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Vor drei Jahren präsentierte Joe Lovano ein ganz besonderes Tenorsaxophon, das "straight tenor": Es läuft gerade durch bis knapp überm Boden, der Schalltrichter zeigt nach unten. Als Michael Marcus davon erfuhr, setzte er sich sofort mit der Firma L.A. Sax in Verbindung: "Ich fand, ich wäre der Richtige, dieses Instrument zu spielen, denn ich bin mit diesem Baukonzept am besten vertraut." In der Tat: Seit Jahren verwendet Marcus ein "straight alto" und ein Saxello (oder Manzello, ein modifiziertes Sopransax) als Hauptinstrumente in seinem reichhaltigen Saxophon-Arsenal. "Die geraden Saxophone haben einen einzigartigen Ton", sagt der 46jährige Multi-Instrumentalist, "offen, unaggressiv, mehr wie eine Singstimme. Ich verwende dafür ein weites Mundstück und ein sehr hartes Blatt, und es ist dann, als ob man durch das Instrument singt."

Michael Marcus
Der offene Klang
(1999)

Von Hans-Jürgen Schaal

Eine Aufnahme von Rahsaan Roland Kirk war es, die Marcus auf den Geschmack brachte: "If I Should Lose You" mit Roy Haynes (1962), gespielt auf dem Stritch, dem geraden Buescher-Alt. Musiker wie Kirk gaben auch stilistisch immer die Richtung vor: Starke Emotionen sind Marcus wichtiger als technische Geläufigkeit. Er selbst kommt aus dem Blues, spielte in den Bands von Albert King, Bobby Bland, Jimmy McCracklin. "Das Fundament ist der Cry des Blues. Auch wenn du 'out' spielst, darfst du die Grundlagen nicht vergessen. Dolphy war ein gutes Beispiel dafür, er war ein unglaublicher Blues-Spieler." Mit Sonny Simmons, Dolphys ehemaligem Partner, nahm Marcus zwischen 1982 und 1996 drei Platten auf: Es sind Leute wie Simmons, Jaki Byard, Frank Lowe, Makanda Ken McIntyre, diese knorrigen, nicht domestizierten Veteranen der freien Ära, die seine Kreativität am stärksten herausfordern. "Sie sind alle etwas Besonderes: Sie haben diese Schönheit, diese Seele in ihrem Spiel."

Natürlich bekam Michael Marcus dann auch sein "straight tenor" - im November 1997, nur wenige Tage vor einer längst angesetzten Aufnahmesession mit dem Trio von Jaki Byard. "Ich hatte ein altes Tenor-Mundstück von Pharoah Sanders, das ich benützen konnte. Ich plante, das neue Horn auf ein oder zwei Stücken einzusetzen, aber es klang so gut, daß ich dann die halbe Platte damit machte." Der offene Sound und Marcus' spontane Flucht ins Ungeprobte gaben der CD "Involution" (Justin Time/inakustik) ihren besonderen Charme: eine wildwüchsige, fremdartige Schönheit. "Ich bemühte mich um einen Ton, den sonst niemand hat. Das ist einer der Gründe, diese Instrumente zu spielen: Du willst einfach anders klingen als andere. Bevor man die Noten hört, hört man diesen Sound."

© 1999, 2004 Hans-Jürgen Schaal


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