Auch ich bin ein Komponist. Ich brachte mir das Komponieren bei, indem ich in die Büchereien ging und indem ich Schallplatten hörte. Ich mag keine Schulen. Ich mag keine Lehrer. Ich mag die meisten Dinge nicht, an die Sie glauben – und als wäre das nicht schlimm genug, verdiene ich meinen Lebensunterhalt auch noch damit, elektrische Gitarre zu spielen.
- Frank Zappa (1940-1993) in einer Rede vor der American Society of University Composers im Jahr 1984
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In seinem Musikerroman „Doktor Faustus“ entdeckte Thomas Mann einen Zusammenhang zwischen dem Komponieren und der Alchemie. Da muss was dran sein, denn auch der junge Frank Zappa war fasziniert von den unberechenbaren Möglichkeiten seines Chemiekastens. Mit sechs Jahren konnte er angeblich schon Schießpulver herstellen. Später zündete er mit Vorliebe gelblich-orangene Feuerkugeln und erschütterte die elterliche Wohnung mit so mancher Explosion. Bevor alles endgültig in die Luft flog, zog die Familie weg aus der nordkalifornischen Wüste in die Nähe von Los Angeles. Und dort begann, wie Zappa es nannte, die zweite Phase seiner wissenschaftlichen Karriere: Er verlegte seine Experimentierlust auf Töne, Klänge und Rhythmen und brachte diese ebenfalls zur Explosion. Und das tat er für den Rest seines Lebens.
Explosive Feuerkugeln
Über das Projekt „Greggery Peccary & Other Persuasions“
(2003)
Von Hans-Jürgen Schaal
Frank Zappa ist alles andere als ein hochseriöser, akademisch geschulter Tonsetzer. Dreißig Jahre lang hat dieser Mann auf Rockbühnen provoziert und rebelliert, war Amerikas schrillster Sozialsatiriker und hemmungslosester Bürgerschreck. Wer nichts sonst über Zappa wusste und seine Musik nicht kannte, hatte doch immerhin von seinen Skandalen gehört, deren Legende lawinenartig ins Monströse wuchs. Und das Schlimmste: Er tourte unentwegt mit einer Horde von Rockmusikern um die ganze Welt und produzierte anarchistischen Bühnentheaterlärm. Definitiv kein Klassiker.
Und doch: Schon der Teenager Zappa wollte nichts anderes werden als ein ernsthafter Komponist. Zu seinem 15. Geburtstag wünschte er sich ein Ferngespräch nach Greenwich Village, ins Künstlerviertel New Yorks. Nur dort, so meinte er, konnte sein Idol wohnen, Edgar(d) Varèse, und tatsächlich: Das Fräulein vom Amt fand die Nummer eingetragen. Die ersten Platten, die sich der Teenager kaufte, enthielten Musik von Varèse und Strawinsky. Varèses Perkussionsschichtungen, Geräuschcollagen, Elektronik- und Tonbandexperimente, Strawinskys metrische Kapriolen, bizarre Marschthemen, abrupte Tempowechsel haben Zappas Musikkosmos bis ins Innerste geprägt. Noch kurz vor seinem Tod spielte Zappa mit dem Ensemble Modern Varèses gesamte Instrumentalmusik ein; die Aufnahme ist noch unveröffentlicht. Sogar das Gesamtwerk Anton Weberns wollte er mit seiner „letzten Band“, dem Ensemble aus Deutschland, ernsthaft angehen. Sein Tod kam dem zuvor.
Was hielt Zappa von einer ernsthaften Komponisten-Karriere ab? Verkürzt gesagt: das Schicksal seines Idols Varèse. Dass er dessen Musik überhaupt nur durch Zufall entdeckt hatte, dass das populäre Magazin „Look!“ eine Platte Varèses „die schlimmste Musik der Welt“ nannte und als dissonant und schrecklich beschrieb, dass Varèse aus Resignation jahrelang das Komponieren einstellte: All dies verriet dem jungen Zappa genug über Amerikas Wertschätzung für zeitgenössische Komposition. Wollte er, dass seine eigene Musik gespielt und gehört würde, musste er Songs fürs Radio schreiben, eine eigene Band haben, auf die Bühne gehen, womöglich selbst Gitarre spielen, womöglich selbst singen. Zum Glück war Zappa die Trennung zwischen U- und E-Musik fremd: Den schwarzen Rhythm’n’Blues fand er ebenso faszinierend wie Strawinskys „Sacre du Printemps“. Und so entstand 1965 jene Band, mit der er zu Weltruhm gelangen sollte: die Mothers of Invention. Die Versöhnung von Blues-Gitarre, Rock-Theater und fortgeschrittenster Kompositionstechnik.
Als Rockmusiker und Studiotechniker war Zappa Avantgardist. Aber auch kompositorisch steckte er nie zurück: Die rhythmische, harmonische und formale Komplexität, die Zappas Klangwelt mit Varèse oder Strawinsky gemeinsam hat, machte die „Mothers“ zu einem Extremfall der Pop-Geschichte. Doch obwohl es Zappa gelang, mit dieser ungewöhnlichen Mixtur auch noch Erfolg zu haben, legte er seine klassischen Ambitionen nie zu den Akten. Er sah sich als Komponist, nicht als Rock-Gitarrist: „Ich habe es immer geliebt, kleine schwarze Punkte aufs Notenpapier zu setzen. Wenn ich mein Geld damit verdienen könnte, nur Musik zu schreiben, so schwierig und so kompliziert, wie ich sie haben wollte, und wenn ich wüsste, dass jemand sie spielen würde und ich sie nur aufnehmen müsste, dann würde ich das glücklich und zufrieden bis an mein Lebensende tun.“
Daher suchte Frank Zappa immer wieder die Zusammenarbeit mit klassischen Ensembles. 1970 schon trafen die Mothers auf das Los Angeles Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta. Im Jahr darauf wirkte das Royal Philharmonic Orchestra unter Elgar Howarth bei der Produktion von „200 Motels“ mit. 1975 arbeitete Zappa für sein 4-LP-Großprojekt „Läther“ mit einem eigens zusammengestellten Orchester unter der Leitung von Michael Zearott. In den 80er-Jahren folgten die Produktionen mit dem London Symphony Orchestra unter Kent Nagano und dem Ensemble InterContemporain unter Pierre Boulez. Viele andere Orchesterprojekte scheiterten, zum Teil in einer schon weit fortgeschrittenen Phase.
Der erfahrene Rock-Pragmatiker Frank Zappa und die gewerkschaftlich organisierten Angestellten eines etablierten Orchesterapparats – da trafen zwei sehr verschiedene Welten aufeinander. Die Probleme waren vorprogrammiert: Zappa erlebte – künstlerisch, persönlich und finanziell – eine Enttäuschung nach der anderen und seine Schimpftiraden auf Orchestermusiker wurden sprichwörtlich. Dass er es dennoch immer wieder versuchte, hatte nach seiner Meinung zwei Gründe: „Erstens, weil ich die Musik hören will, und zweitens, weil ich bescheuert bin.“ Als er sich 1982 ein Synclavier anschaffte, mit dem er auch die schwierigsten Passagen in jeder beliebigen Computer-Instrumentierung umsetzen konnte, war das ein Akt der Resignation und Rationalisierung: „Das übertrifft jedes Orchester. Du hast die totale Kontrolle über deine Idee.“ Ab sofort schrieb Zappa keine Noten mehr, sondern komponierte direkt in den Computer. Bei seinem Tod 1993 hinterließ er etwa 500 unvollendete Synclavier-Werke.
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Das Ensemble Modern wusste, worauf es sich einließ, als es 1991 den Kontakt zu Frank Zappa suchte. Beide Seiten einigten sich zunächst auf eine (von der Alten Oper Frankfurt finanzierte) zweiwöchige Testphase in „Joe’s Garage“, Zappas Aufnahmestudio in Los Angeles. Dabei konnte sich der Amerikaner davon überzeugen, dass er es bei diesem Ensemble nicht mit „Musikbeamten“ zu tun hatte, sondern mit Künstlern, die hungrig waren auf neue Musik und neue Erfahrungen. Umgekehrt konnte das Ensemble Zappas Arbeitsweise und Anforderungen kennen lernen, die nicht gerade dem Standard des Klassikbetriebs entsprachen. „Das waren tatsächlich sehr ungewohnte Arbeitstechniken“, bestätigt Roland Diry, Klarinettist des Ensemble Modern. „Es gab ein regelrechtes Probespiel mit verschiedenen Instrumentengruppen. Da musste zum Beispiel jeder Einzelne zu einem Hintergrund von Keyboards, Bass und Schlagzeug improvisieren, Auch wurden wir mit ungewohnten Instrumenten konfrontiert. Es wurde immer wieder uminstrumentiert.“
Zappa erwartete weit mehr als nur instrumentale Perfektion: Er verlangte von den Musikern Persönlichkeit, Engagement, Spontaneität – wie von den Mitgliedern einer Rockband. Für ihn, den Hobby-Anthropologen, waren die zwei Wochen in „Joe’s Garage“ auch eine Art psychologischer Workshop. Er ließ die Musiker einzeln und in Gruppen improvisieren, ließ sie auf Sounds reagieren, ließ sie auch rezitieren und schauspielern und machte diese Einlagen zu integralen Bestandteilen des gemeinsamen Programms. Dazu Diry: „Zappa hat eine unglaubliche Begabung, in Musikern Qualitäten zu entdecken und sie für sich zu nutzen. Darin war er vielleicht am größten.“ Zum Schluss der zweiwöchigen Klausur in L.A. samplete Zappa fürs Synclavier die Spielweise jedes Ensemble-Mitglieds, jeweils den gesamten Tonumfang und das gesamte Artikulationsspektrum. So konnte er nach der Abreise der „Germans“ mit einem „synthetischen“ Ensemble Modern weiterarbeiten.
Die Testphase gab grünes Licht: Beide Seiten hatten bewiesen, dass sie sich bewegen und aufeinander zugehen können. Trotz aller Unterschiede gab es da offenbar eine Lust am Gegenüber, ein Gefühl der Verbundenheit und Verwandtschaft. Waren nicht beide, Zappa und das Ensemble Modern, Einzelgänger im etablierten Konzertbetrieb? Das gute Ende ist bekannt: „The Yellow Shark“, das gemeinsame Projekt, wurde im September 1992 in Frankfurt, Berlin und Wien an sieben Abenden erfolgreich präsentiert. Zappa lobte nicht nur das Ensemble („Die Hingabe der Gruppe ist atemberaubend“), sondern auch das Interesse, die Aufmerksamkeit und die Begeisterung des Publikums. Nach all den Enttäuschungen mit klassischen Orchestern war es, als hätte sich ein lebenslanger Traum in letzter Minute doch noch erfüllt. An der CD-Produktion, seiner letzten, arbeitete Zappa mit dem ihm eigenen Perfektionismus: Er hatte die Live-Aufführungen mit einem Recording Truck 96-spurig mitschneiden lassen und montierte die besten Stellen aus allen sieben Konzerten in monatelanger Schneide- und Mischarbeit. Das Ergebnis – die CD „The Yellow Shark“ – ist auch der Erfolg des vielleicht ingeniösesten Tontechnik-Zauberers des 20. Jahrhunderts, Frank Zappa.
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Aber etwas war liegen geblieben. Schon im Sommer 1991, in der ersten Testphase des Ensembles mit Zappa, kamen Wünsche, Pläne, Vorschläge zur Sprache, die im gemeinsamen Konzertprogramm keinen Platz mehr fanden. Vieles davon war nur vage. So sollten Stücke aus dem Projekt „200 Motels“ von 1971 wiederbelebt werden, aber auch solche aus „Läther“, Zappas unglücklichem Flirt mit der Major-Firma Warner Brothers Mitte der siebziger Jahre. Von Seiten des Ensembles wurde wiederholt der Wunsch geäußert, Zappas Synclavier-Stücke in real gespielte Musik umzusetzen – als wollte man dem Komponisten beweisen, dass auch das Unspielbare spielbar sei. Eines dieser Stücke, „G-Spot Tornado“ aus dem Album „Jazz From Hell“, wurde in der Testphase geprobt, dann als gescheitertes Experiment beiseite gelegt. Doch die Ensemble-Mitglieder übten es weiter und präsentierten es schließlich als Zugabe zum „Yellow Shark“. So viel zum Thema Unspielbarkeit.
Etwas war liegen geblieben und ließ das Ensemble nicht recht zur Ruhe kommen. Schließlich war man ja so etwas wie Zappas „letzte Band“ gewesen ¬– und obendrein eine, die so vieles korrigiert hatte, was der Maestro in der klassischen Welt hatte erleiden müssen. Man fühlte sich verpflichtet. Und endlich war da auch noch Ali N. Askin, der durch seine ungewöhnlichen Fähigkeiten als Transkripteur die erste Begegnung zwischen Zappa und dem Ensemble Modern gerettet hatte und auch für ein halbes Dutzend Arrangements auf „The Yellow Shark“ verantwortlich war. Askin hatte danach weiterhin mit Zappa kooperiert und war tief in dessen Arbeitsweise eingedrungen. Noch bis Ende 2001 hatte er im Auftrag der Zappa-Familie Noten-Editionen von Zappas Werken erstellt. Er kannte die Partituren- und Tonband-Archive, er transkribierte den Klangstand der Synclavier-Stücke, er konnte frühere und spätere Fassungen vergleichen und nicht notierte Teile nach Bändern restaurieren. Askin war der richtige Mann, um ein zweites Zappa-Projekt im Geiste und Anspruch des verstorbenen Komponisten zu realisieren.
1996 verhandelte man mit Gail Zappa, der Witwe des Komponisten, über ein Nachfolgeprojekt. Nicht erst da stand „The Adventures of Greggery Peccary“, das skurrile Musikdrama aus den Alben „Studio Tan“ und „Läther“, ganz im Zentrum des Interesses. „’Greggery Peccary’ war seit der Testphase von 1991 im Gespräch“, erinnert sich Roland Diry, „ebenso ‚Dental Hygiene Dilemma’. Siebzig Prozent des Programms wurde schon in der Testphase besprochen.“ Dass Synclavier-Stücke hinzukommen sollten, denen das Ensemble atmende Menschlichkeit einblasen wollte, war außerdem klar. Auch dass sich das Augenmerk speziell auf Stücke aus „obskuren“ Alben wie „Läther“ und „Civilization Phaze III“ richten würde. So schälte sich allmählich ein Konzertprogramm heraus: eine mutwillige Mixtur von Werken, die – so die Absicht – Facetten in Zappas Schaffen aufzeigen sollte, die auf „Yellow Shark“ zu kurz gekommen waren. Und so wie Zappa persönlich „Yellow Shark“ durch seine Moderation zusammengehalten hatte, sollten die dramatisch-vokalen Elemente der beiden Hauptwerke für das neue Programm den inneren Kontext liefern.
Im Sommer 2000 brachte das Ensemble Modern sein zweites Zappa-Programm, „Greggery Peccary & Other Persuasions“, erfolgreich zwischen Amsterdam und Bologna auf die Konzertbühnen. Für die CD-Produktion wurde eine Woche im Juli 2002 als Aufnahme-Zeitraum bestimmt – lange im voraus, denn die Terminpläne der Ensemble-Mitglieder mussten koordiniert und Gastsolisten verpflichtet werden, allen voran Omar Ebrahim und David Moss, die Stimmen des Projekts. Jonathan Stockhammer, der am gleichen Tag wie Zappa Geburtstag hat, wurde als Dirigent gewonnen. Offen war nur: Welche Plattenfirma würde das Projekt unter ihre Fittiche nehmen und die Aufnahmen organisieren und finanzieren? Da kam die Konjunkturkrise den Plänen in die Quere: Mit Umsatzrückgängen von bis zu 30 Prozent wollte keine Plattenfirma Anfang 2002 so recht einsteigen. Also nahm das Ensemble die Sache selbst in die Hand und produzierte in eigener Verantwortung – im Hermann-Josef-Abs-Saal der Deutschen Bank in Frankfurt. Die künstlerische Leitung teilten sich Norbert Ommer (Sound Director), Ali N. Askin (Arrangeur) und Jonathan Stockhammer (Dirigent). Das Ensemble Modern war eben schon immer ein etwas anderes Orchester.
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Die Stücke „Night School“ und „Beltway Bandits“ wurden im Original am Synclavier erarbeitet. Sie eröffnen in dieser Reihenfolge Zappas Platte „Jazz From Hell“ aus dem Jahr 1986, sein erstes ernsthaftes Synclavier-Manifest. (Zwei Jahre zuvor hatte er mit „Francesco Zappa“ den Umgang mit dem Synclavier in einer Art musikhistorischer Satire erprobt.) Für Zappa war „Jazz From Hell“ eine echte Alternative zu seinen Orchesteraufnahmen mit dem London Symphony Orchestra, denn im Gegensatz zu diesen war das Synclavier-Album definitiv frei von „falschen Noten und verpatzten Passagen“. Mit diesem höchsten Anspruch, dazu dem Wort „Jazz“ im Titel, einer synthetischen Schlagzeug-Begleitung und einem Grammy für das beste Rock-Instrumental-Album des Jahres signalisiert „Jazz From Hell“ DIE Genre-Überschreitung schlechthin. Und war damit ein gefundenes Fressen für das Ensemble Modern, das nie die Absicht hatte, Frank Zappa als verhinderten Klassiker zu entdecken. Selbst den Schlagzeug-Beat der Synclavier-Stücke adaptieren die Ensemble-Arrangements – und dennoch ändert die echte, vitale Instrumentierung den Charakter von Zappas Musik. Die Stücke verlieren jeden Anschein des Improvisierten und wirken vielfach logischer und geschlossener, im Detail kunstvoller und klarer. Das Unscheinbare wird plötzlich interessant, das Wilde strukturiert. Zappas (dank Synclavier) unbegrenzte Fantasie lässt sich vom Ensemble in menschliche Dimensionen zurückholen.
„A Pig With Wings“ und „Put A Motor In Yourself“ sind ebenfalls am Synclavier entstanden. Ursprünglich veröffentlicht wurden sie erst nach Zappas Tod auf dem Album „Civilization Phaze III“, einem noch vom Komponisten zusammengestellten krud-philosophischen Szenario mit umfangreichen Tondokumenten improvisierten Sprechens. Interessanterweise war das Ensemble Modern an jenem Album mitbeteiligt: Zappa verwendete dafür nämlich Wort- und Klangmaterial, das er bei der Testphase mit dem Ensemble in Los Angeles 1991 mitgeschnitten hatte. Es ist nicht auszuschließen, dass die Synclavier-Stücke auf „Cilization Phaze III“, die Zappa 1992 aufnahm, ebenfalls von der Arbeit mit dem Ensemble angeregt sind und Sound-Samples davon verwenden. Über „A Pig With Wings“, bei Zappa eine etwas pathetische Rubato-Fantasie, vermerkt sein Szenario das Erscheinen einer Schweins-Kreatur mit Flügeln, „während Jesus so tut, als erzeuge er einen gitarrenähnlichen Klang, indem er mit den Händen gigantische Klaviersaiten anreißt“. Den synthetischen Jesus-Gitarren-Klang übersetzt Askins Arrangement in ein charmantes Intermezzo aus echten Saitenklänge von Harfe, Flügel, E-Gitarre. Im Gegensatz dazu ist „Put A Motor In Yourself“ von starker Motorik geprägt: Die Umsetzung aufs Ensemble – einschließlich elektronischer Klangfarben – macht die rhythmischen und melodischen Schichtungen hör- und fast greifbar.
Auch „Moggio“ (aus „Man From Utopia“) ist anzumerken, dass es einmal am Synclavier entstand: Zappas Lust am Komplexen und Abrupten fand in diesem Musikcomputer ein willkommenes Spielzeug. Dennoch ist „Moggio“ natürlich ein echtes Rockband-Stück und wurde von Zappas eigener Gruppe mit Begeisterung gespielt. Die Komposition ist echt Zappa – hat sie doch das ironisch Auftrumpfende vieler seiner Marsch- oder Hymnenthemen, durchsetzt mit den lichtschnellen Perkussionsläufen, die er so liebte. Da wird mit musikalischen Klischees jongliert, ohne dass es ins Banale abrutschen würde. Die Schnarchgeräusche am Anfang und Ende hörte man so ähnlich schon in Zappas Version.
„Dental Hygiene Dilemma“ (einschließlich „Does This Kind Of Life Look Interesting To You?“) begleitet in Zappas „200 Motels“ eine Trickfilmsequenz und führt uns tief in die skurrile Text- und Klangwelt des Frank Zappa. Ein Engel und ein Teufel streiten in einem exaltierten Melodram um die Seele des E-Bassisten Jeff: Der Teufel möchte ihn überreden, Zappas „Comedy Music“ zu vergessen und kommerziellen Rock zu spielen. Was im Original zuweilen an ein anarchistisches Lärm-Happening erinnert, entpuppt sich dank des Ensemble Modern als Mixtur aus parodierter Seifenoper und avantgardistischem Dramolett: Endlich kann man Zappas eklektische Begleitmusik richtig goutieren. Noch einen Schritt weiter geht das Titelstück, „The Adventures of Greggery Peccary“, von Zappa geplant als Seite 8 des 4-LP-Sets „Läther“. Es ist ein mehr als 20-minütiges absurdes Hörspiel über Konsumterror, Moden und Philosophie über die Zeit; die Hauptfiguren sind ein kreatives Schwein und ein sehr schlauer „Philostoph“. Die Musik besitzt ausgeprägten Collagen-Charakter, steckt voller Anspielungen und bleibt immer nur für Sekunden innerhalb eines Stils oder Metrums. Tatsächlich hat Zappa seine Fassungen von „Greggery Peccary“ weitgehend am Schneidetisch zusammengefügt und sich wohl gar nicht vorgestellt, dass ein Ensemble ein solches Stilmosaik mit Exaktheit am Stück spielen könnte. Askin recherchierte geduldig alle vorhandenen Versionen und Fragmente, grub eine Menge zusätzlicher Musik aus und hat in seiner Partitur eine Art maximalen „GregPecc“ geschaffen: die Entdeckung eines bizarren Meisterwerks.
Auch „Black Page # 1“, „Naval Aviation In Art“ und „Revised Music For Low Budget Orchestra“ stehen mit dem Projekt „Läther“ in Verbindung. „Black Page“ gehört zu den berüchtigtsten unter Zappas kurzen Nummern, denn der Stücktitel meint ein Blatt Papier, das schwarz ist vor lauter Noten – der Alptraum vieler Musiker. Das ausgeschriebene Schlagzeugsolo entwickelte sich bei Zappa zu einer hochkomplexen, polyrhythmischen Etüde für melodische Perkussion und emanzipiert sich beim Ensemble Modern als spannendes Orchester-Kurzdrama. Bereits von Zappa als Orchesterstück konzipiert ist dagegen „Naval Aviation In Art?“, das erstmals auf „Orchestral Favorites“ erschien und für die 1984er Aufnahme unter Pierre Boulez vom Komponisten neu bearbeitet wurde. Es ist ein kurzes, für Zappas Verhältnisse statisches Stück, durchsetzt mit schnellen, blitzartigen Figuren. Die Instrumentierung des Ensemble Modern gewinnt ihnen eine mysteriöse kammermusikalische Natur ab. Eine noch interessantere Werkgeschichte besitzt die „Revised Music For Low Budget Orchestra“. Ihre erste Verkörperung als „Music For Electric Violin And Low Budget Orchestra“ war rund 20 Minuten lang und entstand 1970 für das Album „King Kong“ des Geigers Jean-Luc Ponty. Ursprünglich hatte Zappa ein 97-köpfiges Orchester gefordert, was das Jazzlabel Blue Note natürlich nicht mitmachte. Zappa musste sich auf ein zehnköpfiges Ensemble beschränken (daher der Titel), das sich zusammen mit dem Solisten Ponty etwas hölzern-humorig zwischen Strawinsky-Anleihen und Jazz-Klischees durchlavierte. Eine stark kondensierte Version entstand für „Läther“ unterm Titel „Revised Music For Guitar And Low Budget Orchestra“: Diese hoch virtuose Miniatur-Suite bildete ein instrumentales Gegenstück zu „Greggery Peccary“. Die Version aus „Läther“ diente auch als Vorbild für Askins Arrangement, einen der Höhepunkte im Programm. Dabei wurde Zappas Solo im Zwischenteil („Legend Of The Golden Arches“), das von einer Ostinato-Figur begleitet wird, für die Posaune transkribiert. Auch Zappa liebte solche Verwechslungen zwischen Improvisiertem und Komponiertem: Sie gehörten zu seinen liebsten Studio-Bastelarbeiten.
Eröffnet wird das Zappa-Programm vom nicht einmal zwei Minuten langen Stück „What Will Rumi Do?“, das auch den härtest gesottenen Zappa-Kenner vor Rätsel stellen wird. Tatsächlich entstammt es der gemeinsamen Geschichte von Frank Zappa und EM. Wir erinnern uns: Zappa unterzog seine Gäste aus Deutschland in „Joe’s Garage“ dem Improvisations-Test. Dabei kam es, bedingt durch die Konversationssprache Englisch, zu einigen Missverständnissen zwischen Zappa und der hervorragenden Perkussionistin Rumi Ogawa. Zappa war amüsiert und verewigte die Episode im Titel des Übungsstücks, in dem sich die einzelnen Instrumente teils polymetrisch überlagern.
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Die technischen Mittel des Ensemble Modern sind andere als die, die Zappa gewöhnlich zur Verfügung standen. Es sind die Mittel eines hervorragenden Kammerorchesters, das zugleich ein Ohr hat für Klänge, die draußen in der Wildnis der Zivilisation vorkommen, fern klassischer Konzertsaal-Käfige. „Das Faszinierende“, sagt Roland Diry über Zappa, „war einfach: Da war einer, der sah sich zu Hause bei Varèse und Webern, hatte aber vor allem im kommerziellen Bereich gearbeitet, wenn auch mit ungewöhnlicher Note.“ Dieser Widerspruch schlug sich in Zappas Arbeitsweise nieder (die für das Ensemble faszinierend und fordernd war), vor allem aber in seiner musikalischen Sprache. Zappas Musik ist nicht immer seriös und respektierlich, aber sie ist jederzeit eklektisch, raffiniert, fesselnd, schräg, lustvoll, unterhaltsam und leicht entzündlich. Das bestätigt nun das Ensemble Modern – auf seine Weise. Die schönsten orangefarbenen Feuerkugeln, die je zur Explosion gebracht wurden.
© 2003, 2011 Hans-Jürgen Schaal
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