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Wer sich bei echtem Jazz-Adel zum Brunch anmeldet, bekommt einiges geboten: Austernfrühstück mit Champagner, erlesenes Tischbesteck, Kronleuchter mit Duftkerzen und einen livrierten Butler. Dann, der Höhepunkt: der Hausherr selbst. Auftritt: Herzog Edward von Ellington im Morgenmantel aus violetter Seide, das Nackenhaar frisch onduliert, exquisites Eau de Toilette und blumige Reden verströmend. War da nicht noch etwas? Richtig, die Musik!

Austern im Dschungel
Ein Blindfold-Test mit Duke Ellington
(1999)

Von Hans-Jürgen Schaal

1. Tommy Flanagan: Sunset and the Mockingbird (1998, Blue Note)

Die Queen's Suite! Das Vergnügen, für Ihre Reizende Majestät zu spielen, ist mir immer unvergeßlich geblieben. Die Königin war so entzückt über unsere kleine Musik, daß sie mir die allerliebsten Komplimente machte, die ich selbstverständlich doppelt und dreifach zurückgab. Ein frisches, junges Ding damals, ganz charmant, enchanté! Selten habe ich mich so an meinem natürlichen gesellschaftlichen Platze gefühlt. Sie müssen wissen, ich hieß schon als Kind "The Duke" und ertrug gnädig die Huldigungen der Nachbarschaft. Hier müßten jetzt die Saxophone einsetzen, weich und schwer wie königlicher Burgunder... Keine Saxophone? Mmh... Diese Austern sind wirklich ganz frisch, greifen Sie zu! Ihr Tastenkünstler macht das übrigens ausgezeichnet. Ich bemerke einen Anklang von Noblesse, von stiller Eleganz. Was sagen Sie? Flanagan, dieser junge Bebop-Lümmel? Sieh an, sieh an! Nun ja, Manieren hatte er früher schon.

2. Glenn Ferris: Azure (1994, enja H.W.)

Ah, die Geige des Jazz-Orchesters: Ganz so muß eine Posaune klingen. Das ist für mich wie bittersüßes Schokoladeneis, lichtbraun unter grünen Pistazienraspeln, das Ganze serviert in einer edlen Schale aus tiefblauem Glas. In aller Bescheidenheit möchte ich anmerken, daß ich es war, der dieses Azurblau in die Musik brachte. Das ist nicht der Blues der Armut und des Ghettos, sondern das schwebende Indigo der einsamen und traurigen Seelen. Afro-amerikanische Melancholie mit Stil, wenn ich so sagen darf. Archie, noch etwas Zitrone, bitte! Mir will scheinen, alle gute Musik ist schließlich doch nur eine Frage der Kolorierung, und für Farben besaß ich Talent. Mundet der Champagner? A votre santé! Ja, die Farben: Wußten Sie, daß ich ein erfolgreicher Werbegraphiker hätte werden können?

3. Don Byron: The Dicty Glide (1996, Nonesuch)

Gewiß kein chef d'oeuvre, nur eins meiner frühen Stückchen, aber mit welch entzückendem Elan gespielt! Man sieht ja förmlich wieder diese jungen Jitterbugs hopsen in ihren dünnen Kleidchen. Viel Fleisch hatten sie nicht auf den Rippen damals, unsere Musik übrigens auch nicht. Mit drei, vier Stücken, dargeboten in drei verschiedenen Tempi, konnte man einen ganzen Abend bestreiten und bekam obendrein ein sicheres Rendezvous mit einem dieser Flitterpüppchen. Nun ja, das war unser schönster Lohn, ich muß Ihnen das nicht sagen. Ein Klavierspieler fand immer eine nette Lady. Möchten Sie noch von den Austern?

4. Buckshot LeFonque: Jungle Grove (1997, Columbia)

Diese Raketenmusik nennt ihr jungen Leute "Jungle"? Ich vermisse die Magie, die Schwüle, das Amüsement. Meine gute Ma war damals der Ohnmacht nahe, als sie aus dem Radio erfuhr, ihr geliebter Edward - das war ich - verdiene sein Geld mit Dschungelmusik! Dabei war der Jungle-Stil nicht meine Erfindung, sondern ein Geniestreich des armen Bubber Miley. Das konnte ich immer am besten: die Ideen meiner Solisten auskomponieren. Die begabten Jungs lieferten die Zutaten, und ich war der Chef de Cuisine. Ah, hier kommt ja das Dessert! Wundervoll! Bei dieser Raketenmusik allerdings hätte auch ich wenig zum Anrichten gefunden. Aber darauf kommt es bei Fast Food - ich bin da kein Kenner - wohl nicht so an.

5. Django Bates: Nights At The Circus (Storyville, 1998)

Das scheint mir einer dieser weißen Straßenbengel zu sein, vor denen mich meine Familie immer gewarnt hat. Eines kann ich dem Burschen nicht abstreiten: Er instrumentiert wie ein Zirkusdirektor. Wie er die Tonarten wechselt und die Klänge in dynamischen Kontrast zueinander setzt, das sind höchst amüsante Zaubertricks, nicht gerade schulmäßig. Auch ich habe mir viele Kunstgriffe selbst beigebracht, und aus dem gemeinhin Unorthodoxen und Fehlerhaften wurde am Ende etwas wie ein persönlicher Stil. Freilich sollte der Kerl ökonomischer vorgehen: Aus diesem Material hätte unsereiner mit Leichtigkeit zwei ganze Suiten gebastelt. Aber nehmen Sie doch noch von dieser wunderbaren Mousse!

© 1999, 2002 Hans-Jürgen Schaal


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