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James Camerons Avatar von 2009 ist der bislang erfolgreichste Film der Kinogeschichte. Da die Sequels schon in Planung sind, liefern wir einige optische Anregungen für „Avatar 2“. Die Quelle: drei ProgRock-Klassiker der Siebzigerjahre.

Die Quellen Pandoras
ProgRock im Roger-Dean-Look
(2011)

Von Hans-Jürgen Schaal

Das teils computeranimierte 3D-Science-Fiction-Spektakel b>Avatar war kaum in den Kinos angelaufen, als in den Fan-Foren im Internet dieser Name fiel: Roger Dean. Unübersehbar sind die visuellen Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven Planeten Pandora und Roger Deans Fantasy-Gemälden. Bekannt geworden ist der englische Kult-Designer einst durch seine visionären Albumcovers für Rock-Klassiker. Um 1970 tauchten Deans Gemälde erstmals auf Plattenhüllen auf, auch die Logos mehrerer Bands und Labels (Harvest, Virgin, Vertigo) hat er entworfen. Eine besonders intensive Beziehung entwickelte er zur englischen Band Yes, den Avantgardisten des komplexen Bombast-Sounds. Mehr als 20 Covers hat Dean für Yes gestaltet – und fast noch einmal so viele für Solo-Alben der Yes-Musiker (Steve Howe, Rick Wakeman) oder Ableger-Formationen der Band (Asia, Badger, Anderson-Bruford-Wakeman-Howe).

Für den Fan in den frühen Siebzigerjahren bildeten Roger Deans Bilder einen wichtigen Teil des Gesamterlebnisses ProgRock. Damals kamen Fantasy-Motive ja gerade erst so richtig in Mode, Tolkiens „Herr der Ringe“ wurde endlich aus dem Englischen übersetzt und viele Rockbands ließen sich von Zauberergeschichten, alten Legenden, mythischen Wesen und Märchenwelten inspirieren. Roger Dean lieferte dazu die Bilder: Landschaften voller Pilz- und Quallenformen, bunte Märchentiere und schräge Flugapparate, eine faszinierende Mischung aus Architektur und Phantasiegewächs. Erstaunlich vieles davon kann man im Film „Avatar“ wiederentdecken: die geschwungenen Naturbrücken und Spiraltreppen, die fliegenden Berge und schwebenden Inseln mit ihren Wasserfällen, die wilden Flugdrachen, surrealen Pflanzen und bemoosten, organisch wirkenden Felsen, die ganze strahlende Farbigkeit. Keine Frage: Der Planet Pandora liegt im Roger-Dean-Sektor der Galaxis.

Bis 1973 hatten Yes bereits fünf Studioalben veröffentlicht. Wer die Band aus London mit ihrem sirenenhaften Sänger und ihren metrisch verzwickten Sound-Schichtungen trotzdem noch nicht kannte, lernte sie spätestens mit Yessongs kennen, dem wahrscheinlich ersten Live-Dreifachalbum der Popgeschichte. Ungewöhnlich wie der Umfang war die Klangqualität der „Yessongs“: Kritiker und Fans sprachen vom ersten Live-Album mit Studiosound – natürlich wurde da mit Post-Produktion nachgeholfen. Manche der Konzertversionen sind sogar fast auf die Sekunde gleich lang wie die Studio-Originale: hochvirtuose Reproduktionen der vertrackten Instrumental-Gebäude. Andere aber gerieten um 50 bis 100 Prozent länger als im Studio, in Tempo und Struktur fortentwickelt, mit wilden Solo-Features durchsetzt: Bassist Chris Squire hat seinen großen Auftritt in „The Fish“, Gitarrist Steve Howe demonstriert mehrfach jazzig-ausschweifende Beredsamkeit (z.B. „Perpetual Change“, „Yours Is No Disgrace“) und Keyboarder Rick Wakeman darf sogar sein damals aktuelles Solo-Album in einer Kurzversion vorstellen. In den esoterischen Songtexten treffen sich Ego-Trip und Space-Trip und manches klingt wie auf dem fernen Pandora gedichtet: „Mountains come out of the sky and they stand there.“ Tatsächlich hat Roger Dean nicht nur das Außencover gestaltet (sein drittes für Yes), sondern auch das Innere des Klappalbums: Da ruht ein Lungenfisch auf überdimensionalem Pilz, fliegende Inseln landen – aus dem Weltraum kommend – im Meer und lassen Bogenbrücken zum Festland wachsen. „Avatar“-Regisseur James Cameron würde dazu für Teil 2 bestimmt etwas einfallen.

Eines der ersten Plattencovers von Roger Dean zierte das Debütalbum der Londoner Afro-Rockband Osibisa: Es zeigte rotäugige Flug-Elefanten mit Libellen- und Fledermaus-Attributen. Die Trommler von Osibisa gastierten kurze Zeit später bei Uriah Heep – und prompt durfte Roger Dean auch für diese Band zwei Albumcovers gestalten. Im Zentrum: ein mit Zauberstab bewaffneter Zunftbruder von Harry Potter. Denn in den Songs von Uriah Heep ging es ganz vorwiegend um Zauberer, Dämonen, Hexentränke und Spiritismus. Auch diese Band liebte also Fantasy, war musikalisch aber eher der Gegenentwurf zu Yes: nicht komplex, sondern plakativ. „Sunrise“, der Opener des Albums The Magician’s Birthday, beschwört den Tagesanbruch mit schlichtestem, aber durchschlagendem Effekt. Später folgt die schönste Balladenstrecke, die der Band je gelang, immer sparsamer, immer stiller werdend: das gitarrenlastig galoppierende „Blind Eye“, das Moog-mysteriöse „Echoes In The Dark“, schließlich das melancholische „Rain“ nur mit Klavier und Vibraphon. Auch „Tales“ auf der B-Seite, durch eine Steelguitar sentimental aufgeladen, gehört irgendwie noch dazu. Und den Höhepunkt des Albums bildet dann das 10-minütige Titelstück übers Geburtstagsfest des guten Zauberers und den ungebetenen Gast von der dunklen Seite. Da jagen sich die Skurrilitäten – vom Geburtstagsständchen des Orchideen-Chors mit Falsett und Kazoo übers infernalische Gitarrensolo (dreieinhalb Minuten nur mit Schlagzeug-Begleitung) bis hin zum Zaubererduell „Gut vs. Böse“ à la Potter oder Dornröschen. So etwas funktioniert auch in einer Landschaft mit Naturbrücken und Spiraltreppen: siehe Cover-Rückseite. Potter on Pandora: eine echte Herausforderung für Sie, Mister Cameron!

Wie es heißt, soll in „Avatar 2“ das Wasser eine wichtige Rolle spielen. Gut passen würde dazu der orangefarbene Krake, der das Cover von Octopus ziert. Was das achtarmige Tier mit der Musik zu tun hat? Ganz einfach: Das Album hat acht gleichwertige Stücke. Die Songtexte handeln nicht von Meeresbewohnern, sondern schillern kunterbunt und erwachsen zwischen mittelalterlicher Legende („The Advent Of Panurge“) und moderner Beziehungs-Lyrik („Knots“). Gentle Giant waren die Kammermusiker unter den ProgRock-Bands, die intellektuellen Eklektizisten und verkopften Multi-Instrumentalisten, dem Jazz so nahe wie der Renaissance. Ganz ungehetzt setzten sie auf ihrem vierten Album die Stilbrüche und Taktwechsel: Polyphone Chorstellen, Geigenstimmen, Gitarrenriffs, Synthesizer, Trompete oder Kleinorgel sorgen für ein Maximum an musikalischen Wechselbädern. Das vielleicht verrückteste, verknotetste Stück ist „Knots“: Es beginnt mit einem absurden kontrapunktischen Madrigal, gefolgt von einer pointillistischen Partitur für Baritonsax, elektrische Geige, Vibraphon und Xylophon, dann auch einer bizarren Xylophon-Improvisation mit Klavierbegleitung oder einem dramatischen Rockriff mit Moog-Unterstützung. In vier Minuten macht das Stück gefühlte 20 Kehrtwendungen. Aber Gentle Giant konnten auch einfühlsam sein: am schönsten hier in „Dog’s Life“, einer Hommage an des Menschen besten Freund, und in „Think Of Me With Kindness“, einer ganz, ganz sanften Liebesend-Ballade. Die Platte für die einsame Insel – am liebsten natürlich eine in Wolken schwebende Roger-Dean-Insel auf Pandora.

2011, 2016 Hans-Jürgen Schaal


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