Die Geschichte von ROVA begann im Herbst 1977. Damals erhielt der Saxophonist Bruce Ackley die Einladung, auf einem Festival in Oakland (Kalifornien) mit einer Band seiner Wahl aufzutreten. Seit zwei Jahren schon trugen er und sein Freund Larry Ochs die Idee mit sich herum, eines Tages ein Saxophonquartett zu gründen. Genauer gesagt: seit sie Steve Lacys Platte "Saxophone Special" gehört hatten und kurz danach auch Anthony Braxtons "Fall 1974". Beide Platten enthielten Aufnahmen mit vier Saxophonen, und die Idee eines Saxophonquartetts lag in der Luft.
Mit der Energie des Rock’n’Roll
Das Saxophonquartett ROVA
Bruce Ackley, Steve Adams, Larry Ochs, Jon Raskin
(1999)
Von Hans-Jürgen Schaal
Am 4. Februar 1978 brachte Bruce Ackley - nach einem Vierteljahr Proben - in Oakland die Band seiner Wahl auf die Bühne. Sie bestand lediglich aus vier Saxophonisten und nannte sich ROVA - nach den Initialen der Herren Raskin, Ochs, Voigt und Ackley. Daß sie nicht die ersten waren, wußten die vier erst seit Dezember: Das World Saxophone Quartet in New York war ihnen zuvorgekommen. Doch das nahmen die Kalifornier als gutes Omen, sagt Larry Ochs. "Ich dachte: Super! Wenn diese anderen, die ich alle als Musiker sehr schätzte, auch ein Saxophonquartett bilden, kann uns das nur helfen. Die Veranstalter wissen dann, worum es geht, und wir müssen keine Überzeugungsarbeit mehr leisten." Ochs behielt recht: Das WSQ war im Juni 1977 beim New Jazz Festival in Moers aufgetreten, und schon zwei Jahre später spielte ROVA auch dort - und kam mehrfach wieder.
Der wichtigste Unterschied zwischen dem weißen Quartett im Westen und dem schwarzen Quartett im Osten war: Für die Kalifornier wurde ROVA zur künstlerischen Hauptsache. Während die New Yorker ihre Solo-Karrieren weiterverfolgten und in der Hauptstadt des Jazz ständig in verschiedenen Bands zu tun hatten, konnte man sich in San Francisco auf das gemeinsame Ding konzentrieren: 30 Stunden Quartett-Proben in der Woche waren in den ersten Jahren keine Seltenheit. ROVA steuerte nicht nur auf einen unverkennbaren Ensemble-Sound hin, sondern auch auf neuartige Improvisations-Konzepte. Dabei half die ständige Arbeit an einer Ensemble-Improvisations-Etüde, die sich auf diese Weise immer weiter entwickelte: "Trobar Clus" hieß die Testserie der ersten Jahre, das aktuelle Experiment heißt "Radar".
Von Anfang an verfolgte ROVA mehrere musikalische Richtungen gleichzeitig. Es gab freie Improvisationen und solche, die durch verschiedene Methoden gesteuert wurden. Es gab ausgedehnte Kompositionen einzelner Bandmitglieder, aus mehreren Blöcken bestehend und durch Soli zusammengehalten. Und es gab die sogenannten "Sport Pieces", an denen alle vier gemeinsam bastelten: Einer schlug einen Rhythmus vor, ein anderer legte eine Figur darüber, der nächste erfand eine Gegenmelodie, und das Ergebnis war eine kontrapunktisch verzahnte Miniatur mit höllischem Swing. Der Miami Herald sprach von "Innovation mit der Energie des Rock'n'Roll".
Doch nach fünf Jahren schienen die Möglichkeiten ausgereizt, die Karriere ging nicht mehr voran. Glücklicherweise tauchte damals Steve Lacy auf, servierte den vieren einen Stoß Noten und forderte sie auf, etwas daraus zu machen. Die resultierende Platte "Favorite Street - Rova Plays Lacy" brachte dann tatsächlich neuen Wind ins Ensemble, und kurze Zeit später kam es zu einer weiteren Zusammenarbeit, nun mit dem Kronos Quartet. Es zeigte sich, daß die Anregung anderer Musiker und Komponisten nötig war, um ROVA kreativ am Laufen zu halten. Seit 1986 veranstaltet die ROVA Non-Profit Organization eine Konzertserie namens "PreEchoes", initiiert dafür musikalische Begegnungen und gibt neue Kompositionen in Auftrag. ROVA öffnete sich der ganzen Welt der Musik.
Seitdem ist viel passiert. ROVA trat mit Ballettgruppen und in Multimedia-Projekten auf, gab gemeinsame Konzerte mit Anthony Braxton oder John Zorn, spielte Auftragswerke von Tim Berne, John Carter, Jack DeJohnette, Fred Frith oder Henry Threadgill und wurde auch für Komponisten der Neuen Musik immer interessanter. Als Andrew Voigt, dem diese Entwicklung weniger gefiel, im Sommer 1988 das Quartett verließ, bereitete sich ROVA gerade auf eine Europatournee mit Terry Rileys 55-minütigem Werk "Chanting The Light Of Foresight" vor. Steve Adams, damals Baritonsaxophonist beim Your Neighborhood Saxophone Quartet (Boston), befand sich zufällig gerade in San Francisco, konnte aushelfen und blieb bis heute ROVA-Mitglied.
Die meisten Kompositionen für ROVA kommen noch immer vom Quartett selbst. Jon Raskin, Larry Ochs, Bruce Ackley und Steve Adams haben sich als Schreiber zu vier höchst markanten Persönlichkeiten entwickelt, deren Inspirationen von Folk und Blues bis Xenakis und Schostakowitsch reichen. Kein anderes Saxophonquartett der Welt nutzt die Möglichkeiten, die diese Besetzung bietet, auf so vielfältige Weise wie ROVA. Auf der kommenden Tour werden neue Werke von Pauline Oliveros, Leo Smith, Marty Ehrlich und Larry Ochs vorgestellt.
© 1999, 2004 Hans-Jürgen Schaal
© 1999 Hans-Jürgen Schaal |