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Aufgepasst, Männer: Hier kommen die aufregendsten, fantasievollsten, fingerflinksten, umwerfendsten, energiegeladensten Traumfrauen des Jazz! Fünf überragende Musikerinnen zwischen Mainstream und Avantgarde bilden mein ultimatives All-Female Dream Team. (Sorry, Sängerinnen müssen leider draußen bleiben.)

Schamaninnen des Jazz
Das Dream Team der Powerfrauen
(2006)

Von Hans-Jürgen Schaal

Gute Jazz-Bläserinnen gibt es mittlerweile jede Menge, aber es gibt nur eine Jane Ira Bloom. Die zierliche blonde Frau, die 1980 ihr Debütalbum aufnahm, ist so etwas wie die Hannah Arendt oder Marie Curie des Sopransaxophons. Sie spielt dieses Instrument mit einer Persönlichkeit, einer charakteristischen Stimme, wie sie kaum ein männlicher Kollege je auf dem Sopran entwickelt hat. Alles, was sie macht, ist unverwechselbar: ihr würziger Sound, ihre aparte Intervallsprache, ihr asymmetrisches Phrasieren. Sie sucht nach neuen Dimensionen des Jazz und lässt sich dabei von der Malerei, vom Sport und sogar vom Weltraum inspirieren. „Gleichmäßige Achtelnoten“, verriet sie mir einmal, „interessieren mich in der improvisierten Musik nicht besonders, eher so etwas wie spiralförmige Tempi: Dinge, die beschleunigen und abbremsen, die sich drehen, die in fließender Bewegung sind... Dinge, die an Spiralnebel erinnern. Ich mag die Vorstellung, dass es Bewegung gibt, die unregelmäßig ist, aber überzeugend.“ Wie zum Beispiel die Bewegungen eines Skiläufers, der sich durch Slalomstangen windet. Auf dem Quartett-Album „Slalom“ von 1988 verraten schon die meisten Stücktitel, woher die dynamischen Anregungen kommen. „Painting Over Paris“, eine Ballade für die Maler vom Montmartre, und das ohne Tempo gespielte, elektronisch-surreale „Miro“ verweisen auf visuelle, farbige Analogien. „Ice Dancing“, inspiriert vom Erfolgs-Bolero der Eistanz-Weltmeister Torvill/Dean, und das metrisch vertrackte Titelstück verdanken sich dagegen den Freuden des Wintersports. Der uptempo swingende „Blues On Mars“ oder das weiträumige „Light Years Away“ führen traditionelle Jazzformen weiter ins Galaktische. Nicht umsonst war Jane Ira Bloom in den achtziger Jahren am NASA Art Program beteiligt: Mit ihr kam der Jazz im Erdorbit an.

Auch die Gitarristin Emily Remler träumte davon, „den Planeten zu verlassen“, wenn auch in einem anderen Sinn. Dass sie mit Jane Ira Bloom harmonierte, zeigte sie jedenfalls 1981 beim Berliner JazzFest, als beide zu David Friedmans Band gehörten. Emily, das verspätete Hippie-Mädchen aus gutem Hause, wuchs mit der Musik von Jimi Hendrix und B.B. King auf, brachte sich selbst das Gitarrenspiel bei und wünschte sich oft, ein Junge zu sein. „Ich mag ja aussehen wie ein nettes jüdisches Mädchen aus New Jersey“, sagte sie einmal, „aber in meinem Innern bin ich ein 50-jähriger, schwergewichtiger Schwarzer mit einem kräftigen Daumen – so wie Wes Montgomery.“ Diesem Gitarren-Heroen widmete sie auch ihr fünftes Album, „East To Wes“ von 1988, eine Quartettaufnahme mit erlesenen Standards und erlesenem Personal. Hank Jones, der freundliche Ur-Bebopper, sorgt für Authentizität am Klavier, Bassist Buster Williams für heißen, virtuosen Drive, Drummer Martin „Smitty“ Smith für den zeitgemäßen, fantasievollen Rhythmus-Kick. Und Emily spielt, wie keine Frau vor oder nach ihr Jazzgitarre gespielt hat: mit diesem warmen, dicken Montgomery-Ton, großer Selbstverständlichkeit und nonchalantem Understatement. Als wäre nichts weiter dabei, zündet sie die Bebop-Raketen „Daahoud“ und „Hot House“ oder breitet Balladen wie Claude Thornhills „Snowfall“ und Blossom Dearies „Sweet Georgie Fame“ aus – allesamt Stücke, die kaum ein Mensch je auf der Gitarre gehört hat. Und dann natürlich ihre Originals: eine schnelle Blues-Hommage an Herb Ellis, ihren Förderer, und im Titelstück die Widmung an Wes Montgomery – mit relaxtem Bossa-Touch und vielen Oktavgriffen. Kräftiger, erdiger, schwärzer kann man nicht Gitarre spielen, Mädchen! Emily Remler, das Hippie-Mädchen, das tougher sein wollte als die Männer, starb 32-jährig an einer Überdosis Heroin.

Für die Besetzung des Klavierhockers in meinem fiktiven Frauenpower-Team hatte ich die Qual der Wahl. Denn das Piano ist das einzige Instrument, an dem Frauen von der Männerwelt des Jazz einigermaßen akzeptiert werden – seit den Tagen von Lil Hardin und Mary Lou Williams. Entsprechend üppig und vielseitig blühen hier die Talente. Ins Team berufen habe ich schließlich die in Kalifornien geborene Michele Rosewoman, eine Pianistin, die zwischen erdigem Mainstream und frecher Avantgarde zu vermitteln weiß, auf ganz eigene, zupackende Weise in die Tasten greift und zudem große Quintett-Erfahrung mitbringt. Ihre renommierteste Band, ein Zwei-Saxophonisten-Quintett, mit dem sie – in wechselnder Besetzung – bisher vier Alben eingespielt hat, heißt treffend „Quintessence“ – und das war auch der Titel des Band-Debüts. Die Bläserfront des Quintetts bildeten 1987 die beiden führenden Saxophonisten der damals angesagten M-Base: Steve Coleman und Greg Osby. Und der Spirit der M-Base scheint auch tief in Micheles Kompositionen eingedrungen zu sein: Boppige Intervall-Linien treffen sich mit funky Vamps, monkisch verwinkelte Themen prallen auf Kuba-Rhythmen, hart swingende Saxophonsätze wechseln mit kammermusikalisch wirkenden Out-of-tempo-Strukturen oder melodiösen Zwischenmotiven. Als Pianistin ist Michele hier in jeder Lage ganz zu Hause: mal latinesk à la Monty Alexander, mal verzinkt wie Elmo Hope, mal verclustert wie Don Pullen. Man hört: Die Energie dieser Musik kommt aus ihrem eigenen Spiel, aus ihrem Spaß an eckigem Swing, dissonanten Kanten und insistierenden Figuren. Ein traumhaftes Meisterwerk.

Weil der Kontrabass bei den Damen nicht sehr beliebt ist, gebe ich einer überragenden Cellistin den Vorzug, die in meinem Dream Team nicht nur Bass-Aufgaben übernehmen, sondern auch wie eine zweite Bläserstimme agieren kann: die hübsche, schwarzhaarige Kanadierin Peggy Lee (nicht zu verwechseln mit der Swing-Sirene gleichen Namens). Peggy, in Toronto geboren, spielt seit ihrem 13. Lebensjahr Violoncello. Klassisch ausgebildet, aber nachhaltig von populären Klängen fasziniert, bildet sie heute einen Aktivposten in der Improvisations-Szene von Vancouver und war auch auf Platten von Dave Douglas oder George Lewis zu hören. Mit „The Peggy Lee Band“ hat sie 1999 ihr Debütalbum als Bandleaderin veröffentlicht, dem inzwischen zwei weitere Alben folgten. Was sie mit ihrem Sextett – zwei Blechbläser, Cello, E-Gitarre, E-Bass, Schlagzeug – kompositorisch und improvisierend anstellt, hat einen Zug ins Visionäre, Neuartige und Abgründige. Von dunklen elektronischen Klangfarben scheint diese rhapsodische, spacige Musik inspiriert. Schon das Eröffnungsstück „Message To Little Shoe“ kommt als Trance-Nummer im 5/4-Takt daher: Sanft, aber harmonisch komplex schichten sich die Stimmen des Sextetts, ordnen sich laufend um, und schwärmerisch soliert das Cello durch all die Klanglagen – leidenschaftlich und doch präzise. Die folgenden Stücke bieten kanonartig gestaffelte Trauermärsche, volkstümlich berührte Polkafantasien, kunstvoll verfremdete Karibikklänge, geheimnisvolle Dämmer- und Traummusiken, von freien Noise-Episoden unterbrochen oder von Beach-Guitar-Sounds umspielt. Selbst die zynischsten Musikkritiker kramen da Worte wie „Schönheit“ und „Tiefe“ hervor und lernen wieder, dass schiere Virtuosität nicht alles ist. Festival-Verantwortliche, bitte herhören: Diese Dame ist das kommende Highlight für eure Bühnen!

Fehlt noch das Schlagzeug. Wenn Sie meinen, Frauen und Trommeln passten nur im Selbsterfahrungs-Kurs zusammen, dann täuschen Sie sich gewaltig. Immer mehr Frauen erobern sich das Jazz-Schlagzeug, und das hat seinen Grund: Die Trommel ist das magische Instrument schlechthin, das Instrument der Schamaninnen und Voodoo-Priesterinnnen, die Juju-Zapfsäule, die Energiepumpe, das Werkzeug einer tieferen, inneren Sprache. Komplex ausgetüftelte Schlagmuster und donnernde Heavy-Metal-Salven mögen Männersache sein; aber wer könnte besser auf den Trommeln und Becken flüstern, Geschichten erzählen, Spannung aufbauen, den Zuhörer verführen, erregen und besänftigen als die stock- und besenkundige Zauberfrau? Meine Wahl fiel auf Cindy Blackman, die schöne Afro-Amerikanerin, die seit 1987 Platten unter eigenem Namen vorlegt. Die Kritiker bezeichnen sie gerne als den weiblichen Tony Williams, aber damit tut man beiden Unrecht: Cindy hat einen ganz eigenen Sinn für die Gefühlswelt des Schlagzeugs, für seine Sanftheit und seine Heftigkeit, seine Raffinessen und Komplexitäten. Rund ein Dutzend Alben hat sie bereits vorgelegt, meist klassischer Hardbop zwischen Art Blakey und 60er-Jahre-Miles. Eines der besten ist „The Oracle“ von 1996, weil Cindy hier mit den Größten spielt: mit Gary Bartz, Kenny Barron und Ron Carter. Diese drei Herren – alle rund 20 Jahre älter als die Schlagzeugerin – sind dabei Gebende und Nehmende zugleich: Was sie Cindys Musik an Reife und Souveränität schenken, erhalten sie von der Trommelfrau an frischer Energie, feurigem Drive und reichen Ideen. Denn die Schlagzeugerin begleitet die Musik nicht, sie ist mittendrin, ziseliert sie, vertieft sie, verdichtet sie, setzt die Akzente, spannt den Bogen von Wendepunkt zu Wendepunkt. Cindy Blackman liebt Soli und weite Räume: Da sprechen ihre Stöcke noch beredter als sonst. Ob mit großer oder kleiner Flamme, die Glut erlischt zu keinem Augenblick. So lieben wir die Frauen.

© 2006, 2010 Hans-Jürgen Schaal


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