Die Fünfte Symphonie ist Beethovens bekanntestes Werk und eines der berühmtesten der gesamten klassischen Musik. Natürlich verdankt sie ihre weltweite Popularität dem Anfangsmotiv, diesem unvergesslichen „da-da-da-dammm“.
Beethoven Experience (1)
5. Symphonie und Klavierkonzerte Nr. 1, 3, 5
(2017)
Von Hans-Jürgen Schaal
Vier Töne nur, zwei Tonhöhen mit ihren Oktaven, ohne Akkord, dann eine Fermate – knapper und deutlicher geht es nicht. „Es gibt keinen einfacheren Gedanken“, sagte der Komponist und Dichter E.T.A. Hoffmann. Im Grunde ist dieses Motiv nur eine rhythmische Figur – aber was macht Beethoven daraus! Aus diesen vier Tönen holt der 1. Satz seinen Schwung, bezieht er seine ganze Lebensenergie. Immer und immer wieder klingt dieses „da-da-da-dammm“ an, in wechselnden Funktionen, und hält die Musik am Laufen. Auch für die folgenden Sätze wird das Motiv zum Motor, es klingt nach bis ins Finale. Im Kopfsatz aber ist es das eigentliche und einzige Thema – keine schöne Melodie, nicht einmal ein viertaktiger Kerngedanke, sondern nur diese knappe Figur, aus der sich ein Sonatenhauptsatz in konzentriertester Form entwickelt. Kein Wunder, dass Louis Spohr meinte: „Dem Thema des ersten Satzes fehlt die Würde.“ Nein! Die Würde dieses Satzes liegt in seiner Dynamik, seinem konsequenten, unaufhaltsamen Drang. Das ist eine musikalische Revolution.
Bis heute kennt man die Fünfte als „Schicksalssymphonie“. Der Name geht auf einen angeblichen Ausspruch Beethovens zurück, den sein Biograph kolportiert hat: „So pocht das Schicksal an die Pforte!“ Das Anfangsmotiv erinnert in der Tat an ein Klopfen an der Haustür. Beethoven sprach oft und gerne vom „Schicksal“ und von seinen Kämpfen mit ihm. Aber meinte er hier ein besonderes Schicksal? Meinte er seine persönlichen Feinde, die er für zahllos hielt? Sprach er vom Krieg gegen Napoleon, der vor Wiens Toren stand? Vom Wandel der Gesellschaft, von der Emanzipation des Bürgertums? Spielte er auf seine fortschreitende Taubheit an? An möglichen Deutungen dieses „Schicksals“ hat es in den letzten 200 Jahren nicht gemangelt. Vielleicht meinte Beethoven aber das abstrakte „Schicksal“ an sich: Anstoß, Erschütterung, Dramatik, Heroismus, Gewalt. Genau das nämlich ist der Kopfsatz der Fünften – ein Drama in Tönen und ein musikhistorisches Ereignis.
Vom Ausdruck her bietet das folgende Andante con moto das genaue Gegenteil. Im Kontrast zum Kopfsatz wirkt es sehr melodisch und weich, obwohl es auch seine kräftigen, feierlichen Momente besitzt. Wir hören ein ausholendes, kantables, besänftigendes Thema und ein halbes Dutzend Variationen. Dieser Satz könnte auch für sich allein stehen, er ist eine Oase der Geborgenheit und des Sich-Zeit-Lassens. Aber dann: das Scherzo. Schon die ersten Töne sorgen wieder für Unruhe. Und dann das schmetternde „da-da-da-dammm“ in den Hörnern! Es ist ein unheiteres Scherzo, die Tonart bleibt c-Moll. Erst im Trio kommt der Wechsel zu Dur, aber es liegt durchaus etwas Gespenstisches in diesem schnellen, fugierten Achtelnotenlauf. Am Ende scheint der Satz (wie gesagt: ein Scherzo!) über einem trostlosen Orgelpunkt auszuklingen. Doch ohne Pause geht es hinein in den Finalsatz und ins jubelndste C-Dur. Das ist Fanfare, Marsch, Triumphzug! Beethoven verlangte hier zusätzliche drei Posaunen, ein Kontrafagott und eine Pikkoloflöte, denn er wollte „mehr Lärm machen als sechs Pauken“. Wen oder was feiert die Musik? Im Zweifelsfall: sich selbst. Diese Symphonie sei „kein klassisches Ganzes“, nörgelte Louis Spohr. Richtig! Die Fünfte ist Innovation und Eigensinn und deshalb zu Recht so berühmt.
Drei Klavierkonzerte
Beethovens Instrument war das Klavier. Bevor er seine ersten Symphonien schrieb, hatte er bereits etliche Klaviersonaten, Klaviertrios und Duos mit Klavier komponiert. Die meisten dieser Werke entstanden für seine eigenen Auftritte, denn er war als Pianist zeitweise erfolgreicher und bekannter als mit seinen Kompositionen. Seine Virtuosität und Improvisationsgabe am Pianoforte wurden vielfach gerühmt. Als er ab dem Jahr 1800 die ersten Werke mit Orchester präsentierte, waren das deshalb nicht nur Symphonien, sondern eben auch Klavierkonzerte. Das Konzert in C-Dur war das erste, das verlegt wurde (1801), und bekam daher die Nummer eins. Beethoven hatte mindestens sechs Jahre lang an ihm gearbeitet und es in dieser Zeit in Zwischenfassungen bereits aufgeführt, erstmals wohl 1795. Bei dieser Aufführung, so sagt die Legende, seien die Instrumente so verstimmt gewesen, dass er das Konzert aus dem Stegreif in Cis-Dur statt C-Dur spielen musste.
Ein Klavierkonzert ist die Krönung für einen Pianisten. Hier darf er und soll er glänzen, sein technisches Können präsentieren, aber auch seine einfühlsame Seite offenbaren. Die anderen Musiker, die große Bühne, die konzertante Veranstaltung liefern dafür den festlichen und würdevollen Rahmen. So jedenfalls sah das Konzept eines Klavierkonzerts aus, ehe Beethoven kam. Dieser Komponist hat mit seinen Konzerten nicht nur die technischen und Ausdrucks-Möglichkeiten des Klavierspiels vorangetrieben. Er hat auch die Formsprache und kompositorische Substanz der Gattung Klavierkonzert entscheidend weiterentwickelt. Und beides tat er in Riesenschritten. Zwischen dem 1. und dem 5. Klavierkonzert vergingen nur zehn Jahre. Aber es liegt fast eine Welt zwischen ihnen.
Die ersten Takte des 1. Klavierkonzerts lassen noch an einen leichtfüßigen Marsch von Mozart denken. Erst nach und nach wird Beethovens eigener Tonfall erkennbar – in den Akkordfolgen, den Klangbildungen, in der Spannungskurve der Motive. Trompeten, Klarinetten und Pauke waren bis dahin in Klavierkonzerten nicht üblich. Im Klavierpart werden die Themen verarbeitet und variiert – auf gewitzte, manchmal fast neckische Weise, technisch verblüffend, aber ohne durch virtuosen Aufwand blenden zu wollen. Das 19. Jahrhundert ist noch ganz jung, das Romantische noch am Werden. Drei verschiedene Kadenzen schrieb Beethoven für diesen Satz und überließ es dem Solisten, welche er wählt. Bei der offiziellen Uraufführung (1800) soll Beethoven viele Solostellen des Konzerts noch weitgehend improvisiert haben.
Der zweite Satz steht im Zeichen der drei „L“: leise, lyrisch, largo. Nie klingt Beethovens Musik so sanft und zärtlich wie in den langsamen Sätzen seiner Klavierkonzerte. Das Pianistische scheint oft auf perlende, zarte Läufe reduziert zu sein. Im dritten Satz, dem letzten und kürzesten, geht es dagegen flott, heiter und tänzerisch zu. Diesmal beginnt das Klavier mit dem Thema, das Orchester folgt, und es ist schwer, im Schwung der Musik nicht mitzuwippen. Als der Satz sanft zu verklingen scheint, kommt noch ein ganz kurzer, überraschender Ausbruch. Elan, Humor, Gefühl – dieses Konzert hat alles, was es braucht, um das Publikum zu verzaubern. Überrascht es uns, dass Beethoven es einer Klavierschülerin aus adligem Haus gewidmet hat? Es ist ein Werk von nobler, kavaliersmäßiger Sittlichkeit.
Das 3. Klavierkonzert, nur zwei Jahre später uraufgeführt, klingt bereits ganz anders. Es ist das einzige von Beethovens Klavierkonzerten, das in Moll steht. Genauer gesagt: in c-Moll, der düster-dramatischen Tonart, die Beethoven ein paar Jahre später auch für seine Fünfte Symphonie wählen sollte. Unüberhörbar wirkt sich der Moll-Charakter des Konzerts auf die pianistische Technik aus. Der dramatische Tonfall treibt die Klaviersprache zu virtuoser Dichte und riskanter Komplexität. Für manchen seiner Zeitgenossen war Beethovens Klavierbehandlung hier sicherlich ein unerhörtes und herausforderndes Erlebnis. Auch Beethovens Assistent, der bei der Uraufführung den Blattwender machte, reagierte etwas verstört, aber aus einem anderen Grund: Die Klavierstimme war praktisch nicht notiert. Der Freund sah auf Beethovens Notenblättern weitgehend nur Skizzierungen, die ihm unverständlich blieben wie „ägyptische Hieroglyphen“.
Vom ersten Ton an klingt das 3. Klavierkonzert unmissverständlich nach Beethoven. Die Bläserbehandlung, das kämpferische Moll, die Phrasierung der Motive – das ist der berühmte „Schicksalston“. Nach rund fünf Minuten meldet sich endlich das Klavier zu Wort, unbegleitet. Sehr entschlossen greift es die Motive auf und verdichtet sie. Das Klavierkonzert wird zur dialogischen Symphonie. Der zweite Satz – wieder ein Largo in Dur – ist erneut von ganz sanfter, berückender, fast meditativer Art, als wollte Beethoven hier demonstrieren, zu welchem innigen Gefühlsausdruck das Klavier fähig ist. Immerhin war das Pianoforte 1803 noch ein junges Instrument, sein Klang galt vielen als „kalt“. Im Schlusssatz sind wir zurück im Moll, allerdings mit einem geradlinigen, volkstanzartigen Motiv, das dem Klavier schöne Abwandlungen erlaubt. Nach einem Fugato-Teil des Orchesters kommen die spannendsten Momente dieses Konzerts – pochend, fragil, unvorhersehbar. Hier wird der Komponist zum Abenteurer. Am Ende, als das Klavier schon im Rubato zu verstummen scheint, gibt es wieder einen letzten Ausbruch, eine schnelle, packende Coda. Beethoven liebte effektvolle Schlüsse.
Sein 5. Klavierkonzert – Beethovens letztes und berühmtestes – entstand kurz nach der 5. und 6. Symphonie und erlebte seine Uraufführung 1811 in Wien. Im englischen Sprachraum ist diese Komposition noch heute als „Emperor Concerto“ (Kaiserkonzert) bekannt, den Namen erfand Beethovens britischer Verleger. Beethoven selbst widmete das Konzert – wie schon sein 4. Klavierkonzert und etliche spätere Werke – Erzherzog Rudolph, der ihn mit einem jährlichen Gehalt unterstützte. Der Erzherzog, Beethovens letzter Klavierschüler, war auch der Solist bei der Uraufführung. Der Komponist traute sich den öffentlichen Auftritt nicht zu – seine Ertaubung war schon zu weit fortgeschritten.
Mit seinem 5. Klavierkonzert scheint Beethoven den Hörer überrumpeln zu wollen. Nach einem ersten Orchesterakkord setzt sofort eine virtuose Klavierkadenz ein. Der in jeder Hinsicht gewaltige erste Satz, rund 20 Minuten lang, ist berühmt für seinen kämpferischen und dramatischen Charakter. Aber er kennt auch ganz andere Momente: verspielte und bizarre, delikate und gefühlvolle. Der Klavierpart treibt zeitweise die technische Virtuosität in Grenzbereiche des Machbaren. Man darf nicht vergessen: Als dieses Konzert komponiert wurde, waren ein Chopin oder Schumann noch nicht einmal geboren. Beethoven war Klavier-Avantgarde.
Der zweite Satz ist diesmal kein Largo, sondern ein Adagio, aber er kommt ebenso empfindsam, nokturnal, meditativ daher. Ist er etwa noch ruhiger als die langsamen Sätze der anderen Beethoven-Konzerte? Gleich zu Beginn erklingen die fünf Töne, die Leonard Bernstein für seinen Song „Somewhere“ entliehen hat. Am Ende des Adagios knistert dann Spannung auf: Das Klavier deutet schon das nächste Thema an und legt gleich mit Macht und ohne Pause los. Rondo con attacca! Das tänzerisch-freudige Hauptthema des Schlusssatzes wurde berühmt, ebenso das lyrische Seitenthema. Beethoven bestand darauf, dass in diesem Satz keine Kadenz gespielt wird. Der dramaturgische Bogen war ihm wichtig – so, wie er ihn komponiert hatte. In der Coda gibt es sogar noch ein kurzes Perkussions-Duo zwischen Piano und Pauke. Der letzte virtuose Ausbruch kommt, wie das Konzert begann: überfallartig.
© 2017, 2020 Hans-Jürgen Schaal
© 2017 Hans-Jürgen Schaal |