JAZZ FICTION Teil 3.
Der Roman "Invisible Man" gilt als Zentralwerk der afro-amerikanischen Literatur. Er brachte seinem Autor nicht nur hohe Auszeichnungen ein, sondern versorgte ihn für den Rest seines Lebens mit Professorenstellen. In seinen (häufig ironischen) Essays bewies Ralph Ellison eine glasklare, besonnene Einschätzung der schwarzen Realität, der modernen Literatur und des Jazz. Eigentlich wollte er ja Jazz-Trompeter werden.
RALPH ELLISON
Blaue Flamme im Dunkeln
(2001)
Von Hans-Jürgen Schaal
Der ambitionierte Papa verpasste ihm die Vornamen des bekannten Schriftstellers Ralph Waldo Emerson und träumte von einem kleinen Dichter. Doch von der Mutter bekam Ralph mit acht Jahren sein erstes Kornett und von da an war alles klar: Er war ein Musiker! Der kleine Trompeter übte fleißig, terrorisierte mit seinem Horn erbarmungslos die Neighborhood. "Ich machte ganze Blocks von Menschen leiden", schrieb er später schmunzelnd. Denn Ralph übte auch sonntags, am liebsten schon vor dem Frühstück: die Doppel- und Dreifachzunge nach Arban, die jüngsten Soli von Hot Lips Page. Unentschlossen zwischen Klassik und Jazz, nahm er auf der High School Unterricht beim Dirigenten Hebestreit und blies nebenbei heftig den Blues. Nach Vorschrift spielen oder nach dem Herzen? Schließlich entschied er sich für das Zweite. Für den Jazz.
Ralph Ellison wuchs in Oklahoma City auf, wo der Kansas-City-Jazz perfektioniert wurde. Schon mit neun kannte er Charlie Christian, der in die gleiche Klasse ging wie Ralphs jüngerer Bruder und sich Gitarren aus Zigarrenkisten bastelte. In Oklahoma City hörte Ralph auch erstmals Lester Young: Der saß auf einem Schuhputzer-Stuhl, blies mit zurückgelegtem Kopf ins seitlich weggedrehte Sax und trampelte auf den Fußbrettern. Der Local Hero der Stadt war Jazz-Sänger Jimmy Rushing, dessen Stimme vier Blocks weit schmetterte - "wie eine blaue Flamme im Dunkeln". Rushing wurde ein guter Freund, mit dem man stundenlang telefonieren konnte. Die Figur Rinehart aus Ellisons Roman "Invisible Man" stammt aus einem von Rushings Songs.
Noch zu jung, um die Tanzabende zu besuchen, traf sich Ralph oft mit seinen Peers unter einer Straßenlampe, lauschte den fernen Klängen und versuchte sie zu entziffern. "Wer weiß schon, wovon der Jazz wirklich handelt?", schrieb er 1962. Für die Jungs damals sprach der Jazz von den obszönen, verbotenen Gelüsten der Erwachsenen. In der Erzählung "Zwei skalpierte Indianer" sagt es einer von ihnen so: "Mann, wenn die Weißen eine Ahnung hätten, was der Kerl da auf der Trompete spielt, würden sie ihm glatt den Hals umdrehen." Die Jazzmusiker am Rande der Gesellschaft - nicht korrumpiert von Lügen, nicht getrieben von der Aussicht auf Geld oder Ruhm, nur vom Wunsch nach ehrlicher Musik - werden zu Vorbildern. Ellison vergleicht sie mit religiösen Führern, begabt in der Kunst der Ekstase, der Erweckung des Gefühls. "Einige von ihnen tragen ihr Instrument wie ein Priester das Kreuz." Reverend Hickman in der unvollendeten Roman-Saga "Juneteenth" ist natürlich ein ehemaliger Jazzmusiker.
Der spätere Universitätsprofessor Ellison wächst in Armut auf. Er lernt jagen, arbeitet als Fahrstuhlführer, reist mit Güterzügen. "Wir hatten eine Negerkirche und eine Schule nur für Schwarze, ein paar Hütten und Bruderschaften, und jenseits davon gab es die weite weiße Welt." Für die offizielle Gesellschaft blieben die Schwarzen, ihr Denken und Fühlen, unsichtbar. "Ich mag Louis Armstrong gern, weil er aus Unsichtbarsein Poesie macht", heißt es im Roman. "Und weil ich über Unsichtbarkeit Bescheid weiß, kann ich seine Musik verstehen." Als Stipendiat auf dem Tuskegee Institute in Alabama entdeckt Ellison die Literatur: "Ich gab die Musik nicht auf, aber durch unaufhörliches Lesen fand ich Interesse am Schreiben." Mit Staunen erkennt er künstlerische Parallelen zwischen T.S. Eliot und Louis Armstrong.
Als junger Schriftsteller in Harlem, gefördert von Richard Wright, fühlte sich Ellison häufig von der Musikalität der Hinterhöfe gestört - und begann einen Musik-Krieg. Wenn eine Sopranistin zu laut trällerte, antwortete er mit einer Bessie-Smith-Platte, "um sie an die Erde zu erinnern, aus der wir kamen." Oder mit Armstrongs "I'll Be Glad When You're Dead, You Rascal You!" Minton's Playhouse, wo der Bop entstand, erlebte er in den 40ern als ein Stück Utopie: Prostituierte sitzen neben Professoren, Schwarz neben Weiß. Eine Welt im Wandel, ein magischer Ort, das Café Voltaire des Bebop. Die Musik dort ist nicht erinnerungsselig, sondern der Augenblick selbst, "eine Textur von Fragmenten, oft wiederholt, nervös, unfertig." Ellison beobachtet Charlie Parker und erkennt den tieferen Sinn seines Ehrennamens "Bird": Parker ist die Spottdrossel, die nur in der Nacht singt, die Lieder der anderen Vögel auseinander nimmt und die "Cats" (die anderen Jazzmusiker) wild macht. Und am Ende doch gerupft wird.
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RALPH ELLISON
1914 Geboren in Oklahoma City
1933-1936 Musikstudium am Tuskegee Institute in Alabama
1936 Geht zum Studium der Musik und Bildhauerei nach New York
1937 Erste Roman-Rezension, erste Kurzgeschichte. Mitarbeit am New York Writers Project
1942 Herausgeber von "Negro Quarterly"
1944 Kriegsdienst bei der Handelsmarine
1945 Beginnt den Roman "Invisible Man"
1952 "Invisible Man" erscheint. National Book Award
1954 Beginnt seinen zweiten Roman
1955-1957 Mitglied der American Academy in Rom
1958-1970 Professuren an verschiedenen amerikanischen Universitäten und Colleges
1964 Essayband "Shadow And Act"
1967 Kurz vor Vollendung des zweiten Romans wird das Manuskript im Sommerhaus in Massachusetts ein Raub der Flammen. Ellison beginnt noch einmal von vorne
1970 Übernimmt den Albert-Schweitzer-Lehrstuhl an der New York University
1994 Stirbt in New York
1999 "Juneteenth" erscheint, eine editierte Fassung des unvollendeten zweiten Romans
© 2001, 2004 Hans-Jürgen Schaal
© 2001 Hans-Jürgen Schaal |