Als der große Saxofonist John Coltrane 1967 starb, hatte er die Bedeutungswelt des Jazz weit ins Spirituelle hin geöffnet („A Love Supreme“, „Ascension“, „Meditations“ usw.). Seine Witwe und letzte Pianistin machte genau dort weiter.
Alice Coltrane
Eternity
(2021)
Von Hans-Jürgen Schaal
Alice Coltrane (1937-2007) strebte mit ihrer Musik nach „kosmischen Klängen, höheren Dimensionen, Astral-Ebenen“ – sie wurde ein wichtiger Einfluss für die spiritualisierte, esoterische Musikszene der 1970er Jahre. Ihr erstes Album erschien erst nach John Coltranes Tod – aber Eternity war 1975 dann bereits ihr zehntes. (Im gleichen Jahr eröffnete sie in Kalifornien ein hinduistisches „Vedantic Center“.) Das Album bezieht seine Kraft aus ganz gegensätzlichen Klangwelten. Denn die Besetzungsgrößen reichen vom unbegleiteten Harfensolo („Wisdom Eye“) bis hin zum Großorchester, bestehend aus einer bis zu 25-köpfigen Bigband zuzüglich 12-köpfiger Streicher-Section. Alice Coltranes Hauptinstrument ist die elektrische Wurlitzer-Orgel, deren kratziger Sound durchaus John Coltranes Saxofon heraufbeschwören kann (besonders im Opener „Spiritual Eternal“). Meistens improvisiert sie modal, mäandernd, meditativ-ekstatisch – ob im Latin-Rock-Idiom („Los Caballos“) oder ganz ohne feste Time („Morning Worship“ mit Tamboura-Begleitung). Unterstützung liefern namhafte Musiker wie Charlie Haden (Bass), Jerome Richardson (Saxofon und Flöte), Hubert Laws (Flöte) und Ernie Watts (Englischhorn). Im Stück „Om Supreme“ wechselt Coltrane auf ein sanft swingendes Fender Rhodes, zu dem sich dann eine sechsstimmige Vokalgruppe gesellt. Einen überraschenden Abschluss des Albums bildet eine orchestrale Adaption aus Strawinskys „Sacre du Printemps“. Die dissonanten und Free-Jazz-Momente darin haben gar nichts Meditatives mehr an sich.
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