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Eigentlich müsste Antje Uhle längst zu den Aushängeschildern des deutschen Jazz gehören. Zehn Jahre ist es her, dass ihre Debüt-CD „Majazztic Steps“ erschien. Auf dem Cover trug die Münchner Pianistin noch längere Haare und geringelte Leggings, aber die Musik war damals schon so überzeugend wie heute.

Antje Uhle
Der unaufdringliche Kick
(2009)

Von Hans-Jürgen Schaal

Unisono schwärmten die Kritiker von einem neuen Klaviertrio, bei dem „einem die Spucke wegbleibt“ und das mit Sicherheit „noch von sich reden machen wird“. Antje Uhles erfrischende Mischung aus lässigen Grooves und neutönerischen Miniaturen musste jeden Jazzhörer sofort aufmerksam machen: „Keine 40 Sekunden hat es gedauert“, schrieb der Rezensent des Magazins „Image Hifi“ damals, „bis klar war, dass ich Ihnen ‚Majazztic Steps’ keinesfalls vorenthalten darf.“ Die einen lobten Antjes knackigen, funky Anschlag, die anderen ihren relaxten Umgang mit der Time, wieder andere ihre Kunst des Weglassens oder ihre emotionale Tiefe. Aber alle waren sich einig: Hier wartete eine große Jazz-Zukunft.

Zehn Jahre später treffe ich Antje Uhle zum Interview. Es ist ein kalter Novembertag in Herrsching, der weiße Hochnebel liegt wie eine Betondecke über dem grauen Ammersee, wo schon seit Wochen der Linienschiffsverkehr Winterpause macht. Von der Anlegestelle, unserem Treffpunkt, zieht es uns, obwohl dick vermummt, rasch in ein geheiztes italienisches Café an der Seepromenade. Wir bestellen erst einmal einen heißen Cappuccino. Aber dann falle ich gleich unhöflich mit der Tür ins Haus: Warum fand sie eigentlich nicht statt, die große oder kleine Jazz-Karriere, auf die wir Antje-Uhle-Fans uns so gefreut hatten? Antjes Antwort ist rührend einfach: „Als die erste CD erschien, war ich ja schon schwanger“, sagt sie. „Da muss man sich dann neu orientieren. Und da stehen Konzertespielen und Tingeln erst mal nicht so zur Debatte.“ Die große, schlanke Pianistin ist Mutter von zwei Kindern, die Familie spielt eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Um Platz und Ruhe für beides zu haben – die Familie und das Klavier –, zog sie sogar weit weg aus der Großstadt bis nach Dießen am Ammersee. Dahin fährt nicht mal mehr die Münchner S-Bahn.

Doch der Grund für unser Treffen ist nicht die Vergangenheit. Es gibt eine neue Trio-CD, die dritte unter Antje Uhles Namen: „Piano Voyage“ heißt sie und ist bis jetzt nur über Antjes Website zu beziehen. Auf der Rückseite des CD-Covers ahnt man eine winterliche Seelandschaft, aber die nahen Berge im Dunst verraten schon: Das Foto zeigt nicht etwa den Ammersee. Die Aufnahme – und die Tonaufnahmen der CD – entstanden in St. Wolfgang in Oberösterreich. Dort, in einem vorübergehend geschlossenen Hotel, einem ehemaligen Herrenlandsitz mit Blick auf den Wolfgangsee, hat das Trio an drei Tagen im Januar 2008 die zehn berückenden Stücke der CD eingespielt. Zwei Konzertflügel gibt es im Landhotel, auch ein Thomas-Mann-Zimmer und eine Windsor-Suite, das Haus ist vom Gault Millau und vom Michelin empfohlen. Wenn man will, kann man genau dieses Ambiente in der Musik nachempfinden: Unforciert, relaxt, mit geradezu aristokratischer Coolness wurde hier musiziert, gegroovt, improvisiert. Eine Schalltrennung für den Schlagzeuger gab es natürlich nicht: Auch das hört man.

„Learn To Fly“ und „On The Way“ heißen die ersten Stücke der CD: reduzierte, ausgereifte Melodien mit Ohrwurm-Intervallen, getragen von relaxten Latin- und Funk-Grooves, alles täuschend einfach und verblüffend stimmig. „Die unwesentlichen Sachen weglassen“ scheint Antje Uhles Maxime zu sein. Auch in der Improvisation spielt sie nie zu viel, überschaubare Läufe, federnde Akkorde, bluesige Voicings, zieht den Hörer aber mit dramaturgischer Logik in den Bann und geleitet ihn mit hypnotischer Macht über Spannungsbögen vorwärts. Eine komplette Jazzpianistin mit dem Händchen für den rhythmischen Kick und die Magie der melodischen Wendung. Viel romantisches Geheimnis und harmonische Betörung steckt in den Balladen wie Bernsteins „Maria“ oder dem Uhle-Original „The Peace Of This Place“. Im latinesken, schnellen „Sleepless In The City“ und in „Paris Memoires“ – für Antje ein Stück akustischer „film noir der Fünfzigerjahre“ –, setzt sie in den Themen überraschend ihre Stimme ein, unisono mit dem Klavier, eine charmante Klangfärbung. Bei zwei weiteren Titeln – der solo gespielten Matt-Dennis-Ballade „Angel Eyes“ und der Fun-Funk-Nummer „When Life Gets Easy“ – verwendet sie außerdem elektronische Effekte, die eine psychedelische, loungige Stimmung schaffen. Es ist die große Kunst der unaufdringlichen Überzeugung.

Aktiv war Antje Uhle immer. „Als ich nach Dießen zog“, erzählt sie, „stellte ich fest: Da sind ja ganz viele kreative Köpfe. Da hatte ich die Idee, eine Plattform zu schaffen, um sich zu treffen und auszutauschen.“ Die „Ruhezone“ am Ammersee wurde zum regen Künstlertreffpunkt – und was Antje nur anstoßen wollte, fiel schließlich in ihre Verantwortung. Etwa zwei Jahre lang war das K7 (kurz für: Krankenhausstr. 7) ein kreatives Zentrum vor den Toren der Landeshauptstadt. Der Saxofonist Johannes Enders spielte oft da und unterrichtete auch. Der Saxofonist Frank Loef gehörte ebenfalls dazu.

Wenn fürs „Tingeln“ durch die Jazzclubs die Zeit fehlt, dann muss man punktuell arbeiten: mit gezielten, lohnenden Gigs. Seit einigen Jahren fährt Antje Uhle erfolgreich auf der „Geschlossene-Gesellschaften-Schiene“: Die Allianz, die Deutsche Bank, Mercedes oder Siemens gehören zu ihren zufriedenen Kunden. „Ja, ich habe versucht, das zu professionalisieren“, sagt sie verschmitzt und zeigt dabei ein fröhliches, fast ein wenig clowneskes Gesicht, das zum Mitlachen einlädt. Drei verschiedene Besetzungen bietet sie auf ihrer Website an, vom Pianosolo bis zum Quintett mit DJ. Auch den legendären Simon Schott, die Barklavier-Institution vom Hotel Vier Jahreszeiten, hat sie schon vertreten. Eine gute Atmosphäre schaffen, aber mit Niveau, das ist ihr Ziel als Klavier-Unterhalterin. Jazz-Standards geschmackvoll präsentieren, reduziert, rhythmisch auf den Punkt gebracht. Ahmad Jamal ist da kein schlechter Bezugspunkt. Antje Uhle nennt es „Art to Lounge“.

Die Veranstaltungs-Musik sieht Antje nicht als Makel, sondern als Chance, die ein Jazzkonzert oft nicht bietet. „Die Musik kann so viel mehr sagen, sie kann Räume öffnen“, sagt die Pianistin. Daher liebt Antje Uhle interdisziplinäre Projekte, in denen sie und ihr Klavier die Aufgabe übernehmen, der Fantasie des Publikums die Schneisen zu schlagen. Sie liefert die Musik zu Lesungen, Filmen, Theaterstücken und Liederabenden, spielt auf Hörbüchern zu Texten von Goethe, Stifter oder Schnitzler. „Bei Dramenlesungen macht die Musik den Szenenwechsel. Es gibt da keine stilistischen Grenzen, ich spiele Musik von Bach bis Schönberg.“ Wenn Antje Uhle, die universelle Pianistin, über die Zaubermacht der Musik spricht, setzt sie ein anderes, aber ebenso schönes Gesicht auf: magisch, majestätisch, kühl. „Musik ist eine Metasprache, zielt am Kopf vorbei, wirkt über Emotionen. Musik ist schneller als das Wort.“ Die Essenz ihres Wissens schenkt sie uns auf „Piano Voyage“, einer Pianotrio-CD voll Groove, Funk und Jazz.

2009, 2012 Hans-Jürgen Schaal


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