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Bei Karl Scheit studierte er klassische Gitarre, bei Freddie Hubbard und Stan Getz spielte er Jazz-Klavier. Dann hat er beides auf seine Art verknüpft und wurde einer der eigenwilligsten Gitarristen, die die Jazz-Welt kennt. Mit der Band Oregon nahm Ralph Towner bis heute 21 Platten auf, 17 Platten unter eigenem Namen (bis 1997). Er spielte mit Jan Garbarek, John McLaughlin, John Abercrombie, der Gruppe Weather Report und vielen anderen, aber er sagt von sich selbst: "Ich möchte nicht wie ein Gitarrist klingen." Macht Ralph Towner Gitarrenmusik für Leute, die keine Gitarrenmusik mögen?

"Mein Konzept ist ungitarristisch"
Ein Gespräch mit Ralph Towner
(1998)

Von Hans-Jürgen Schaal

***

Oregon besteht jetzt seit 27 Jahren. Gibt es dir noch einen Kick, mit dieser Band zu spielen?

Klar, diese Musik erregt uns noch immer. Wir empfinden sie ständig als neu und beschäftigen uns keineswegs mit unserer Vergangenheit. Wenn Oregon zusammenkommt, ist das jedes Mal wie eine Wiedergeburt. Diese Band hat etwas Eigenes, und die Möglichkeiten dieses Konzepts scheinen sich so schnell nicht zu erschöpfen. Jeder von uns hat immer auch seine eigene Karriere verfolgt, was gut war für Oregon. Dennoch ist die Band natürlich zum wichtigsten Teil meines Musiker-Lebens geworden. Es gibt keinen Grund, mit Oregon aufzuhören.

Oregon ging 1970 aus dem Winter Consort hervor. Das war eine Art Kammer-Jazz-Ensemble, geleitet von dem Jazz-Saxophonisten Paul Winter...

Richtig, aber ich war nur etwa ein Jahr dabei. Drei von uns spielten da, und den vierten, Paul McCandless, haben wir dann aufgelesen. Als ich hinkam, spielte das Consort sehr wenig eigene Musik, was mich enttäuschte. Deshalb begann ich, für sie zu komponieren, und wir haben dann das ganze Bandbook geschrieben. Inspiriert hat mich dabei die interessante Kombination von Instrumenten, die es gab, zum Beispiel war ein Cellist dabei (David Darling). Paul Winter war begabt dafür, Konzerttourneen zu buchen: Wir spielten überall in den USA. Und er war es, der mich zur 12saitigen Gitarre brachte: Er besaß selbst eine und wollte, daß ich sie spiele. Dafür bin ich ihm enorm dankbar.

Wer hat dich damals musikalisch inspiriert und beeinflußt?

Nun, ich war ja eigentlich Jazzpianist. Das Jazzklavier habe ich mir durch Schallplatten und Jam Sessions selbst beigebracht. Danach studierte ich in Österreich klassische Gitarre und konzentrierte mich ganz auf dieses Instrument. Aber der Jazzpianist Bill Evans war einer meiner wichtigsten Einflüsse, vor allem für meine Art zu komponieren, eine Stimme zu führen, eine Melodie zu phrasieren. Von der klassischen Musik habe ich dagegen gelernt, wie man mit Tonbildung, Dynamik und Artikulation verfährt.

Welche Art von Musik hörst du dir heute an?

Ich höre immer wieder gerne die Goldberg-Variationen, gespielt von Glenn Gould. Bach war immer sehr wichtig für mich. Die Musik aus der Barockzeit paßt gut zur Gitarre, auf der du ja nicht so viele Noten gleichzeitig spielen kannst. Deshalb hat mich Bachs Ästhetik immer angezogen: Jede einzelne Stimme ist da wichtig, du kannst keine wegnehmen, jede Note hat ihre Bedeutung und Wirkung in der Musik. Ich mag den englischen Jazz-Pianisten John Taylor, ich mag Sting. Ich muß mir keinen Bebop mehr anhören, das ist vorbei. Ich mag ein bißchen Bill Frisells Sachen...

Das ist jetzt der erste Gitarrist, den du anführst.

Ja, ich spiele zwar Gitarre, aber ich sehe mich selbst nicht als einen Gitarristen. Ich habe ja mit Trompete und Klavier angefangen und später auch eine Menge Synthesizer gespielt. Gitarristen sind dagegen oft ziemlich primitive Musiker. Ich selbst möchte Gitarre spielen, aber ich möchte nicht wie ein Gitarrist klingen. Ich möchte, daß man meine Musik hört und dabei nicht immer denkt: Ach, eine Gitarre! Ich mag nicht dieses Gitarristen-Gehabe: Seht her, was ich alles kann! Auch für das Klavier habe ich mich vor allem deshalb interessiert, weil mich das musikalische Konzept von Bill Evans ansprach. Ich wollte wissen, wie es ist, sich in dieser Art von musikalischem Raum zu bewegen. Seine Musik hat aber nie die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie schwer Klavierspielen ist.

Auf deiner letzten Solo-CD "Ana" spielst du pure akustische Solo-Gitarre - ohne Overdubs und andere Mätzchen.

Ich hätte eine solche Platte schon viel früher machen sollen, denn das Solospiel gehört wohl zu den Dingen, für die ich ein Talent habe. Die ganze CD wurde in sechs Stunden aufgenommen, die erste Hälfte mit der klassischen Gitarre, die zweite mit der 12saitigen. Diese zweite Hälfte ist mehr eine Sammlung von Impressionen und weitgehend improvisiert. Du hörst darauf keine neuartigen Spieltechniken oder so, ich habe nicht etwa angefangen, in die Saiten zu beißen. Aber du hörst zum Teil dunkle Registrierungen, die Saiten der 12-String-Gitarre sind manchmal sehr verrückt gestimmt. Das mag für manchen neuartig klingen, nicht für mich.

Wie kommt man dazu, auf einem Massen-Instrument einen so eigenwilligen und unverkennbaren Stil zu entwickeln?

Das war ein sehr bewußter Prozeß: Ich wollte genau wie ein Anfänger klassische Gitarre lernen - und nicht etwa Jazz-Griffe. Ich zog mich zwei Jahre lang zurück, arbeitete mit großer Disziplin. Ich ging dabei an die Gitarre heran wie ein Komponist oder Pianist: Ich sah in ihr Baßstimme, linke und rechte Hand. Als klassisches Instrument ist die Gitarre ja ein Nachfahr der Laute und der Tasteninstrumente. Ich wollte die Gitarre mit klassischer Technik spielen, was den Ton angeht, die Dynamik, die Staccati und Marcati. Dagegen behandle ich Harmonie und Stimmführung eher wie auf einem Tasteninstrument, und du kannst darin die Nachwirkung von Bill Evans hören. Mein ganzes musikalisches Konzept war also von Anfang an ungitarristisch. Ich war ja schon 22, als ich mit der Gitarre anfing, und das war in gewisser Weise ein Segen. Hätte ich früher begonnen, hätte ich womöglich die ganz normale Entwicklung durchgemacht.

Mir scheint, der übliche Weg, Gitarre zu lernen, ist viel zu stark an diese konventionellen Akkordabläufe gebunden, und später fällt es vielen schwer, davon wieder wegzukommen.

Genau! Du kannst dich davon nicht mehr lösen, weil es für dich zu einem festen Bestandteil des Gitarrespielens geworden ist. Man hört Gitarrenmusik und denkt: Das ist es eben, wofür die Gitarre da ist. Ich habe nie vorgehabt, Jazz auf der Gitarre zu spielen. Ich habe Jazz auf dem Klavier gespielt, aber ich habe nie nach einem Lehrbuch Jazz-Gitarre gelernt. Wenn du komponieren kannst und deine eigenen Stücke spielst, dann ist es für dich einfacher, als Gitarrist originell zu sein.

(Gekürzt.)

© 1998, 2003 Hans-Jürgen Schaal


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