Songsmiths .02
Hoagy Carmichael
Streunend zu den Sternen
(2004)
Von Hans-Jürgen Schaal
Sein Kornettspiel war so lausig, dass ihm die Kollegen das Mundstück versteckten, sein Klavierspiel bewegte sich auf inspiriertem Heimwerker-Niveau. Als er für seinen Freund Bix Beiderbecke am Piano improvisierte, meinte der trocken: „Warum schreibst du nicht Musik, Hoagy?“ Ein Ratschlag mit Folgen: Bald präsentierte Carmichael dem Kornettisten seine erste Komposition. Bix war kein Spielverderber, nannte das Stück „Riverboat Shuffle“ und machte daraus 1927 einen Meilenstein des Chicago-Jazz. Überhaupt Beiderbecke: Er war Hoagys großer Held. Schon 1919, als der Jazz-Maniac den Kornettisten erstmals hörte, wirbelte das seine musikalischen Maßstäbe kräftig durcheinander. Immer wieder hat man in Carmichaels über 300 Melodien Bix’ Tonfall erlauscht. Seinen ersten Sohn nannte er Hoagy Bix. In „Young Man with a Horn“, dem Film über Beiderbeckes Leben, wirkte Carmichael natürlich auch mit.
Geboren wurde Hoagland Howard Carmichael 1899, im gleichen Jahr wie der „Maple Leaf Rag“. Seine Mutter, eine Pianistin, spielte ihm Ragtimes als Wiegenlieder. Auch sein berühmtestes Stück, „Stardust“ von 1927, war eigentlich ein Rag. Hoagy wurde nicht müde, es im berühmten Sunset Café von Chicago den Profis vorzuklimpern, doch die schüttelten nur den Kopf. Erst als Isham Jones 1930 daraus eine schmalzig-konzertante Ballade machte, war ein Welthit geboren, der rund 1.000 Aufnahmen erleben sollte. In rund 40 Sprachen wurde der Song übersetzt, heißt in Frankreich „Étoile d’Amour“ und in Japan „Suta Adasuto“. Dabei ist die Melodie alles andere als simpel: Sie „streunt und wandert herum wie ein die Schule schwänzender Junge auf der Dorfwiese“, so Oscar Hammerstein.
Carmichael schrieb Songs, keine Musicals: Darin blieb er Jazzer. Sogar die einleitenden „Verses“ ließ er meist weg, dafür formte er seine Melodien wie Jazz-Improvisationen. Weil er weder Fingersatz noch Komposition gelernt hatte (er war studierter Jurist), klingt die Harmonik noch heute unkonventionell und überraschend. Unnachahmlich auch Hoagys Gesangsvortrag: mit dieser hölzern näselnden Stimme, am Klavier fläzend, die Zigarette im Mundwinkel und den Hut im Nacken. 1936 ging er nach Hollywood, arbeitete mit namhaften Songtextern, war auf Platten und Bühne und im Radio präsent, spielte in mehr als 20 Filmen (meist einen singenden Pianisten) und erhielt 1951 sogar einen Oscar für einen Filmsong. Seine Melodien – „Lazy River“, „Georgia On My Mind“, „Rockin’ Chair“ – halten viele Amerikaner heute für Volkslieder. Auch Carmichael war sich am Ende nicht mehr sicher, ob das tausendfach gehörte „Stardust“ wirklich von ihm sein konnte.
Hörtipp: Hoagy Carmichael: Stardust, And Much More (RCA)
© 2004, 2008 Hans-Jürgen Schaal
© 2004 Hans-Jürgen Schaal |