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Bloggen über Jazz: BLOG THING

(BLOG THING wurde im Sommer 2011 eingestellt.)

Von Hans-Jürgen Schaal
(Koordinator von BLOG THING 2005-2011)

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BLOG THING 2006

Im Dezember 2006 geht BLOG THING, das Online-Forum auf jazzthing.de, ins zweite Jahr. In wöchentlichem Rhythmus stellt dort unser blog-thing-Autorenteam tief- bis abgründige Erkenntnisse und Erlebnisse aus der Jazzwelt zur Leser-Diskussion. Martin Schüller, der Kölner Krimimeister („Jazz“, „Verdammt lang tot“) und Gelegenheits-Drummer, beweist hier regelmäßig, dass er Jazz nicht nur in spannende Mordplots einspinnen, sondern unter mörderisch vielen Perspektiven mit philosophischem Gewinn betrachten kann. Sandra Weckert, Abenteuer-Saxofonistin aus Berlin mit legendärem Ruf, hat für blog thing sogar eine neue Kunstform erfunden: die Jazz-Groteske; wie die Nummer 1 unseres German Jazz Teams 2006 nachdrücklich versichert, ist jede ihrer Spukgeschichten aus dem deutschen Jazzleben Wort für Wort wahr. Und dann ist da natürlich noch unser unzuverlässiger Jazz-thing-Veteran Pit Huber (mit „Offbeat“ seit Heft Nr. 7 dabei), dessen Kompetenz von unseren Lesern immer wieder heftig angezweifelt wird („Es wird einem schlecht“, „Wie kann man nur solch einen Mist verzapfen?“).

Auf jeden Fall ein starkes Trio. Aber jetzt kommt es noch besser: blog thing erhält Zuwachs. In diesem Herbst steigen gleich vier zusätzliche Autoren online mit in den Ring. Wir begrüßen im Team: Lisa Bassenge, Jazzsängerin aus Berlin, die Rückennummer 3 im German Jazz Team 2006 und ab Januar mit neuer Band auf Tournee. Lisa reagierte auf unsere Anfrage mit spontaner Begeisterung: „Super, habe ich total Bock drauf!“ Dann: Christopher Dell, Europas bester Vibrafonist und coolster Improvisations-Theoretiker. Wir erwarten, dass uns Chris seine Vorlesungen als frisch gebackener Architekturdozent an der Berliner Universität der Künste flott ins Jazzistische übersetzt. Ferner: Ariane Riefert, die mit 14 in einem Stepptanz-Studio Billie Holiday entdeckte und dem Jazz verfiel. Ariane ist heute Jazz-twenty5-Moderatorin beim WDR und Jazzsängerin, kennt alle neuen CDs und macht gerade selber eine – ihre erste. Last not least: Uwe Wiedenstried, Jazzbuchautor („Yeah, man!“), engagierter Journalist und Hobby-Saxofonist aus Münster. Selten habe jemand in deutscher Sprache so gut über Jazz geschrieben, urteilt die Süddeutsche Zeitung über Uwe; man darf gespannt sein.

BLOG THING 2007

Ist der Jazz katholisch? Was macht ein gutes Solo aus? Und wie geht eigentlich Lounge Style Jazz? Mit den letzten Fragen und tiefsten Wahrheiten der improvisierten Musik beschäftigte sich im vergangenen Jahr das Expertengremium von „blog thing“ auf www.jazzthing.de. Glücklicherweise erhielt das mutige halbe Dutzend, das sich Anfang 2007 auf den schweren Weg in die klaffenden Abgründe des Jazz machte, unterwegs bald Verstärkung. Schon im Februar kam Lili Lameng hinzu, die unbeugsame Saxofonistin aus dem wilden Osten, und seit Mai ergänzt auch André Nendza, der gewichtige Bassist aus Leverkusen, Verzeihung: Eiserfey, das Blogger-Team.

Ladies first: Die bühnenerfahrenen, extrem nervenstarken blog-thing-Damen wussten im vergangenen Jahr Erstaunliches aus dem Leben „on tour“ zu berichten. Lisa Bassenge, die selbst ernannte „Anti-Hausfrau“, pendelte mit coolem Understatement zwischen Bandbus und Kindererziehung. Lisas Lexikon der Band-Terminologie ist schon heute ein Klassiker der Jazzforschung. Besonderen Anklang bei den blog-thing-Lesern fand ihr Votum für die Gitarrenkunst von Marc Ribot: Wer hätte nicht auch in seiner Herzgrube einen heimlichen Lieblingsgitarristen versteckt? Auch Lili Lameng ließ uns an den Höhepunkten ihrer Konzerttätigkeit teilhaben. Ob Valentinstag, Nostalgieband, Solo-Auftritt oder Weihnachtskonzert: Sie und ihre Tröte kommen viel herum. Nebenbei erfährt man von Lili auch noch Wissenswertes über die Jazzgeschichte, die Erotik des Saxofons und ob sie Miniröcke mag. Die heftigsten und epischsten Schwänke aus dem Leben lieferte freilich Sandra Weckert, die Frau mit der scharfen Zunge und dem schnellen Saxofon. In nicht weniger als zehn autobiografischen Skizzen von Romanstärke konnte man Sandra 2007 im Kampf gegen das Unrecht erleben: Eine Frau rettet die Welt. Wer Sandras Abenteuer als Nachlassverwalterin, Friedhofsmusikerin oder Schwimmbad-Friedensstifterin nicht gelesen hat, hat noch keine Ahnung vom Leben. Und erst recht keine vom Jazz.

Den Herren der Blog-Schöpfung ging es 2007 immer auch um die theoretische Durchdringung und philosophische Vermessung von Jazz-Phänomenen. Professor Christopher Dells unendliche Annäherung an eine Ontologie des Jazz gipfelte zum Jahresende in einer Metakritik des Staubsaugens, dem rabiaten Kollegen Keith Jarrett gewidmet. Kommissar Martin Schüller setzte auf den kriminell durchschlagenden Effekt und feuerte ganze Revolvermagazine gegen Bassisten und Raucher ab. Bassist André Nendza provozierte gleich mit seinem ersten Blog-Beitrag einen Till-Brönner-Bann (der sonst stumme oder einfach sprachlose Bloghost musste eingreifen) und zum Jahresende mit seiner Lieblingsplattenliste eine Flut von Bekenner-Kommentaren. Akribisch pflückte Systemkritiker Uwe Wiedenstried aus alten Jazzfilmen, schlechten Übersetzungen und einem Musikbuch von 1956 das falsche Jazzbewusstsein heraus. Und Pit Huber schließlich, der Jazz-thing-Veteran (seit 1995 soll er schon dabei sein), ließ uns 2007 an einer ganzen Reihe seiner persönlichen Krisen teilhaben. Zum Glück hat er in Martin Schüller einen hilfreichen Therapeuten gefunden. Bloggen und Kommentieren machen das Leben leichter. Auch in diesem Jahr.

BLOG THING 2008

Drei Jahre Online-Forum, acht Autoren und Autorinnen, mehr als 140 Online-Kolumnen, unzählige begeisterte und streitbare Kommentare von Lesern: Das ist „blog thing“. Nur wer regelmäßig auf www.jazzthing.de/blogthing klickt, kann in der Szene wirklich mitreden.

Ponydressur und Zahnplomben

Jazz kennt keine Sommerpause. André Nendza, Kontrabass-Heroe und Jazz-Blogger, hat versucht, im Sommer ein wenig Abstand von der Musik zu gewinnen – doch vergeblich: „Da werden beim Abstauben des Klaviers versehentlich doch ein paar Töne gedrückt. Und es ist wahrscheinlich gar nicht so gut, wenn man den Bass in der Hülle lässt! Irgendwie bin ich dann auch noch, rein zufällig, an den On-Knopf des Computers gekommen.“ Mehr so als Kompromiss las André dann Jazzbücher und empfahl die besten dankenswerterweise in blog thing (07.09.). Unsere Leser waren begeistert, ernannten André zum „Denis Scheck des Jazz“, stürzten sich umgehend in horrende Buchanschaffungskosten und revanchierten sich mit eigenen Tipps, zum Beispiel einer Lektüre „über meinen ehemaligen Lieblingsclub in Düsseldorf, UNIQUE!!! Der Titel ist ‚Unique Records – High Quality Recordings Since 1988‘.“ Schon gelesen?

Lili Lameng, unsere quirlige Saxofonistin aus dem Sächsischen, fand im Sommer die Zeit für einen Zirkusbesuch – und entkam dort der Musik ebenfalls nicht (24.08.). Halb fasziniert, halb erschüttert verfolgte sie das Treiben eines Kollegen in der Manege: „Der Trompeter spielte nun Posaune, im Wechsel mit Trompete, und zwar fast ohne Pause. Dazwischen machte er Ansagen. Dann trat er als Artist auf, eine Balancenummer mit übereinander gestapelten Stühlen, auf denen er beid- und einarmig Handstand machte, vier Stühle übereinander. Schon bei der Ponydressur spielte er wieder Trompete. Die Vorstellung ging über zwei Stunden. Ich stellte mir vor, ich sei er. Zwei Stunden totale Hingabe, Konzentration, Körperbeherrschung. Später dann kam er als Kunstreiter in die Manege. So absolut für eine Sache da sein, und das in dieser Vielseitigkeit! Ich bin noch immer beeindruckt!“ Da können sich sogar Jazz-Helden eine dicke Scheibe abschneiden.

Apropos Jazz-Helden: Uwe Wiedenstried, der Münsteraner Ideologiekritiker, erinnerte uns anlässlich des kaum beachteten Todes von Jo Stafford daran, dass kein Geringerer als Lester Young sie einst seine Lieblingssängerin genannt hat (17.08.). Die Jazzpolizei wendet sich da mit Grausen und kann sich eine solche Verfehlung nur durch Drogenmissbrauch erklären: „Die Episode sei uns Mahnung, unsere teure Seele nie den Teufeln Alkohol und Marihuana zu überantworten.“

Auch Alt-Kolumnist Pit Huber schlug sich mit seltsamen Jazz-Helden herum (14.08.). Schuld war ein Jazz-Quiz, das geheime Informationen offenbarte: „Das ‚von John McLaughlin gegründete Mahavishnu Orchestra‘ bestand tatsächlich nur bis 1973 – danach sonnte sich ein namensgleiches Ensemble frech im Mahavishnu-Ruhm. Und Paul Wertico ist seit 1983 ‚ständiges Mitglied‘ der Pat Metheny Group – er benutzt nur seit einigen Jahren das Pseudonym Antonio Sanchez.“ Wenn Jazzfragen offen bleiben, ruht Pit nicht, bis er sie beantworten kann – etwa mit einer Duke-Ellington-Anekdote. „Danke, eine wirklich wunderschöne Anekdote“, meldete sich ein User online.
„Übrigens lehrt ein keltisches Sprichwort, dass man eine gute Geschichte nicht durch Wahrheit verderben darf.“

Bei anderer Gelegenheit (16.09.) sinnierte Pit Huber über das Jazzjahr 1958 und die Kluft zwischen den Generationen: „1958 war DAS Jahr des Jazz. Den Babys wurde Jazz praktisch in die Wiege gelegt.“ Das rief den blog-thing-Leser „mampf“ auf den Plan, dessen Kommentar (oder besser: Essay) in seiner historischen Gediegenheit schon jetzt zu den Highlights von blog thing zählt. Nach Meinung des Kommentators ist die aktuelle Ausgabe von Berendts „Jazzbuch“ unlesbar und die ganze Jazz-Sache „ein ziemlich zäher Sumpf“: „Man stelle sich vor, Davis stände aus seinem Grab auf und käme mit dem jungen Quintett der 1960er Jahre (Shorter, Hancock, Carter, Williams) auf Europa-Tournee und alle Jazz-Fans hier wüssten, was da jetzt passiert. Das würde eine Menge lauwarme Luft wegblasen.“ Unbedingt nachlesen!

Trotz Laptop-Absturzes meldete sich Lisa Bassenge, Berlins coolste Stimme, von unterwegs – direkt vom Tour-Gig in Freiburg (24.09.). Da erfuhren wir wieder mal, wie es hinter den Kulissen des Jazzgeschäfts wirklich aussieht. Lisa hat von der Wand des Freiburger Jazzhauses die besten Ausreden des Live-Biz abgeschrieben und präsentierte sie uns unzensiert: Miles played here before and he didn’t complain. But I didn’t watch Pay TV. I promise I won’t tell. The hotel’s close to the gig. – Kein Kommentar. Nur ein wieherndes Lachen.

Ein echtes Streitthema trat der Kölner Feldforscher Martin Schüller mit seinem Plädoyer für die Mundharmonika los (29.09.): „Was Wonder an Soul und Groove aus dem Ding holt, reißt noch die letzte Kartoffel vom Sofa.“ Der Widerspruch aus der Userschaft ließ nicht lange auf sich warten. Denn nicht alle Hörer empfinden den Klang der chromatischen Mundharmonika als angenehm: „Das hierbei häufig erzeugte Klangbild führt in der freien Natur zum vorzeitigen Fallen der Blätter und zur Verödung der Bewachsung. Es ist quasi das akustische Pendant dessen, was mit Pflanzen geschieht, wenn Ziegen daran herumknabbern: Da wächst kein Gras mehr. In geschlossenen Räumen führt die unselige Mischung aus zahnschmelzerweichend mittigem Frequenzbild und den häufigen sog. „falschen“ Tönen zu leisen, klackerenden Geräuschen: Die Zahnplomben und auch die letztem Amalgam-Füllungen der Anwesenden lösen sich und gleiten durch den offenen Mund gen Fußboden.“ Mitdiskutieren!

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Die aktuellen Blogger sind (Stand: 2010):
Lisa Bassenge, Lorenz Hargassner, Anke Helfrich, Pit Huber, Lili Lameng, André Nendza, Uwe Wiedenstried

© 2006-2008, 2010 Hans-Jürgen Schaal


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