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Er gehört zu den früh vollendeten und früh verstorbenen Heroen des Jazz, deren Nachruhm wächst und wächst. Der schwarze Bop-Pianist Sonny Clark, mit 31 Jahren von Heroin und Alkohol tödlich besiegt, eroberte sich erst 20 Jahre nach seinem Tod den Rang, der ihm gebührt: als eine der großen Symbolfiguren des souligen Hardbop Marke Blue Note.

Später Ruhm
Der elegante Voodoo-Zauberer
Sonny Clark
(2001)

Von Hans-Jürgen Schaal

Alfred Lion, der Jazzfan aus Berlin, reiste in jungen Jahren für eine Import-Export-Firma durch die Welt, kam dabei regelmäßig nach New York und nahm dort 1936 schließlich einen Job an. Zu Weihnachten 1938 besuchte der 30-Jährige ein Boogie-Konzert der Pianisten Albert Ammons und Meade Lux Lewis in der berühmten Carnegie Hall. Begeistert vom Können dieser Musiker, mietete er ein Tonstudio und nahm mit Ammons und Lewis am 6. Januar 1939 zehn Stücke auf. Das war der Anfang der Plattenfirma Blue Note.

Lions Interesse an außergewöhnlichen Pianisten erlahmte nie. Thelonious Monk, Herbie Nichols und Andrew Hill waren seine absoluten Lieblinge, aber er förderte ebenso Bud Powell, Horace Silver oder Herbie Hancock. Als im April 1957 der Pianist Sonny Clark als Begleiter der Sängerin Dinah Washington nach New York kam, schien Lion auf den 25-Jährigen geradezu gewartet zu haben. Clarks unverkennbarer Klavierstil - ausgeglichener und relaxter als Bud Powell, dabei noch nicht von der modischen Funkiness Horace Silvers infiziert, sondern von der kühlen Eleganz des West Coast Jazz verzaubert - ließ Lions Piano-Herz höher schlagen. Schon im Juli kam der Neuankömmling zu seinem ersten Leader-Date für Blue Note ("Dial S For Sonny"), im Herbst folgten die Aufnahmen zu "Sonny's Crib" und "Sonny Clark Trio". Bis zum März 1959 machte Clark für Blue Note acht Sessions als Leader und weitere 15 als Sideman - und Alfred Lion kam gar nicht mehr mit dem Veröffentlichen hinterher. Vieles wurde erst in den 80er Jahren durch den "Nachlass-Produzenten" Michael Cuscuna aus den Archiven ans Licht geholt.

Die Jahre 1957 und 1958 gehören zu den beutereichsten der gesamten Jazz-Geschichte - und auf etlichen bleibenden Alben hat der Sideman Sonny Clark seine Spuren hinterlassen. Eine kleine Auswahl: Hank Mobleys "Poppin'", Johnny Griffins "The Congregation", Lee Morgans "Candy", Lou Donaldsons "Lou Takes Off", Sonny Rollins' "The Sound Of Sonny", Tina Brooks' "Minor Move". Mitte 1959 kam Clarks rege Studio-Arbeit jedoch plötzlich zum Erliegen, als er sich nacheinander mehreren Therapien unterzog, um vom Heroin wegzukommen. Wirklich erfolgreich waren sie nicht: Am Ende behandelte er seine Drogensucht mit Alkohol und kam vom Regen in die Traufe. Dennoch begann er im Herbst 1961 wieder für Blue Note zu arbeiten. Innerhalb des ihm noch verbleibenden Jahres - von Oktober 1961 bis Oktober 1962 - nahm er für Alfred Lion an weiteren 13 Aufnahme-Sitzungen als Sideman teil, unter anderem auf Dexter Gordons "Go", Jackie McLeans "Vertigo", Stanley Turrentines "Jubilee Shout" und einigen Sessions mit dem Gitarristen Grant Green, die erst Jahrzehnte später veröffentlicht wurden.

Sonny Clarks viel zu früher Tod ist von Legenden umwoben. Er soll im Oktober 1962 wegen einer Beininfektion ins Hospital gekommen sein, heißt es. Andere Quellen sprechen von einer Herzattacke. Anfang Januar wurde der 31-Jährige wieder entlassen, trat ein Engagement im Jazzclub Junior's an und starb dort in der zweiten Nacht an Herzversagen. Eine Quelle spricht von einer Überdosis Heroin. Die Club-Betreiber ließen die Leiche fortschaffen, um keine Probleme mit der Polizei zu kriegen. Es heißt, Clark sei dann in einem privaten Apartment gefunden worden. Nach einer anderen Lesart starb er in der Hotelsuite der Jazz-Baronin Nica de Koenigswarter, wo auch Charlie Parker seinen letzten Atemzug tat. Der Saxofonist Ike Quebec, der als A&R-Mann von Blue Note den Pianisten nachdrücklich gefördert hatte, starb übrigens nur drei Tage später an Krebs. Ein schwarzer Monat für Alfred Lion.

Die etwas unklaren Umstände von Clarks Tod erhoben den Pianisten zur geheimnisumwitterten, etwas geisterhaften Jazz-Ikone. Sein Tastenkollege Bill Evans, der eine Neigung zu mysteriösen Worträtseln besaß, widmete dem Toten im Februar 1963 ein Stück mit dem kryptischen Titel "NYC's No Lark": ein Anagramm des Namens "Sonny Clark". Clarks letzte Aufnahme als Bandleader, die Quintett-Platte "Leapin' And Lopin'" vom November 1961, geriet sogar in den Ruf, eine Art mystisches Vermächtnis des Verewigten zu sein. Schuld daran waren vor allem die Stücktitel, die fantasievolle Menschen an spukhaft-nächtliche Beziehungen zum Jenseits denken ließen. Rein fantastisch waren auch die Summen, die amerikanische Sammler daraufhin für die Kultplatte bezahlten.

Nicht einmal zwölf Jahre hatte Sonny Clarks Jazz-Karriere gedauert. 1951, als seine Mutter starb, war er von Pittsburgh im Osten nach Kalifornien gegangen, um Jazzmusiker zu werden. Begleitet wurde er dabei von seinem älteren Bruder, dem er die pianistische Grundausbildung verdankte, dessen Vorname und weiteres Schicksal aber unbekannt sind. Von den theoretischen Grundlagen der Musik wusste Sonny Clark zwar wenig, auch praktische Erfahrung im Zusammenspiel besaß er kaum. Doch das änderte sich schnell. Der Saxofonist Frank Morgan erinnert sich an die Ankunft des 20-Jährigen in L.A.: "Er hatte das absolute Gehör und konnte alles nachspielen. Man sagte ihm einfach, was man wollte, dann beherrschte er es für immer. Wir nahmen ihn mit zu Hampton Hawes, der setzte sich mit ihm hin und, Mann, er wurde auf der Stelle einer der hipsten Begleiter der Welt!"

Weil Clark obendrein den neuen Bop-Stil eines Bud Powell perfekt beherrschte, rissen sich die Bands in Kalifornien bald um ihn. Er spielte ein längeres Engagement mit Oscar Pettiford in San Francisco, machte seine ersten Plattenaufnahmen 1953 bei Teddy Charles und Wardell Gray und hing binnen kurzem wie ein Großteil der Szene an der Heroin-Nadel. Ende 1953 kam Clark als Ersatz für Kenny Drew, der wegen eines Drogendelikts hinter Gitter musste, in die Band des Bop-Klarinettisten Buddy DeFranco. Der war - neben Billie Holiday und Red Norvo - einer der Stars im Konzertprogramm "Jazz Club USA", das der Produzent und Kritiker Leonard Feather Anfang 1954 in Europa präsentierte. Die Tournee durch Skandinavien, Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland und die Schweiz brachte Sonny Clark erstmals internationale Aufmerksamkeit. Weil er die anderen beteiligten Pianisten in den Schatten stellte und nie einen schlechten Abend hatte, wurde Feather einer seiner lautesten Fürsprecher.

Am Rande der Tour wurde der 22-jährige Clark nicht nur als Begleiter von Billie Holiday (in Köln) oder Jimmy Raney (in Paris) mitgeschnitten, sondern auch als unbegleiteter Solist. Das geschah, als die Tour-Karawane in Oslo gastierte und Clark, vom Hotel angeödet, die Einladung eines norwegischen Jazzfans annahm. In dessen Wohnzimmer stürzte er sich sofort auf den Flügel: "Er benutzte nicht viel mehr als sechs Finger", berichtet der Gastgeber, "aber, Junge, was war das für ein Swing!" Der Amateur-Mitschnitt, von dem später Teile auf einem Memorial-Album erschienen, enthält schon den ganzen Sonny Clark: die Bop-Grammatik Bud Powells, die blühende Melodik Art Tatums, einen natürlichen, flüssigen Swing, ein sicheres Gespür für perlende Motive, eine beglückende Leichtigkeit. Diesen Pianisten musste man einfach lieben.

Durch die Europatournee hatte sich Clark einen kleinen Star-Nimbus erworben. 1956 verließ er DeFranco, wurde der Pianist der Lighthouse All-Stars, des großen Sammelbeckens des West Coast Jazz, und begleitete Serge Chaloff auf dessen Meisterwerk "Blue Serge". Inzwischen jedoch hatte an der Ostküste der (schwarze) Hardbop den (weißen) Cool Jazz zurückgedrängt und lockte unwiderstehlich: Als sich Clark die Chance bot, mit Dinah Washington nach New York zu gehen, ergriff er sie beim Schopfe. "Die Jungs an der Westküste haben ein anderes Feeling, eine andere Herangehensweise an den Jazz", kommentierte er seinen Schritt. "Mein Spiel ist anders als das der meisten Jungs im Westen. Ich möchte lieber im Osten arbeiten, weil das, was hier gespielt wird, der traditionellen Bedeutung von Jazz näher kommt." Dieses Bekenntnis zum Hardbop hörte Alfred Lion in New York nur zu gerne.

Richtig populär wurde Sonny Clark erst Jahrzehnte nach seinem Tod. In den 80er Jahren stieg die Quintett-Platte "Cool Struttin'" (die mit den Damenbeinen auf dem Cover) zur Kult-Scheibe der japanischen Jazz-Cafés auf und der schlafwandelnde Blues-Trott des Titelstücks kündigte mit Macht die Renaissance des funky Hardbop an. Nur die Journalisten merkten lange Zeit nichts. Martin Kunzlers Jazz-Lexikon widmete Clark 1988 nicht einmal einen eigenen Artikel und erwähnte ihn auf knapp 1400 Seiten nur zweimal. Der britische CD-Führer "Penguin Guide to Jazz" unterschlug "Cool Struttin'" noch 1994 und beschrieb Clark in völliger Fehleinschätzung als "inspirierten Amateur". Einer, der nachdrücklich auf Clarks Bedeutung hinwies, war dagegen ausgerechnet der Avantgarde-Saxofonist John Zorn. Mit dem "Sonny Clark Memorial Quartet" beschwor er 1985 die mysteriös-gospelige Atmosphäre von Clarks Kompositionen. Das Titelstück, Clarks "Voodoo" aus "Leapin' And Lopin'", kam dabei wie die Musik zu einem grausigen Zombie-Film daher. Nach einer weiteren Clark-Komposition, "News From Lulu" aus "Sonny's Crib", benannte Zorn sein Trio-Projekt mit Bill Frisell und George Lewis, das in den Folgejahren dem Spirit des Hardbop einen radikalen Tribut leistete. Die Zukunft Sonny Clarks hat gerade erst begonnen.

© 2001, 2003 Hans-Jürgen Schaal


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