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Ihm gelang das Kunststück, die Wurzeln und die Avantgarde des Jazz miteinander in Einklang zu bringen. Der Mann aus Georgia ging durch die lange Schule des Rhythm & Blues, ehe er sich auf den Weg nach New York machte. Dort suchte er das Erbe des Free Jazz und fand es bei Charles Mingus, McCoy Tyner und James Blood Ulmer. In ihren Dienst stellte er seine Saxophonstimme und sein Charisma.

In memoriam
George Adams
(1994)

Von Hans-Jürgen Schaal

George Adams war der ideale Mingus-Saxophonist: erdig und traditionsbewußt und zugleich zu freiem und ekstatischem Ausdruck fähig. Wie seine Vorgänger Eric Dolphy, Roland Kirk oder Jackie McLean war Adams einer, der seine Persönlichkeit schon in den ersten Takt einbrachte. Man mußte ihn nicht provozieren, damit er sein musikalisches Bekenntnis offenbarte. Das Verblüffende und Überzeugende, das von seinem Tenorspiel ausging, war dabei die Mischung der Komponenten - der kraftvollen Intonation eines Coleman Hawkins, des Soul-Grooves eines Stanley Turrentine, der fast religiösen Geste eines John Coltrane. Und doch ergab das alles zusammen einen individuellen Sinn: George Adams war unmißverständlich George Adams. Sein Tonfall machte ihn unverwechselbar.

Im Spiel von George Adams sind die "roots" des Jazz kein Klischee, sondern gelebte Erfahrung. Der 1940 in Covington (Georgia) geborene Saxophonist ist mit der Musik der Südstaaten großgeworden, begleitete Kirchenchöre, stieg bei Blues-Sessions ein und war schon mit 16 professioneller Musiker. Sein Jugendfreund Sirone, der Free-Jazz-Bassist, erinnert sich: "George und ich, wir waren 14 oder 15. Wir wollten es wissen und hatten unsere eigene Band - Trompete, Posaune, Tenorsaxophon und Rhythmusgruppe." Sirone ging 1965 nach New York, Adams drei Jahre später. Noch 1988 spielten sie zusammen in der Free-Funk-Band "Phalanx" und auf George Adams' Blue-Note-Platte "Nightingale".

Der Saxophonist absolvierte nicht nur das Clark College in Atlanta, sondern auch die harte Schule des Soul und Rhythm & Blues. Er spielte sich viele Jahre lang durch die Klubs der Südstaaten, blies sein Horn für Sam Cooke, Little Walter, Jimmy Reed und brachte den Blues in die Orgelcombos von Lonnie Smith und Bill Doggett. Diese Vergangenheit war in späteren Jahren sofort wieder präsent, wenn sein Saxophon ins ausdrucksstarke Falsett sprang - das Erkennungszeichen der Soulsänger, ein Überbleibsel afrikanischer Sexualriten. "Manchmal denke ich, ich singe durch mein Horn", sagte Adams selbst. Zuweilen sang er auch buchstäblich: "Seriously Speaking", "Don't Lose Control" oder "I Could Really Go For You" präsentierten George Adams als Blues-Shouter - immer mit denselben Strophen, demselben Backbeat.

Erst mit 28 Jahren kam der Saxophonist nach New York und spielte bei Art Blakey, Roy Haynes und Gil Evans, bevor er seinen Durchbruch in der Band von Charles Mingus hatte. Zwischen 1973 und 1976 war Adams der Hauptakteur in einer der letzten Besetzungen des großen Bassisten - mit Jack Walrath (tp), Don Pullen (p), Dannie Richmond (dr). In großzügig bemessenen Soli offenbarte er da alle Schattierungen seines Tenorspiels, gurrte und flüsterte die Balladen, heulte den Blues, kreischte sich zur Ekstase. Nie klang ein Ton von ihm unbeteiligt, gelangweilt oder uninspiriert. George Adams war ein Meister darin, den Instrumentalklang zu kneten und zu formen, ihm kreatürliches Leben einzuhauchen. Selbst sein meisterliches Arpeggio überstieg die technische Etüde und wurde zu purer Seelenmusik.

Als Mingus keine "working band" mehr leiten konnte (er dirigierte nur noch vom Rollstuhl aus), gingen Adams und Pullen ihrer Wege, verloren sich aber nicht aus Aug' und Ohr. Dannie Richmond, der den Bassisten 20 Jahre lang begleitet hatte, hielt ihm bis zuletzt die Treue. Erst nach Mingus' Tod im Januar 1979 fanden Adams, Pullen und Richmond wieder zusammen und gründeten mit dem Bassisten Cameron Brown ein Quartett, dessen geistiger Vater unverkennbar war, auch wenn man den Namen "Mingus Dynasty" ablehnte. Schon 1979 entstand die erste Platte des George Adams/Don Pullen-Quartetts, das fast zehn Jahre lang in unveränderter Besetzung Bestand hatte. Die Zusammenarbeit endete mit Dannie Richmonds Tod im März 1988.

Das Adams/Pullen-Quartett war einer der hellsten Lichtblicke im akustischen Jazz der 80er Jahre. Abseits vom eher konservativen Bop-Mainstream machten diese vier Individualisten einfach eine spannende Musik, in der die ganze Jazz-Geschichte zwischen Tradition und Avantgarde aufgehoben war. Für Cameron Brown (ehemals Bassist von Archie Shepp) und Mingus' Intimus Dannie Richmond waren treibende Grooves und eine freie Spielauffassung niemals Gegensätze gewesen. Prägende Kraft in der Band war Pianist Don Pullen: als Komponist höchst originell, als Begleiter unberechenbar und als Solist mit einem ganz eigenen Stil - oft gekrönt von einem Orkansturm melodisch konzipierter Clusters. Die menschliche Stimme des Quartetts jedoch lieferten George Adams' Saxophon, Flöte und Gesang: mitteilsam und mitreißend, engelhaft oder zornig. Dieser Seelenton war Sprachrohr und Erkennungszeichen in einem, unerläßlich für den Erfolg und die Identität der Band.

Auch andere wollten auf den oft herzergreifenden Sound aus George Adams' Horn nicht verzichten. Für Hannibal Marvin Peterson spielte er "Motherless Child" im Andenken an die gemordeten Kinder von Atlanta. Gil Evans und Gunther Schuller stellten Adams' atmendes Tenor dem Klangkörper ihrer Big Bands gegenüber. In verschiedene "Mingus Dynasties" brachte der Saxophonist seine unverkennbare Vitalität ein und mit ihr den unbequemen Geist seines Lehrers Mingus. Im Free Funk des Gitarristen James Blood Ulmer sorgte er für Groove und Feeling und schlug die Brücke zur Tradition der schwarzen Musik. Zuletzt aber zog es ihn immer wieder zur Hymne, zum Gospel, zur Südstaaten-Religion zwischen Inbrunst und Sentimentalität. "Nobody Knows", "Precious Lord", "His Eye Is On The Sparrow" oder "Swing Low Sweet Chariot": Keiner wird sie mehr so spielen wie George Adams. Selbst wenn er Kitsch vortrug, als wäre es ein Gebet - "What A Wonderful World" oder "Bridge Over Troubled Water" -, entkam er meist der Peinlichkeit.

George Adams war beinahe 30, als er nach New York ging: ein Spätstarter im Jazz. Er war 40, als er seine ersten Platten unter eigenem Namen machte. Er war 52, als er starb. Precious Lord, take my hand.

© 1994, 2004 Hans-Jürgen Schaal


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