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In Deutschland ist man immer bestens informiert: Die Leipziger Illustrierte Zeitung berichtet schon 1844 von Adolphe Sax’ neuer Erfindung, die auf der Pariser Industrie-Ausstellung vorgestellt wird. Sie bietet ihren Lesern sogar eine Zeichnung des Saxofons. Einziger Schönheitsfehler: Die Skizze zeigt ein ganz anderes Instrument.

„Dieses an sich schöne Instrument“
Das Saxofon in Deutschland: Kurioses zwischen 1845 und 1945
(2007)

Von Hans-Jürgen Schaal

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1845 – Begegnung in Koblenz

Der Pariser Patentstreit schlägt Wellen bis über den Rhein. Sax’ Gegner behaupten, sein Saxofon sei keine neue Erfindung, sondern ein Plagiat bereits vorhandener Instrumente. In ihrer Niedertracht scheuen sie vor nichts zurück: Sie schicken Sax-Instrumente ins Ausland, lassen dort die Firmengravur entfernen und re-importieren die Instrumente dann als „Beweis“. Sie appellieren sogar ans frisch erwachte deutsche Nationalbewusstsein: Dieser Belgier klaut eure Erfindungen! Der Militärmusik-Direktor Wilhelm Wieprecht fällt darauf herein und bezeichnet in der Berliner Musikalischen Zeitung das Saxofon doch tatsächlich als eine Nachahmung der Basstuba. Sax will das nicht auf sich sitzen lassen. Er reist zum Beethoven-Fest nach Bonn und trifft danach in Koblenz mit Wieprecht zusammen. Sie zeigen und demonstrieren einander ihre Instrumente. Blasmusik-Koryphäe Wieprecht erweist sich dabei als unfähig, auf Sax’ Bassklarinette zu spielen. Der Pariser Korrespondent Fiorentino schreibt: „Er musste zugeben, dass er nichts über die Klarinette wusste und noch weniger übers Saxhorn; das Saxofon schließlich war ihm ein komplettes Mysterium. Er gab das offen zu und entschuldigte sich.“

Dummerweise hat Sax in Koblenz aber gar kein Saxofon dabei. Daher fällt Wieprecht noch im gleichen Jahr in alte Untugenden zurück und behauptet jetzt, das Saxofon sei nicht eine Imitation der Basstuba, sondern des Bathyfons, das er selbst 1839 erfunden hat. Sax widerspricht in Artikeln in deutschen Zeitungen und lässt sich sogar ein Bathyfon nach Paris schicken; Wieprecht dagegen macht sich natürlich nicht die Mühe, ein Saxofon in Augenschein zu nehmen. Wie sollte er auch, da seine Pariser Gewährsleute 1846 zu Protokoll geben: „Ein Saxofon hat nie existiert und konnte gar nicht existieren.“ Sax reist im gleichen Jahr nochmals nach Deutschland, um das preußische Militär für seine Instrumente zu gewinnen. Die deutsche Presse meint dazu kennerhaft: Die französische Militärmusik braucht Sax’ Erfindungen dringend – aber wir doch nicht!

1902 – Saxofone aus dem Vogtland

Nach der Pariser Weltausstellung 1855 ist man im deutschen Sprachraum endlich klüger. Ein Wiener Korrespondent berichtet, das Saxofon klinge in der oberen Lage wie eine Oboe, in der Mitte wie eine Klarinette und unten wie ein Fagott. Weitere 20 Jahre vergehen, und schon will eine Wiener Kapelle das Saxofon sogar einführen, scheitert aber an Intonations-Problemen. Der Musikkritiker Eduard Hanslick stellt 1862 fest, dass das wunderbare Instrument in Deutschland immer noch unbekannt sei – und daran ändert sich so schnell auch nichts. Selbst deutsche Profimusiker verwechseln es zu dieser Zeit noch mit Basstuba, Bathyfon oder Saxhorn. Auch Richard Wagner lernt das Saxofon nicht in Deutschland, sondern in Frankreich kennen: Bei der Pariser Skandalpremiere des „Tannhäuser“ 1861 kommt das Instrument zum Not-Einsatz, weil Wagners Forderung nach 12 (!) Waldhornisten nicht erfüllt werden kann. Als 1871 der Saxofon-Virtuose Edouard Lefèbvre durch Deutschland tourt, ringt sich Wagner lobende Worte ab.

Nach einem halben Jahrhundert der Gerüchte und Vermutungen mogelt sich das Saxofon dann doch in deutsche Militärkapellen – zum Beispiel 1890 ins besonders progressive Erste Badische Leibgrenadierregiment. Prompt meldet sich der Nationalstolz, verlangt ein deutsches Gegenstück zum Saxofon und erfindet mal rasch Clarina (1889), Oktavin (1893) und Heckelfon-Klarinette (1907). Doch im Ausland will man lieber das echte Sax-Ding haben, und die Nachfrage von dort steigt. Die Firma Adler in der Musikstadt Markneukirchen macht den Anfang: Vier Arbeiter stellen dort ab 1902 endlich deutsche Saxofone her, 1907 sind es bereits 20 Arbeiter. Das offizielle Musikleben in Deutschland ist allerdings noch nicht so weit. Richard Strauss baut zwar in seine „Sinfonia Domestica“ 1903 ein Saxofonquartett ein (Instrumente in C und F), aber nur als Verstärkung anderer Orchesterstimmen und „ad libitum“. Tatsächlich finden sich in Berlin keine vier Saxofonisten für eine Premiere – sie wird daher in die Carnegie Hall in New York verlegt. Auch Gustav Bumcke, ein Schüler von Bruch und Humperdinck und autodidaktischer Saxofonist, stößt bei der Aufführung seines Opus 15 im Jahr 1902 in Berlin auf „gänzlich fehlendes Verständnis“ für sein Instrument.

1927 – Wirkungen von erschütternder Komik

Gleich nach dem Ersten Weltkrieg kommt der Jazz nach Deutschland – und mit ihm endlich auch das Saxofon. Doch gegen alle Evidenz schreiben deutsche Fachleute: „Zur Anwendung in der Tanzmusik eignet sich das Saxofon nicht“ (1922) und „Charakteristisch für Jazz ist das Banjo, ist das Klavier, aber niemals das Saxofon“ (1931). Andere halten das bis dahin nie gehörte Jazz-Instrument einfach für eine zirkusreife Witztröte. In seinem Jazzbuch von 1927 ernennt Paul Bernhard das Saxofon zum „Clownelement im Klangverein“ und erwartet von ihm „Wirkungen von erschütternder Komik“: „eine Art näselndes, unzufriedenes, schimpfendes, weinendes, philisterhaftes Parlando“. Auch nach der Saxofonschule von Victor Thiels (1929) ist das Saxofon im Jazz vor allem für komische Klangeffekte zuständig: die Nachahmung von Menschen-, Tier- und Maschinengeräusch. Der Komponist Erwin Schulhoff liebt das Saxofon ausdrücklich, weil es „nur Karikatur“ sei.

Immer mehr deutsche Firmen beginnen nun mit dem Bau von Clown-Tröten und entwickeln kleine mechanische Verbesserungen, etwa Resonanz- und Trillerklappen. Auch die ernsthaften Komponisten wollen nicht den Zug der Zeit verpassen und versuchen es mal mit dem Saxofon: Alban Berg (Der Wein, 1920), Paul Hindemith (Cardillac, 1926; Trio, 1927), Sigfrid Karg-Elert (Atonal Sonata, 1929; 25 Capricen, 1929), Ernst Krenek (Jonny spielt auf, 1927), Erwin Schulhoff (Hot-Sonate, 1930), Kurt Weill (Kleine Dreigroschenmusik, 1928), Anton Webern (Quartett, 1930). Das Symbol-Rohr des Jazz hinterlässt sogar in Literatur und bildender Kunst seine Spuren. Gustav Bumcke in Berlin findet für sein Faible endlich etwas mehr Verständnis. Er unterrichtet Saxofon am Konservatorium, veröffentlicht eine Saxofonschule (1926), gründet ein Saxofonquartett sowie das Erste Deutsche Saxofon-Orchester, komponiert Saxofon-Etüden und transkribiert „Vortragsstücke aus Werken berühmter Meister“.

1932 – Konzert für Saxofon und Orchester

Jaap Kool, Holländer im deutschen Schuldienst, veröffentlicht 1931 eine 280 Seiten starke Monografie des Saxofons und ist damit der ausgewiesene Saxperte. Er meint, Saxofon müsse man nicht auf dem Konservatorium lernen, „viel netter“ sei es allein oder mit einem Freund: „Wenn man täglich nur eine halbe Stunde regelmäßig übt, beherrscht man das Saxofonspiel in anderthalb bis zwei Jahren sehr bequem neben jedem anderen Beruf. Vielen gäbe das einen sicher nötigen Lebensinhalt.“ Auch Sigurd Rascher (1907-2001) glaubt die Mär vom leichten Instrument und findet dabei seinen Lebensinhalt. Er verbeißt sich ins Selbststudium und entwickelt im Alleingang einen Tonumfang von vier Oktaven. Ein Bratschist der Berliner Philharmoniker schlägt ihm vor, Werke von Bach auf dem Saxofon zu spielen.

Um 1931 wird Rascher zum Nothelfer der Berliner Philharmoniker, wann immer ein zeitgenössisches Werk einen Saxofon-Part verlangt. Bei einer dieser Gelegenheiten fragt er den Dirigenten Borck, was er vom Saxofon als Solo-Instrument hielte. „Eines Tages wurde ich ans Telefon gerufen und erfuhr dort: ‚Das Konzert ist fertig. Kommen Sie vorbei und spielen Sie es mal durch.’ Es war Borck, den ich längst vergessen hatte.“ Das erste Saxofonkonzert der Musikgeschichte – Edmund von Borcks Opus 6 – erklingt 1932 und 1933 in Hannover, Berlin und Straßburg unter Krasselt, Jochum und Scherchen. Die Resonanz ist geteilt: Für den einen besitzt Raschers Saxofon nur „heulendes Sentiment“, für den anderen „die Würde eines Konzert-Solo-Instruments“; mal gilt das Werk als „inhaltlich unerquicklich“, mal als „entschlossen geformt“. Die Allgemeine Musikzeitung mag Saxofone gar nicht („das Forte unedel und lärmend, in schnellerer Bewegung geradezu grell und ordinär“) und prophezeit Rascher, dass er mit diesem Instrument keine ungetrübte Freude erleben wird. Das ist – 12 Tage nach Hitlers Machtergreifung – eine offene Drohung. Im gleichen Jahr emigriert Rascher nach Dänemark.

1935 – Adolf Sax, der deutsche Erfinder

Jazz ist in Deutschland von Anfang an ein politischer Zankapfel zwischen demokratischen und reaktionären Geistern. Ganz besonders böse echauffiert sich der Komponist Hans Pfitzner, weshalb er hier nicht zitiert wird. Unter dieser Jazz-Debatte leidet auch das Saxofon: Über die Einrichtung von Saxofonklassen am Konservatorium wird unerbittlich gestritten. Den Jazz-Gegnern gilt der Saxofonklang als pervers, uneuropäisch-fratzenhaft, näselnd, nörgelnd, verlogen, saccharinsüß, heulend, blökend, ekelerregend, artfremd. Als die Nazis 1933 an die Macht kommen, kann sich der Saxofon-Hass so richtig austoben: Für die ausgewiesene Fachzeitschrift „Die Musik“ ist „das Gedudel und Gequietsche“ des Saxofons 1936 schlicht „ein Greuel“. Der Nazi-Chefhetzer in Sachen Musik, Herbert Gerigk, lehnt das Saxofon ab, weil es typisch sei für „Kapellen negroider Haltung“.

Schon vor der Nazizeit gibt es aber groteske Versuche, das Saxofon gegen sein Jazz-Image in Schutz zu nehmen. Jaap Kool warnt 1931, der Jazz sei auf dem besten Wege, „dieses an sich schöne Instrument zu verschludern“. Als die Hetzerei gegen das Saxofon die deutschen Instrumente-Hersteller in ökonomische Schwierigkeiten bringt, schreitet 1933 sogar das Propaganda-Ministerium ein und stellt fest: Man kann mit dem Saxofon auch gute Musik machen! Nun kommen die Saxofon-Schützer unter den Nazis zu Wort: Das Instrument sei „an der Negermusik völlig unschuldig“, heißt es. Der Westdeutsche Beobachter beschließt 1935, Herr Sax sei überhaupt ein Deutscher gewesen. 1938 entdeckt man, dass sich das Saxofon ganz besonders für die gute deutsche Tanzmusik eigne. Zwei Jahre später erhält sogar das Musikkorps der Luftwaffe einen sechsstimmigen Saxofonsatz. Zwischen 1936 und 1943 beginnen drei weitere Instrumentebauer in Markneukirchen mit der Saxofon-Herstellung. Gustav Bumckes Tochter Hilde gibt 1937 – unter dem nordischen Künstlernamen Ingrid Larssen – ihr Konzertdebüt als Saxofonistin in Berlin, der Eintritt kostet 20 Pfennig. Auf dem Programm stehen deutsche Werke von Hugo Kaun („Aus den Bergen“), Gustav Bumcke, Richard Kursch, Erwin Dressel. Selbst der Völkische Beobachter erliegt dem Charme der hübschen Blondine und findet ihr Spiel „meisterhaft“.

© 2007, 2010 Hans-Jürgen Schaal


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