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Den einen galt er als Gigant, den anderen als Kobold. Er begriff Thelonious Monk und spielte Jazz auf Gamelan-Instrumenten. Er gehörte zu den Free-Jazz-Revolutionären und erfand die Weltmusik im esoterischen Mäntelchen. Wer war Don Cherry wirklich? Eine Annäherung.

Don Cherry
Frei unter freiem Himmel
(1996)

Von Hans-Jürgen Schaal

Damals, in den späten 60er Jahren, als die Musik immer lauter wurde, der Free Jazz kollabierte, die elektrischen Sounds dröhnten und die große Ekstase um sich griff, setzte er ein stilles Zeichen: Don Cherry packte einfach seine Flöten aus. Flöten aus Keramik, Metall, Bambus, Holz und Plastik, Flöten aus Haiti, Indien, China und Südamerika. Chancenlos gegen Saxophone und E-Gitarren, schufen sie sich ihren eigenen Raum: Die Ohren der Lärmgewohnten wurden neu gestimmt. Kein Instrument war ihm zu gering für seine Botschaft. Bald blies er indianische Hymnen auf der Melodica, hämmerte afrikanischen Rhythmus auf dem Doussn'Gouni, mummelte einen Railroad-Blues durchs Kazoo. Statt der seriösen Trompete spielte er am liebsten ein Taschen-Kornett.

Seine Kindheit verbrachte Don Cherry vorzugsweise im Baumhaus und mit der Jagd auf Kaninchen. Die Mutter kam aus einem Reservat in Oklahoma, wo Erde, Gras, Wasser, Bäume und der Himmel den Indianern heilig sind. Wenn er von seiner Musik sprach, beschwor er die Natur und die Natürlichkeit. Eins seiner Stücke hieß "Humus". Statt seiner Unterschrift zeichnete er manchmal ein Prärieland mit Bergen, Vögeln, Wolken und Gestirnen hin. Sonnenuntergang? Herbststimmung?

Am Anfang war er nur "der Freund von Ornette Coleman, der auch Trompete spielt". Später sprang die Perspektive um. Derek Bailey: "Er war die eigentliche Schlüsselfigur". Der Schamane, der dem Neuen Jazz Leben und Atem einblies. Kein Virtuose, sondern einer, der Musik verströmte. Der einfach seine Melodien in die Welt pustete, und sie paßten immer. Nicht nur Coleman schenkte er diesen Zauber, auch Steve Lacy, Rollins, Coltrane, Ayler, Shepp. Dann hatte er seine eigene Band, seine eigene ästhetische Lösung: die freie Suiten-Form, in der sich das Kollektiv selbst entwickelt. Stichwort: Togetherness. Complete Communion. Symphony For Improvisers.

Es gab ein Leben vor Ornette, da spielte Don Cherry mit Beboppern wie Dexter Gordon und Wardell Gray. 1956 traf er den Texaner und wurde sein größter Verehrer. Schon auf einer der ersten Platten schrieb Coleman: "Er kennt mehr Kompositionen von mir als ich selbst." Auch Coleman-Kenner mögen da rätseln: Ornette's Concept, Ornette's Tune, Drip-Dry, Sortie, Handwoven, New Dream, Open Or Close. Der Trompeter spielte alle diese Coleman-Stücke. Er spielte sie mit "Old And New Dreams", im Duo mit Ed Blackwell, mit skandinavischen Musikern und selbst mit Codona, dem All-Star-Trio der Weltmusik.

Den Konzepten des Free Jazz war eines gemeinsam: der Bruch mit der europäischen Song-Tradition, mit Chorusformen, Zählzeiten, Changes. Östliches kam damals in Sicht: Afrika, Islam, Indien. Don Cherry zog die musikalische Konsequenz und schob dem Jazz andere Traditionen unter - balinesische, japanische, arabische, südamerikanische, indische, indianische, afrikanische. Er machte uralte Verwandtschaften hörbar, mischte die Regeln und Ideologien, zigeunerte rund um den Globus, zitierte die Glaubenssätze der verschiedensten Religionen. Mit ihm musizierten der Südafrikaner Johnny Dyani, der Türke Okay Temiz, der Inder Trilok Gurtu, der Brasilianer Nana Vasconcelos. Doch sein idealer Partner blieb Ed Blackwell, der den Free Jazz schon immer afrikanisch buchstabierte.

Universal Music. Eternal Rhythm. Don Cherry war der Schutzheilige der Weltmusik, der Stammvater des Ethno-Jazz. Später rappte er mit der afro-französischen Szene von Paris, trat mit Tochter Neneh und Rip Rig & Panic auf, spielte mit Chicagos Mandingo Griot Society. Am Ende hängte er sich an den selbst geschaffenen Trend an und nannte seine letzte Platte "Multi Kulti". Mitten im Bundesstaat Mississippi, auf halbem Weg zwischen Memphis und New Orleans, im Geburtsland der schwarzen Musik Amerikas, liegt ein Reservat der Choctaw-Indianer. Der Jazzklub der Eltern hieß "The Cherry Blossom", der Halbindianer wurde Buddhist, und seine Melodien schweben schwerelos zwischen den Kulturen. Über das bergige Prärieland ziehen Wolken, Vögel durchkreuzen den Himmel, Sterne ziehen auf. Sonnenuntergang. Herbststimmung. Es ist ein Tag im Oktober, als Don Cherry stirbt.

© 1996, 2002 Hans-Jürgen Schaal


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