Mein Ohrwurm
SOMMER 2009
Immer nur Relaxen wird auch langweilig...
Unrelaxte Sommeralben 2009, dringend empfohlen
1. Louis Sclavis: Lost On The Way (ECM)
2. Mars Volta: Octahedron (Warner)
3. Jan Zehrfeld's Panzerballett: Hart Genossen (ACT)
4. Mary Halvorson Trio: Dragon's Head (Firehouse 12)
5. Michael Denhoff: Player Piano 8 (MDG)
6. Angelika Niescier: Sublim III (enja)
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KW 27/2009
Call Me
(Blondie, 1980)
Es beginnt wie ein Song der frühen Uriah Heep, dann kommt diese unscheinbare Mädchenstimme, nur einfach die Molltonleiter entlang, ein gefallener blonder Engel auf dem Weg zum Sirenen-Refrain: Call me...! Als wäre das nicht genug, wird's im Mittelteil mysteriös und uh-uh-französisch und Giorgio Moroder hat sogar noch ein Synthesizer-Solo reinkomponiert. So etwas wird man nie mehr los.
CALL ME auf youtube
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KW 23/2009
Swedish Pastry
(Red Norvo Trio, 1950)
Der Meister in der Komposition origineller, asymmetrisch gebauter Bop-Blues-Themen war Charlie Parker. Aber auch Barney Kessel gelang ein besonders schönes und ohrwurmiges – eine Widmung an den schwedischen Klarinettisten Ake Hasselgard. "Ich schien eine besondere Inspiration zu haben", berichtete Kessel, "und merkte erst viel später, dass es den Song bereits gab." Oder jedenfalls einen sehr ähnlichen: "Carvin' The Bird", natürlich von – Charlie Parker. Kessel selbst hatte 1947 die Gitarre bei Parkers Aufnahme gespielt – und behielt davon wohl selbst einen Ohrwurm im Kopf.
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KW 20/2009
Sinfonie Nr.5, Andante con moto
(Ludwig van Beethoven)
Den ersten Satz mit dem Schicksalsmotiv, den kennt jeder. Beethoven verstand sich aber auf Effekte und ließ dem bekannten Dadadadamm! im zweiten Satz etwas so Sanftes, Gemächliches, Schwingendes folgen, dass man vor Hilflosigkeit weinen möchte. Ein Schleichmarsch in As-Moll, mal flüsternd, mal hymnisch, mit berückenden Holzbläserfarben. Schicksalsmächte auch hier.
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KW 16/2009
This Guy's In Love With You
(???)
Die Easy-Listening-Melodien der Sechziger besaßen einen ganz eigenen Tonfall, den man in den Siebzigern schon satt hatte. Ich habe diesen Bacharach-Song nie gemocht. Seit einiger Zeit höre ich ihn aber in meinem Kopf – vom Basie-Orchester gespielt, ein Neal-Hefti-Arrangement, katzenhaft schleichend wie "Li'l Darlin'", "Splanky" oder "Girl Talk". Unwiderstehlich. Leider gibt's keine Aufnahme davon.
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KW 12/2009
Uptown Top Ranking
(Althea & Donna)
Das war 1978 der ganze jamaikanische Charme relaxter Schlampigkeit. Ein quiekender Synthesizer, ein Reggae-Beat, ein paar Bläser. Und darüber einfach nur diese beiden 17-jährigen Gören, gar nicht besonders ansehnlich, mit ihrem kinderreimartigen, zuweilen dissonanten Sprechgesang. Der Text: ein ewiges Rätsel.
"Althea & Donna live"
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KW 11/2009
Eronel
(Thelonious Monk)
Monks Stücke sind Ohrwürmer der besonderen Art: eckig, bohrend, fiebrig. Dieser hier könnte die Essenz sein: schrill und unromantisch, aber immer wieder mit versöhnlichem Grinsen. Große Intervalle, kleine Intervalle, wie stückweise vom Himmel gefallen, schwer zu spielen.
Monk: Denksport mit Kanten
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KW 6/2009
Sinfonie d-Moll, Allegretto
(César Franck)
Was zu leichtfüßig ist für ein Adagio und zu schwermütig für ein Allegro, das wird gern zum Allegretto. Harfe, Geigenpizzicato und Englischhorn lassen hier die Herzfasern zittern. Bewegendes folgt, der Satz ist über 10 Minuten lang.
"Allegretto" auf youtube.com
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KW 5/2009
O Grande Amor
(Antonio Carlos Jobim)
Die einzige Bossa-Melodie, von der Stan Getz nicht genug bekam. Am schönsten vielleicht spielte er sie 1967 auf dem Album "Sweet Rain". Nie klang das Stück so ätherisch wie durch den Legato-Zauber seines Tenorsaxofons.
Wie man das Stück nicht hören möchte:
"O Grande Amor" auf youtube.com
Abgründiges über Stan Getz:
Sax und Sucht
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KW 4/2009
Walking On Air
(King Crimson)
Ein relaxter Surfbeat, ein warmes Mellotron, Robert Fripps verzwirbelte Gitarre im Hintergrund und im Zentrum Adrian Belews moosige Stimme aus der Echokammer: You don't have to worry, you don't have to try... Herz und Ohr, was wollt ihr mehr?
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KW 3/2009
Seriously Deep
(Eberhard Weber)
Diese schlichte Feierlichkeit besaßen nur die alten ECM-Platten. Mehr als vier Minuten Zeit nahm sich das Quartett Colours 1977 für den Durchgang durch das federleicht schwebende Thema. Charlie Marianos Sopransax summt dabei so schön zwischen den Ohren.
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KW 2/2009
Siciliano
(J.S. Bach)
Eines dieser Bachstücke, die man schon in Dutzenden von Transkriptionen, Pop-, Jazz- und Kitschbearbeitungen gehört hat. Dafür hat sich die kleine Melodie (aus der Flötensonate BWV 1031) doch ganz gut gehalten. Wetten, dass sie noch einige Generationen übersteht?
Hören, kaum schauen:
"Siciliano" auf youtube.com
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KW 1/2009
Isfahan
(Billy Strayhorn)
Raffinierte Chromatik oder orientalisches Sentiment? Die Harmonik bleibt rätselhaft, ein souveränes Saxofon ist fast obligatorisch. Im Ohr: Johnny Hodges 1966, Jim Odgren 1980, Joe Henderson 1991. Bohrt sich weich ins Seelenfleisch und bleibt da für immer.
Hören und schauen:
"Isfahan" auf youtube.com
Passend dazu:
Süßer Donner. Ein Gang durch Duke Ellingtons Jazz-Suiten
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