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Im Anfang war der Steinway. Der stand mitten im Wohnzimmer des Villinger Fabrikanten Hans-Georg Brunner-Schwer - unter Insidern auch bekannt als "Millionen-Schwer". Der Vater: ein erstklassiger Violinist. Die Mutter: Erbin des Saba-Konzerns. Sohn Hans-Georg: ein Klavier-Enthusiast und genialer Tontechniker.

Schwarze Klänge aus dem Schwarzwald
Das Label MPS
oder: Wie wird man ein deutscher Jazzproduzent?
(1994)

Von Hans-Jürgen Schaal

Wie unter Leuten mit Geld üblich, wußte er, wie man Künstler behandelt: mit Respekt und Freigebigkeit. Regelmäßig lud der Jazzfan amerikanische Musiker zu privaten Partys und Konzerten in seine Villa, verwöhnte sie mit vortrefflicher Kost und Logis. Die Musiker wußten, daß sie nicht nur eine offene Geldbörse erwartete, sondern auch ein offenes Ohr: sensibel für pianistische Finessen, klangtechnische Probleme und Kollegen-Empfehlungen. Oscar Peterson vermittelte Monty Alexander, Hans Koller machte mit Martial Solal bekannt. Alles weitere fiel bei Brunner-Schwer unter die Rubrik Gastfreundschaft.

Auch bei Weltfirmen wie Philips oder Sony kennt man das Problem: Wer Unterhaltungselektronik herstellt, braucht die Software dafür. Also begann Brunner-Schwer 1963, für die Familien-Firma Schallplatten zu produzieren. Fünf Jahre später, als Saba an einen Multi verkauft wurde, holte er sich die Aufnahmen zurück und gründete sein eigenes Ding: MPS, Musik Produktionen Schwarzwald - das erste deutsche Jazzlabel.

So kam es, daß der Partygast von einst, Weltstar Oscar Peterson, von 1969 bis 1972 bei einer deutschen Plattenfirma unter Vertrag stand (bevor er zu seinem alten Produzenten Norman Granz zurückkehrte). Wie früher saß Peterson im Villinger Wohnzimmer, nur der Gastgeber machte sich rar: Der saß im Tonstudio zwei Stockwerke höher und hielt über eine Fernsehleitung den Kontakt. Peterson spielte für ihn im Solo, im Duo, im Quartett, später auch mit Big Band und Gesangsgruppe. Bis in die späten Nachtstunden arbeitete man zusammen, entwickelte eine Beziehung höherer Natur. "Diese Freundschaft hat etwas Geheimnisvolles an sich", sinnierte Brunner-Schwer damals. "Mein Englisch ist etwa genauso gut wie Oscars Deutsch, das heißt: Wir können uns nicht mit Worten verständigen." Das war offenbar nicht nötig: Man spielte das gleiche Instrument.

In jenen Jahren des Umbruchs, als akustischer Mainstream unzeitgemäß war, bot der sagenumwobene Schwarzwald vielen ein Asyl. Nicht nur etablierte Musiker aus den USA, sondern gerade auch junge oder vergessene Talente aus Ländern mit weniger Jazz-Tradition stießen hier auf klangmeisterliches Interesse. Brunner-Schwer entdeckte den Stuttgarter Wolfgang Dauner, nahm Pianisten aus ganz Europa auf (aus Frankreich, Österreich, England, Holland, Ungarn, Jugoslawien, Spanien, der Tschechoslowakei) und machte sie mit den Baß-Koryphäen des Kontinents bekannt (Niels-Henning Oersted-Pedersen, Peter Trunk, Eberhard Weber). So gewann ein Name Profil: MPS.

Brunner-Schwers Selbstverständnis als Produzent - künstlerisch, konzeptionell, auch experimentell - ließ ihn nie nach Trends schielen. Im Gegenteil: Plötzlich kamen die Trends aus dem sonnigen Baden, aus den Häusern in Villingen und Meersburg, vom Donaueschinger Musikfestival und dem Baden-Badener New Jazz Meeting. Willi Fruth und besonders Joachim-Ernst Berendt stellten als MPS-Produzenten Wegweiser auf, die bis nach Amerika leuchteten. Nicht nur durch sein Jazzbuch führte Berendt damals eine neue Generation an den Jazz heran. Mit der Plattenserie "Jazz Meets The World" legte er ab 1964 den Grundstein für World Music und Ethno-Jazz. Auch Duo- und Soloaufnahmen kamen zuerst aus dem Hause MPS und verhalfen dem Jazz zu einer neuen, zeitgemäßen Ästhetik. Berendts berühmte Summits schließlich widmeten sich den damals so abwegigen Instrumenten Klarinette, Vibraphon oder Violine - und waren dabei zukunftweisend!

Das Unternehmen MPS wuchs. Kontakte zu den Berliner Jazztagen, Produktionen in Ludwigsburg (Ton: Carlos Albrecht) und Stuttgart (Ton: Gibbs Platen) kamen hinzu, amerikanische Produktionen wurden eingekauft. Die Liste der Pianisten reichte bald von Earl Hines bis Jan Hammer, von Willie The Lion Smith bis Cecil Taylor. Ganz ohne stilistische Scheuklappen produzierte man Joe Pass neben Albert Mangelsdorff, Alphonse Mouzon neben Stéphane Grappelli. Und der Erfolg machte Schule: Ein ehemaliger MPS-Mitarbeiter ging hin und gründete 1970 in München das zweite deutsche Jazzlabel, ECM.

Wieviele Musiker und wieviele Platten MPS produziert hat, weiß vielleicht nur der Archivar der Polygram. An die hat Brunner-Schwer sein Lebenswerk 1983 verkauft. Den wahren Wert seiner Arbeit kann die nächste Generation - Schritt um Schritt - nun endlich auch auf CD überprüfen.

© 1994, 2004 Hans-Jürgen Schaal


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