Die siebzehnte Hörhilfe 8.7.07
Dave Douglas
Five (1995)
Dave Douglas, Mark Feldman, Erik Friedlander, Drew Gress, Michael Sarin
Dave Douglas ist ein großartiger Trompeter. Ein fantastischer Trompeter. Ein unglaublicher Trompeter. Sein Ton kann rund und hell und tragend sein wie die Fanfare des Erzengels Gabriel persönlich. Dann wieder spielt er sein Instrument weich und präzise und schmal wie der mümmelnde Chet Baker in seinen besten, letzten Tagen. Douglas verfügt über die Attacke eines Bop-Virtuosen, den Growl eines Cootie Williams, den Avantgardismus eines Lester Bowie. Man möchte sich einen Louis-Armstrong-Tribute von ihm wünschen, eine Miles-Davis-Hommage, ein Clifford-Brown-Memorial-Album. Für jeden Bandleader dieser Jazzwelt ist der Mann mit dem schüchternen Lächeln und dem schütteren Haar die Idealbesetzung an der Trompete. Entsprechend umfangreich sieht sein Sideman-Register aus. Er hat bei Uri Caine Mahler-Kantilenen geblasen und bei Don Byron Klezmer-Adaptionen gespielt. Er hat in Horace Silvers Hardbop-Band ausgeholfen und war auf mehr als einem Dutzend Platten der Partner John Zorns im Quartett Masada. Er übernimmt Studiojobs im Pop-Business und Free-Jazz-Rollen in der New Yorker Downtown-Szene. Die Diskografen und Sammler haben Mühe, mit seinem Aufnahmen-Tempo Schritt zu halten. Ich habe es längst aufgegeben.
Das Entscheidende: Dave Douglas ist nicht nur Trompeter. Das hat er auf seiner ersten eigenen Platte und auf jedem folgenden Album bewiesen. Douglas ist einer der überzeugendsten Innovatoren, Klangdenker, Strukturenschöpfer, Komponisten, Konzeptualisten, Ensemble-Visionäre, Sound-Dramaturgen, Bandleader und Musikarchitekten der Jazz-Geschichte. Alle seine Aufnahmen stecken voller Überraschungen, neuer Brückenschläge, kleiner Geniestreiche. Weil seine Fantasie in viele verschiedene Richtungen geht, betreibt Douglas eine ganze Reihe von Band-Projekten gleichzeitig: ein Trio, ein Quartett, ein Quintett, ein Sextett. Dazu noch einige andere, die nur gelegentlich auf Tonträgern in Erscheinung traten, darunter das Elektronik-Projekt Sanctuary, das ambitiöse Ensemble Witness und das New Quintet, das im März 2002 sein Debüt feierte. Auf diese Weise hat Dave Douglas in nur zehn Jahren auf neun verschiedenen Labels 19 eigene Platten veröffentlicht, ohne dass ein Nachlassen seiner künstlerischen Erfindungskraft spürbar würde.
Dave Douglas dürfte auf ewige Zeiten der einzige Jazzmusiker bleiben, der sein Debüt-Album mit einem Stück von Anton Webern eröffnet hat (aus dessen Fünf Sätzen für Streichquartett). Auch sonst war diese erste Platte alles andere als gewöhnlich: mit einem streicherlastigen Jazz-Quintett, Adaptionen von Weill und Strawinsky, Anklängen an zeitgenössische Kammermusik. Das eigenwillige, frappant stimmige Bandkonzept mit Trompete, Violine, Cello, Kontrabass und Schlagzeug war damit aber noch längst nicht ausgereizt. Die Nachfolgeplatte entstand im Hochsommer 1995 und trägt den Titel „Five“. Noch hemmungsloser mischt sie komplexe Ensemble-Passagen mit spannenden Exkursionen in freie Sounds. Die Trompete agiert dabei beweglich und differenziert wie ein Saxophon, mal protzlaut, mal im Flüsterton, mal strahlend in der Führung, mal eingebettet in den weichen Streicherklang. Als Douglas’ Haupt-Partner tritt der Violinist Mark Feldman auf den Plan, ein unberechenbarer Autodidakt und Spaßmacher. Feldman hat lange in den Country-Studios von Nashville gearbeitet, liebt es, klassische Teufelsgeiger zu parodieren, und kennt keine Hindernisse beim Übergang von nostalgischem Schmelz zu witziger Pizzicato-Kakophonie. „Five“ ist ein Album, das überfließt von Ideen – alle geboren aus den Klangmöglichkeiten dieser „String Group“. Da gibt es durchkomponierte Neue-Musik-Miniaturen (mal ernsthaft, mal satirisch), holprige Mingus-Rhythmen und ironischen Third Stream, eine Miniatursuite am Stück („Seven“), eine ziemlich verrückte Monk-Adaption („Who Knows“), eine Trompetenballade „with strings“ („Going, Going“) und eine großartige Jazz-Hommage an den Trompeter Woody Shaw („Actualities“). Den Abschluss machen ein Widmungsstück an John Cage, das zwei Zeitebenen miteinander konfrontiert, und eines an John Zorn, das die nahöstliche Klangsprache von Masada aufgreift, noch bevor Zorn selbst sie auf Streicher übertrug. Eine ganze Galaxis voll Musik.
Veröffentlicht in Image Hifi 1/2003
© 2003, 2007 Hans-Jürgen Schaal
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