zu entscheiden, was sich da außerhalb und was sich innerhalb von dir verändert hat. Beides wirkt aufs jeweils andere zurück.

Würdest du zustimmen, dass „And If“, dein zweites ECM-Album, amerikanischer war als das erste?

Ich glaube, „And If“ ist auf jeden Fall homogener. Auf „A Long Story“ gibt es ja verschiedene Instrumentierungen vom Solo bis zum Quartett – einschließlich einer Ocarina auf einem Stück! „And If“ ist dagegen eben ein pures Trio-Album und erinnert eher an eine herkömmliche Jazzband.

Existiert denn das Trio mit Gary Wang und Roland Schneider noch?

Das Trio ist noch aktiv – und wird es hoffentlich immer sein. Wir ergänzen uns nicht nur als Musiker, die in vieler Hinsicht gemeinsam gereift sind. Wir sind auch sehr gute, verlässliche Freunde. Wenn du viel zusammen auf Tour gehst, ist das ebenso wichtig wie die Tatsache, dass man gut zusammen musiziert.

Der Kritiker K. Leander Williams meint, du hättest ein besonderes Talent dafür, eine Band zu leiten.

Ich habe mich als Bandleaderin immer wohl gefühlt. Aber es ist für mich auch sehr wichtig, bei den Projekten anderer mitzumachen. Die Balance zwischen beidem gibt mir die richtige Perspektive auf die Möglichkeiten, die in einer Musik stecken. Sie inspiriert mich, in der eigenen Musik mehr Risiken einzugehen – und auch mit der Musik anderer fantasievoller zu verfahren.

In deiner Musik scheinen die freien Räume zwischen den Tönen manchmal so wichtig zu sein wie die Töne selbst.

Stille bedeutet mir ebenso viel wie Klang – in der Musik, aber auch in allen anderen Lebensbereichen. Manchmal kann Stille viel mehr ausdrücken, als klingende Töne es tun – selbst wenn es gute Töne sind.

Du beschäftigst dich mit Tai Chi und Yoga. Wie beeinflusst das deine Musik?

Tai Chi und Yoga sind wesentliche Elemente dessen, was ich bin. Die Beziehung zwischen ihnen und meiner Musik ist also wechselseitig. Meine Musik wirkt auf meine Übungen und umgekehrt.

Du hast beim Improvisieren meist die Augen geschlossen. Was „siehst“ du, wenn du spielst?

Wenn ich mit geschlossenen Augen spiele, gerate ich fast augenblicklich in einen Zustand der Meditation. Beim Improvisieren versuche ich einfach zu begreifen, was die Musik gerade braucht. Und wenn ich richtig eingestimmt bin, ist das wie ein Komponieren aus dem Augenblick.

Du unterrichtest das Improvisieren auch. Geht es da mehr um Akkorde oder um Gefühle?

Improvisation ist für mich eine Lebensweise. Das ist mein Ansatz als Improvisations-Lehrerin. Manchmal betrifft das dann spezifische musikalische Fragen, manchmal aber auch das Meditieren: einen Zustand des Geists, des Körpers und der Seele, in den wir manchmal augenblicklich hineinfinden und manchmal nur mit Mühe. Ich lehre meine Studenten herauszufinden, wer sie sind, was sie brauchen und wie sie in jeder Lage in diesen Zustand gelangen können.

Wie empfindest du Jazzpianisten, die sehr virtuos und stürmisch spielen? Vermisst du bei ihnen etwas?

In der Musik spricht zu mir immer zuerst der persönliche Sound. Wenn ich den Menschen hinterm Sound spüren kann, bin ich sofort auf seiner Seite. Da ist es dann egal, wie viele Töne er spielt. Wenn man mir in der Musik spontan eine Geschichte erzählt, möchte ich sie auch hören. Selbst wenn sie mir nicht so gefällt.

Hast du das Gefühl, dass der Jazz mehr Lyrik und weniger Technik braucht?

Technik ist für jeden Musiker wichtig, damit er das umsetzen kann, was er „hört“ und was er spielen will. Aber wenn Technik vor allem als Show-Element dient, finde ich sie nichtssagend. Persönlich mag ich das Lyrische und Melodische mehr. Es erreicht mich schneller und tiefer als alles andere.

Du hast unter anderem bei Paul Bley studiert. Was war das Wichtigste, was du von ihm gelernt hast?

Paul Bley gab mir eine enorme Inspiration. Seine freie Herangehensweise an alles, was er spielt, ist sehr einzigartig. Er besitzt auch viel Erfahrung, was das Musikgeschäft angeht, und wir sprachen viel darüber. Für mich, die ich ständig neue Projekte und Ideen suche und Wege, sie zu realisieren, war das sehr hilfreich.

Woran arbeitest du gerade?

Ich schreibe an einem großen Orchesterstück für meine Doktorprüfung in Komposition. Ich arbeite auch an Arrangements von israelischen Songs, die 2013 an der Oper von Tel Aviv bei einer großen Präsentation erklingen sollen. Und ich sammle Material für eine neue Aufnahme für ECM.

© 2012, 2015 Hans-Jürgen Schaal


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