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Als Miles-Davis-Produzent Teo Macero und Jim-Jarmusch-Schauspieler John Lurie die Lounge Lizards erfanden, stöhnten hierzulande noch die Jazz-Puristen. Ein Saxophonist, der kein Saxophon spielen konnte! Ein Drummer, der keine Time hielt! Ein Gitarrist, der nur Kakophonien griff! Doch in Englands Klubs trafen Jazz-Fakes auf offene Ohren: Swingende Versatzstückchen kamen vor 15 Jahren erstmals groß in Mode.

Meine Platte
A bisserl Swing fürs Bistro
(1997)

Von Hans-Jürgen Schaal

Ein DJ namens Paul Murphy hatte 1981 die glorreiche Idee, Londons Teenager zu alten Blue-Note-Platten hopsen zu lassen. Als sein Chef sah, daß es funktionierte, gründete der gleich eine eigene Band, benannte sie nach einer Komposition von Dave Brubeck und besang die Mythen der 50er Jahre. Die Band hieß Blue Rondo A La Turk, trug Elvis-Tolle und Ziegenbärtchen und bot eine Mischung aus Edgar-Wallace-Soundtrack und Latin Fiesta. Dann machte sich der Gitarrist und Background-Sänger der Band selbständig: Der Walking-Baß kam aus dem Synthesizer, Jazz-Legende Ronnie Ross blies die Saxophon-Soli, Blickfang Basia sang die Chorus-Riffs, und das Ganze hieß Matt Bianco. Das Debüt-Album "Whose Side Are You On?" fegte 1984 durch alle Boutiquen und Martini-Bars: ein dekadenter Bastard aus Disco und Swing.

Profunder ging die Sängerin Carmel McCourt mit ihrer Band Carmel zu Werke. Oft nur vom akustischen Kontrabaß und einem kleinen Schlagzeug begleitet, erinnerte sie an eine verhinderte Gospel- und Soul-Diva: Blond, blaß und britisch, stellte sie eine Stimme in den verhallten Raum, die rauh, laut und metallen war. Auf ihrer ersten Platte "The Drum Is Everything" (1984) kommt uns McCourt als schrill-kühle Janis Joplin auf der Suche nach Voodoo-Zaubern. "Stormy Weather", "Willow Weep For Me" und andere Standards hatte man so nackt noch nie gehört.

Ein Hauch von Jazz lag plötzlich überall in der Luft, und ohne Saxophone ging gar nichts mehr: Die Werbung brauchte sie, das Kino brauchte sie, selbst Tina Turner brauchte sie. In London nannte sich die brodelnde Szene experimenteller Popmusik plötzlich "New Jazz". Namen wie Style Council, Working Week, Everything But The Girl, Sade oder Viktor Lazlo machten das jazzige Als-ob zum Trend. Als eine Saison lang ein Stil namens Acid die Discos beherrschte, kreierte ein findiger Mensch den Namen Acid Jazz: aktueller Dancefloor-Sound mit Jazz-Zutaten. Gilles Peterson hieß der Schlaukopf, der dann jahrelang damit beschäftigt war, aus alten Blue-Note-Platten oder neuen Acid-Jazz-Klängen Samplers zu kompilieren. Einer der schönsten Acid-Sampler ist nicht von ihm: Er heißt "Get Wise!" (1986) und featuret legendäre Acts wie Loose Tubes, Jazz Defektors und A Man Called Adam.

Abseits des Dancefloor-Sogs von Acid Jazz und HipHop Jazz kam es Ende der 80er zu einer wundersamen Spätblüte angejazzter Popmusik. Die Band Fairground Attraction machte stille Songs zwischen Jazz und britischer Folklore mit Klangbeigaben von Mandoline, Akkordeon und einer akustischen Baßgitarre aus Mexiko. Anscheinend mühelos wechselt Sängerin Eddi Reader zwischen Londons Pubs und Louisianas Cajun-Küche hin und her und zitiert unterwegs noch Billie Holiday und Ella Fitzgerald. Nachzuhören ist dieses Kunststück auf der Platte "The First Of A Million Kisses" (1987).

Auf dem Kontinent versuchte sich die belgische Band Vaya Con Dios an einer eher frankophilen Synthese von Popsong und Jazz. Sängerin Dani Klein, überzeugend in der Rolle der Luxus-Schlampe, singt auf der Debüt-Platte "Vaya Con Dios" (1988) von amerikanischen Großstädten, karibischen Inseln und untreuen Lovern und wechselt frech zwischen Bar-Swing und Soul-Shouting. Für die musikalische Mixtur aus Zigeunergitarre, Bläser-Riff und Late-Night-Blues war der Kontrabassist Dirk Schoufs verantwortlich, der leider nach der zweiten Produktion verstarb.

Ganz andere Brückenschläge gelangen Michelle Shocked auf ihrer Platte "Captain Swing" (1989). Das streitbare Südstaaten-Mädel, das so gern gemütliche Country-Klänge mit schrillen, punkigen Dornen spickt, bedient sich hier halbironisch am amerikanischen Kulturgut des Bluegrass, Big-Band-Swing und Dixieland. Daß sie darüber ihre Songtexter-Qualitäten nicht vernachlässigte, macht die Platte zu einem eher schwerwiegenden Spaß. Für Zeilen wie "God is a real estate developer" oder "Silence is golden, words are made of lead" gebührt Michelle mindestens der Pulitzer-Preis.

Den Schlußpunkt des Popjazz-Jahrzehnts setzte ausgerechnet Superstar Madonna, die blonde Ikone im verfilmten Comic "Dick Tracy". Ihr davon inspiriertes Album "I'm Breathless" (1990) spielt noch einmal virtuos mit Versatzstücken aus 20er-Jahre-Showtunes, Broadway-Bombast, Latin Fever und Swing. Miss Ciccone singt zwei neue Songs von Meister Stephen Sondheim, läßt sich von Jazz-Größen begleiten und fetzt durch "Hanky Panky" in bester Matt-Bianco-Manier - nur ein bißchen perfekter. Der Popjazz war klassisch geworden und damit erledigt.


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