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Jazz Fiction Teil 9.

Zuletzt gab er bei Philips France eine Jazzplatten-Serie heraus und schrieb als Motto dazu: „Jazz ist das eigentliche Esperanto der modenen Zivilisation.“ Was Boris Vian sonst über Jazz schrieb, eignete sich weniger als Promotext, war aber viel lustiger. Der Kellerkönig von Saint-Germain-des-Prés nahm nichts wirklich ernst – auch nicht sich selber.

BORIS VIAN
König der Zazous
(2003)

Von Hans-Jürgen Schaal

Seine große Leidenschaft galt dem Trompetespielen. „Er hat gespielt wie sonst keiner“, meinte der Schriftsteller Raymond Queneau. Und Henri Salvador, der Vians Chansons sang („C’est Le Be-Bop“), sagte: „Er lebte nur für den Jazz, er drückte sich im Jazz aus.“ Bix Beiderbecke war sein Vorbild: So wie die Chicago-Legende setzte Boris Vian die Trompete an, nahe am rechten Mundwinkel, und blies Oldtime-Jazz mit modern swingender Note. Es war selbstverständlich Vian, der Dorothy Bakers Bix-Roman „Young Man With A Horn“ ins Französische übersetzte. Duke Ellington zählte zu seinen Freunden, auch Miles, Parker, natürlich Django. Als im Krieg die Amis Paris befreiten, spielte Vian im Auftrag des French Welcome Committee für die GIs – die, wie er bald feststellte, überhaupt keine Ahnung von Jazz hatten. Beim ersten Festival des Hot Clubs von Belgien – nach dem Krieg – räumte die Abadie-Vian-Band sämtliche Preise ab.

Es war ein harter Schlag, als ihm sein Arzt die Trompete verbot. Geahnt hatte er schon lange, dass er keine 40 Jahre alt werden würde. Aber nun hieß es eindeutig: Jeder Puster ins Horn verkürzt dein Leben. Also widmete er sich dem Jazz schreibend: in Frankreichs führendem Magazin „Jazz-Hot“, in Eddie Barclays „Jazz News“, in der linken Tageszeitung „Combat“ und anderen. Brachte tägliche Berichte vom Jazz-Festival Nizza, geißelte den neuesten journalistischen Unsinn über Jazz, verfasste über 500 Plattenkritiken. Als Trompeter Traditionalist, fand der Jazz-Fan Vian den Streit zwischen Dixie und Bebop lächerlich: „Alles, was sich entwickelt, ist gut, weil es Neues bringt.“ Den Bop-Feind und Kritikerpapst Hugues Panassié veralberte er als „Dudussel B’Anal-Siel“.

Unter Unterbeschäftigung litt Boris Vian nie. Elf Romane, mehr als 400 Gedichte und Chansons, dazu Theaterstücke, Erzählungen, Drehbücher, Cabaret- und Filmauftritte sowie Buchübersetzungen von Chandler bis Strindberg. Wie für Jazz, so begeisterte er sich für Filme, Autos, Schach, Krimis, Science Fiction. Während des Kriegs war er der König der Zazous, der amerikanisierten Twens, später stieg er zum Star der Pariser Kellerklubs auf, schrieb für Sartres Zeitschrift „Les Temps Modernes“ und feierte Partys mit der jungen Gréco. Ein apolitischer Rebell, ein ewig pubertierender Bürgerschreck, ein Frauenheld und Beatnik mit Hang zum Absurden, vom Establishment als Skandalnudel und Pornograf beschimpft.

Vians Roman „Drehwurm, Swing und das Plankton“ von 1946 bietet eine groteske Achterbahnfahrt durch die brodelnde Welt, in der der Dichter damals zu Hause war. Zügellose Surprise-Partys, die Verrücktheiten der Swingmode, die Idiotie von Jazzkritikern, pseudowissenschaftliche Unsinns-Exkurse und die bürokratische Welt der Ingenieure (Vian arbeitete tagsüber beim Französischen Normenausschuss): All das vermischt sich im Roman zu einer wild-anarchischen Blödelstory. Da tragen die aktuellen Jazz-Schlager so sinnige Namen wie „Until My Green Rabbit Eats His Soup Like A Gentleman“ oder „Give Me That Bee In Your Trousers“. Beim neuesten Swingtanz ruft man „Yeah“, bewegt den Zeigefinger, geht drei Schritte zurück, vier nach vorn, elf zur Seite, sechs sich drehend, zwei bäuchlings. Und eine typische Konzertrezension liest sich im Roman so: „Da sich die Atmosphäre ganz besonders für die Entfesselung des Rhythmus eignete, gaben die Musiker ihr Bestes und brachten es zuwege, ungefähr wie Neger des 37. Breitengrads zu spielen. Ein Thema folgte dem andern und keines glich dem andern.“

Auch in seiner Tätigkeit als Jazz-Journalist war Vian der verrückte Dichter, Provokateur, Pataphysiker und Absurdist. In albern-tiefsinnigen Aufsätzen legte er zwölf Methoden dar, wie man eine Quinte vermindert (z.B. durch zu heißes Waschen), 22 Hauptgründe, Jazzkritiker zu werden (z.B. um Panassié zu ärgern), vier Grobkategorien von Jazz-Fans (z.B. den anonymografen Fan mit Hang zur Gehässigkeit) sowie die Vorteile der einzelnen Instrumente (der Kontrabass eignet sich gut zum Schmuggeln). Der Jazzkritiker Vian berichtet von seiner visionären Begegnung mit einem Bebop-Propagandisten namens Joseph Goebbels, schreibt über den Zusammenhang von Jazz und Kartoffelschälmaschinen, warnt in einer „Physiopathologie des Jazz“ vor gesundheitlichen Gefahren (z.B. vagosympathischen Funktionsstörungen) und entwirft Filmskripts über die Karriere eines Jazzplatten-Sammlers („Das erste Paket. Alle Platten sind zerbrochen“). Um den echten Jazz vor seiner kommerziellen Verhunzung zu retten, schlägt er schließlich vor, die Musiker in einen Keller einzusperren und alle Weißen umzubringen. Ausgeführt hat er den Plan nicht mehr.

BORIS VIAN
1920 Geboren in Ville d’Avray (Frankreich) als Sohn eines Fabrikanten
1936 Eine früh erworbene Herzmuskelschwäche wird deutlich
1937 Wird Mitglied im Hot Club de France
1939 Beginnt Studium an der Technischen Hochschule in Angoulême
1942 Examen und Berufsantritt als Ingenieur. Wird Trompeter in der Jazzband von Claude Abadie
1946 Seine ersten Romane erscheinen, darunter „Vercoquin Et Le Plancton“. Beginnt für „Jazz-Hot“ zu schreiben
1948 Auf ärztlichen Rat gibt er das Trompetenspiel auf
1949 Sein Roman „Ich werde auf eure Gräber spucken“ wird verboten
1951 Wird einer der drei Chefredakteure von „Jazz-Hot“
1952 Wird Mitglied im Collège de Pataphysique
1954 Konzentriert sich aufs Schreiben von Chansons
1957 Schwere Herzprobleme. Wird künstlerischer Direktor bei Philips (Fontana)
1959 Stirbt in Paris bei einer Filmpremiere

© 2003, 2007 Hans-Jürgen Schaal


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