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Sie sind der Robert Schumann und die Clara Wieck des modernen Jazz: Elmo Hope und Bertha Rosemond. Keine zehn Jahre waren sie zusammen, der New Yorker Bebop-Pionier und die 13 Jahre jüngere Tochter eines kalifornischen Opernsängers, dann trennte sie der Tod. Doch ihre musikalische Verbindung lebte weiter und trieb leuchtende Blüten.

Hope & Hope
Eine Pianisten-Ehe im Zeichen des Bop
(2010)

Von Hans-Jürgen Schaal

Am Anfang sind es drei Freunde – Thelonious, Bud und Elmo –, die eine gemeinsame Leidenschaft haben: das Klavier. Genauer gesagt: das Jazzklavier. Noch genauer: das moderne Bebop-Klavier. Denn Bebop ist der letzte Schrei im New York der 40er-Jahre. Thelonious, der Älteste von ihnen, mag an dem neuen Stil vor allem das Bizarre und Sperrige: die schrillen Dissonanzen, die schrägen Intervalle, Quartakkorde. Bud, der Jüngste, lässt seine Bebop-Chorusse dagegen so flüssig und virtuos perlen, als gälte es, mit der rechten Hand Charlie Parkers Saxofon zu überholen. Und Elmo mit seiner klassisch geschulten Spieltechnik, der Dritte im Bunde, ziseliert rasante, klare, insistierende Melodien, verschattet sie aber mit frechen Gegenstimmen der linken Hand und ungewohnt dunklen Akkorden: Er besitzt Thelonious’ Sinn fürs Komplexe ebenso wie Buds perlende Virtuosität. Thelonious Monk macht seine ersten Aufnahmen als Bandleader 1947 für das Label Blue Note. Bud Powell debütiert unter eigenem Namen im gleichen Jahr und nimmt schon 1949 ebenfalls für Blue Note auf. Und Elmo Hope folgt 1953 – natürlich auch auf Blue Note.

Mit „Happy Hour“ und „It’s A Lovely Day Today“ (von Irving Berlin) macht Hope seinem Namen alle Ehre: Nicht nur die Stücktitel auf seinem Debütalbum, auch die Musik ist voller Hoffnung und Optimismus. „Mo Is On“ (Mo steht für Elmo) und „Hot Sauce“ sind atemlose Bebop-Renner, ebenso „Carvin’ The Rock“, das er mit Sonny Rollins schrieb und mit ihm und Clifford Brown neun Tage zuvor schon einmal aufgenommen hat. Schon die komponierten Einleitungen dieser kompakten Trio-Stücke sind kleine Juwelen, vom Drummer Philly Joe Jones zu vitalem Leuchten gebracht. Aber es gibt noch andere Töne auf diesem Debüt-Album: mit „Freffie“ einen typischen beschleunigten Bop-Blues, mit „Stars Over Marakesh“ orientalische Anklänge und im Thema der abschließenden Ballade „I Remember You“ sogar gepflegtes Blockakkord-Spiel. 1953 ist ja auch recht spät für ein Bebop-Debüt: Längst dominiert der Cool-Sound, schon klopft der Hardbop pentatonisch an die Tür. Um Elmo Hopes Karriere Nachdruck zu verschaffen, legt Blue Note daher ein Jahr darauf (15 Katalognummern später) ein Quintett-Album nach. Frank Foster (Tenor) und Freeman Lee (Trompete) sind die Bläser und Art Blakey, der gerade mit den Jazz Messengers für Furore sorgt, sitzt hinterm Drumset. „Crazy“ mit seinen betonten „blue notes“ wäre eine ideale Souljazz-Hymne, würde die Band es nicht so bebopschnell abwickeln. „Abdullah“ lässt noch mal den Orient anklingen, wenn auch nur kurz. „Later For You“ (im Thema ohne Trompete) ist das Highlight mit seinem verwirrenden Harmonien-Zickzack. Beide denkwürdigen Alben passen – noch mit drei unveröffentlichten Stücken dazu – auf eine einzige CD: „Trio & Quintet“.

Abgeleitet ist der schöne Name Elmo vom heiligen Erasmus (Elmo) von Antiochia, einem frühchristlichen Märtyrer, der unglaubliche Foltern ertragen musste. Auch Elmo Hope hat einiges durchzustehen: Der Fluch der Jazzmusiker in den 50er-Jahren heißt Heroin. Die Sucht rückt bei vielen schnell ins Zentrum ihres Alltags, sie verändert die Menschen, zerstört die Beziehungen. Dazu kommt die Kriminalisierung durch die Gesellschaft: Polizeikontrollen, Strafverfolgung, drohende Inhaftierung. Hope verliert wegen Drogenbesitzes seine Cabaret Card und damit die Erlaubnis, in New Yorker Clubs aufzutreten. Er schließt sich daraufhin einem der größten Junkies des Jazz an, dem Trompeter Chet Baker, und zieht mit dessen Band 1957 an die Westküste. Dort drechselt er weiter an höchst raffinierten Bop-Konstruktionen. Der heilige Erasmus ist übrigens auch der Patron der Drechsler und Weber.

In Kalifornien wendet sich das Blatt. Als Hope 1958 im Celebrity Club von Los Angeles mit Sonny Rollins auftritt, stellt sich ihm eine junge Frau vor, die als Barpianistin ihr Geld verdient. Ihr Name: Bertha Rosemond. Sie outet sich als Fan von Elmo, Thelonious und Bud, diesen drei großen Bebop-Pianisten. Bud Powells „Un Poco Loco“ hat sie schon als 15-Jährige nach Gehör gelernt, mit Buds Bruder Richie war sie sogar befreundet. Als die 22-Jährige ihrem Idol Elmo Hope dessen eigenes Stück „De-Dah“ vorspielt, ist der Pianist in der Tat beeindruckt. Elmo und Bertha freunden sich an und heiraten zwei Jahre später. 1961 kehrt Elmo Hope ohne Drogenproblem, dafür mit Ehefrau/Klavierkollegin und gemeinsamem Kind in seine Heimatstadt New York zurück. Das Album „Homecoming!“ feiert die Heimkehr, das neue Leben, die Liebe und die Familie. „Moe, Jr.“ (der kleinen Tochter Monica gewidmet) ist ein mutwillig herumhopsender Bebop im Sextett mit drei Bläsern. „La Berthe“ (für die Ehefrau) scheint noch immer den Schock zu verarbeiten, den Berthas Klavierspiel bei Hope auslöste: Dieses einzigartige Triostück kommt als eine Art „Über-Monk“ daher und „evocatively avant garde“, wie der Kritiker Ira Gitler schreibt. Auch die anderen Liebeserklärungen auf dem Album bewegen sich fern von Klischees: Das eindrucksvolle „Eyes So Beautiful As Yours“ (wieder mit Bläsern) spricht von einer seelentiefen, traumatischen Erschütterung. Ausführlich genießen kann man Hopes exquisites Klavierspiel dann in zwei langsamen Trio-Stücken, „One Mo’ Blues“ und der abschließenden Van-Heusen-Ballade „Imagination“.

Pianistisch in der Form seines Lebens, lässt Elmo Hope ein paar Monate später ein Piano-Soloalbum folgen. Unbegleitete Piano-Alben kommen im Modern Jazz da gerade erst in Mode, Monk hat es vorgemacht, auch Ray Bryant, noch trauen sich nur wenige. Lustvoll rhythmisch und ganz aufgeknöpft präsentiert Hope solo seinen Blues „Underneath“ und den alten Bürgerkriegs-Song „When Johnny Comes Marching Home“. Aber die Höhepunkte des Albums sind seine drei Klavierduette mit Ehefrau Bertha. „Sie ist die Einzige, die Elmos Musik wirklich versteht“, soll der Saxofonist Johnny Griffin damals gesagt haben. Und da die Pianisten-Eheleute ohnehin zu Hause oft zusammen spielen, liegt es nahe, das Hope-Duo auch musikalisch an zwei Studio-Flügeln zu vermählen. So viel Hope war nie: Das Album heißt „Hope-Full“. Im „Blues Left And Right“ und in der schnellen Rodgers-Hart-Ballade „My Heart Stood Still“ – beide Stücke swingen hinreißend – beschränkt sich die 25-jährige Bertha noch weitgehend auf eine kraftvolle Begleiterrolle und gibt damit Elmos Improvisationsstrom alle Freiheit, die er braucht. Klar: Zu Hause haben die Hopes immer nur auf einem einzigen Klavier gespielt. In „Yesterdays“ dann fantasieren beide abwechselnd, dabei immer mit so viel Eleganz, Autorität und Raffinesse, dass es oft schwer fällt zu sagen, wer hier der Bebop-Veteran ist und wer die Studio-Debütantin. Diese Pianistin ist mehr als nur ein Talent.

Die Sechzigerjahre sind eine harte Zeit für Bebopper. Die Jazzclubs schließen, die Presse huldigt der Avantgarde, die Jugend hört Beat und Rock. Elmo Hope schlägt sich mit mittelmäßigen Pianisten-Jobs durch und gibt sie zuweilen an seine Frau ab, damit Bertha trotz Haushalt und Kindern in der Übung bleibt. 1967 stirbt Elmo an seiner Frustration – und einer Herzschwäche, dem Stigma der Ex-Junkies. Bertha, 30 Jahre jung, hat sich um drei kleine Kinder zu kümmern. Eine Zeit lang betreibt sie eine „Telefonband“, ein dauerhaftes Angebot von Art Blakey muss sie aus familiären Gründen ablehnen. Erst 1982 wendet sie sich wieder der Musik zu, kümmert sich um Elmos Nachlass, beginnt zu komponieren und sucht feste musikalische Partner.

Einer von denen, der Hardbop-Saxophonist Junior Cook, ehemaliger Horace-Silver-Frontmann, nimmt 1989 ein Stück von Bertha auf, eine kompakte, kleine Melodie namens „You Know Who“. Sein dänischer Produzent wird neugierig und verhilft Bertha Hope ein Jahr später zu ihrem Debüt-Album: „In Search Of... Hope“. Nicht so virtuos wie Elmo, nicht so verzinkt, lässt Bertha am Klavier die Pausen atmen, sie setzt ihre Noten pointiert, mit modernistischem Witz, manchmal fast monkisch – ein unverkennbar persönlicher Stil. „Meine Art zu spielen entspringt einer Art ökonomischen Denkens, denn ich habe kleine Hände“, sagt sie. Staunend hört man all die kleinen Ostinati, Rhythmuswechsel und Backbeat-Grooves, die dieses Trioalbum so spannend machen. „You Know Who“ ist natürlich mit dabei, wesentlich packender als bei Cook, und das erdige „In Search Of...“, ursprünglich Berthas „break tune“ zur Ankündigung der Pause im Club. Dazu ganz ungewöhnliche Balladen. Und im Herzen des Albums: zwei Stücke von Elmo.

Elmos Feuer – auch das „Elmsfeuer“ ist vom heiligen Erasmus abgeleitet – brennt erst recht drei Monate später im Quintett (natürlich mit Junior Cook). Bertha, die Nachlassforscherin und -editorin, baut das Album „Elmo’s Fire“ um vier Stücke ihres verstorbenen Mannes herum. Unvergesslich, wie sie zu Beginn die Melodie seines „Low Tide“ zunächst solo auf dem Klavier anspielt und wie die Band sukzessive dazukommt, immer dieses kleine Thema wiederholend, als wollten sie es mit Macht ins Standard-Repertoire prügeln. Auch sein „Bellarosa“, Track Nummer fünf, hätte übrigens das Zeug zum Mainstream-Evergreen. Auch als Solistin dominiert Bandleaderin Bertha Hope: Selbstbewusst, eigenwillig, hardboppig und phrasensicher bringt sie ihre Chorusse zum Glänzen. Als Stückeschreiberin brilliert sie mit ihrem fürs Quintett arrangierten asiatisch gefärbten „Bai Tai Blues“. Und dann sind da noch die Balladen: Berthas Latin-Nummer „Luna Negra“ mit Eddie Henderson an der gestopften Trompete, Sonny Fortunes großes „For Duke And Cannon“ als berückendes Pianotrio und Elmo Hopes „Mirror-Mind Rose“, eine überraschend kammermusikalische Miniatur. Über ihre erste persönliche Begegnung mit Elmo 1958 verriet Bertha einmal: „Als ich ihm sagte, dass ich mich an seinen Stücken versuche, schenkte er mir nur einen ungläubigen Blick.“ Ungläubig wäre sein Blick auch, wenn er das Album „Elmo’s Fire“ hören könnte. Und ehrfurchtsvoll. Und voller Liebe.

© 2010, 2017 Hans-Jürgen Schaal


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