Die zwölfte Hörhilfe 24.5.07
Greg Osby
"Art Forum" (Blue Note)
ZEN-KUNST AM SAXOPHON
Greg Osby macht wieder akustischen Jazz {1997}
Es ist zehn Jahre her, dass Greg Osby sein Debütalbum "Sound Theatre" aufnahm {1987}. Es entstand in Brooklyn, NY, in einem äußerlich anonymen, vergitterten Ziegelsteinbau mit der Hausnummer 117, jenem Studio, in dem eine junge schwarze Jazz-Szene in den folgenden Jahren die meisten ihrer musikalischen Würfe zur Welt bringen sollte. Damals, 1987, überraschte Osbys Altsaxophon mit einer klanglichen Kühle und ausgesuchten Linienführung, die einem ganz anderen Lager und Zeitalter des Jazz entliehen schienen. Das war verzinkter, intelligenter Akustik-Jazz, mit beinahe grimmigem Ernst präsentiert.
Kurze Zeit später gab sich die Brooklyner Szene den Namen M-Base und begann, unter der Führung von Steve Coleman die Brauchbarkeit schwarzer Dance-Rhythmen für den Jazz zu erkunden. Verhexte Metren und Elektronik-Teppiche, Funk-Bässe und HipHop-Beats blieben für einige Jahre das Revier, in dem Musiker wie Greg Osby, Graham Haynes und Cassandra Wilson bevorzugt auf Beutefang gingen. Doch dann kam der HipHop-Jazz der DJs, und die kopflastige M-Base war out.
Zehn Jahre nach "Sound Theatre" ist "Art Forum" das erste Album unter Greg Osbys Namen, auf dem er wieder ganz in akustischem Umfeld zu hören ist. Als hätte jemand die Zeit zurückgedreht, klingt die neue CD wie der unmittelbare Nachfolger der alten von 1987. Geändert hat sich die Szene drumherum: Der akustische, moderne, swingende Jazz von heute, der zusehends auf dem Stand von 1958 einzufrieren droht, hat einen wie Greg Osby bitter nötig.
Osbys Linien entwickeln sich noch immer abstrakt und mutwillig - flackernde Läufe, die nicht den Regeln der Jazz-Schulen und Jam-Sessions folgen, sondern auf der Suche nach einer eigenen Ästhetik sind. Seine Themen scheinen auf der Stelle zu treten, Intervalle abtastend und ein Terrain sondierend, von dem man nicht weiß, wie lange es noch trägt. In den Standard-Balladen (es sind zwei) findet sein Spiel zu melodischer Rundung, aber es ist nicht die der altbekannten Stücke, sondern eine Phrasierung, die dem täglichen Jazz-Einerlei Einhalt gebietet. Ruhig, sachlich, kombinatorisch: Manchmal scheint sich Osbys Jazzkunst ganz vom geraden Swing seiner Combo zu lösen und in eine Meta-Ebene zu wechseln, die reflektiert, was jetzt eigentlich gespielt werden müßte und warum es nicht gespielt werden kann. Wie ein Zen-Mönch, der seinem Koan nachbohrt, während andere Leute Skifahren gehen. Nie war er so wertvoll wie heute.
Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung, 9.4.1997
© 1997, 2007 Hans-Jürgen Schaal
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