Die neunte Hörhilfe 9.4.07
Stan Getz
"With Laurindo Almeida" (Verve)
Stan Getz (ts), Laurindo Almeida (g), Steve Kuhn (p), George Duvivier (b), Dave Bailey (dr), Edison Machado, José Soarez, Luiz Parga, José Paulo (perc)
Stan Getz' letzter echter Bossa-Nova-Versuch, der nur wenige Tage nach den Aufnahmen zu "Getz/Gilberto" entstand (März 1963), war zu Unrecht ein Misserfolg. Vor und nach Veröffentlichung der Platte (Oktober 1966) hieß es allgemein, dass die Bossa-Nova-Masche verbraucht sei und sich nur ständig wiederhole. Doch die Aufnahmen mit Almeida beweisen das Gegenteil. Jede der Studio-Produktionen, die Getz der Bossa Nova widmete, besitzt einen eigenen Charakter, aber diese letzte ist die individuellste von allen.
Laurindo Almeida, gebürtiger Brasilianer, hatte schon in den frühen 50er Jahren die populäre Musik seiner Heimat für den Jazz erobert, damals zusammen mit dem Westcoast-Saxophonisten Bud Shank. Die Produktion mit Stan Getz kam ziemlich kurzfristig zustande, und diese Spontaneität im Verein mit der Sicherheit, die sie beide im freien Umgang mit dem brasilianischen Idiom besaßen, macht Stan Getz' fünfte Bossa-Produktion zu seiner kraft- und ausdrucksvollsten.
Anders als der Jazzgitarrist Byrd und die authentischen Bossa-Interpreten Gilberto und Bonfá ist Almeida ein Virtuose im Sinne klassischer Gitarrenkunst und bringt daher ganz ungewohnte Töne ins Konzept. Er lieferte zudem als Komponist einige der musikalisch stärksten Melodien, die Getz im Bossa-Bereich aufgenommen hat. Der Saxophonist machte sie sich offenbar sehr rasch zu eigen und interpretiert Almeidas Stücke mit einer Freiheit und einem Ausdruckswillen wie nur selten in jenen Jahren. Seine Soli sind hochemotional und jazzig und nicht die sanften Miniaturen, auf die er sich damals gelegentlich beschränkte. Ihren ganz besonderen Drive und Charakter bekommen die Aufnahmen jedoch durch die fünfköpfige Trommlerschar. Sie verleihen der Musik eine rhythmische Wucht, die meilenweit von der Melancholie eines João Gilberto entfernt ist.
Publiziert in: Stan Getz.Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten, Oreos 1994
© 1994, 2007 Hans-Jürgen Schaal
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