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d'accord (11)

Clifton Chenier
Louisiana Blues And Zydeco
(2010)

Von Hans-Jürgen Schaal

Für ihr Europa-Programm 1964 wünschten sich die Macher des American Folk Blues Festivals den texanischen Blues-Sänger und Gitarristen Lightnin’ Hopkins. Um an ihn heranzukommen, kontaktierte man Chris Strachwitz, einen Fan und Kenner der amerikanischen Roots-Szene. Strachwitz, in Niederschlesien geboren, war mit 16 Jahren kurz nach dem II. Weltkrieg mit seinen Eltern nach Kalifornien gekommen. Dort begeisterte er sich bald für den Blues und die Folk-Sounds verschiedener Ethnien und gründete das Americana-Label Arhoolie. Lightnin’ Hopkins war sein großes Idol. Hopkins allerdings hielt es zunächst für eine sehr abwegige Idee, seine Musik, die so durch und durch mit afroamerikanischen Erfahrungen getränkt ist, auf einem Tournee-Festival im fernen, weißen Europa zu präsentieren. Doch Strachwitz gab nicht auf, tagelang hing er mit Hopkins in Houston herum. An einem dieser Tage schlug der Bluesmusiker vor, sie könnten sich doch mal seinen Cousin anhören, Cliff Chenier. Man fuhr also in die „French Town“ von Houston zu einem Club, dessen kleines Publikum nur aus Leuten aus Louisiana bestand, die nach Texas herübergekommen waren, um bessere Jobs zu kriegen. Und was Strachwitz in diesem Club zu hören bekam, das war auch für ihn, den Roots-Kenner, völlig neu.

Clifton Chenier war ein Bluesmusiker, aber einer, der nicht Gitarre spielt, sondern Akkordeon. An diesem Abend in Houston ließ er vor allem Walzer und Twosteps hören, begleitet nur von einem Schlagzeug, und sang dazu in einer seltsamen Sprache, einer Dialekt-Variante des Französischen. Der verwirrte, faszinierte Strachwitz wurde Chenier als Plattenproduzent vorgestellt, worauf der Musiker prompt vorschlug, doch gleich am nächsten Tag eine Aufnahme für ihn zu machen: Chenier brauchte dringend mal wieder einen Radiohit, um mehr Konzerte spielen zu können. Der Plan ging auf: Die Single „Ay, Ai Ai“ führte dazu, dass Clifton Chenier einige Monate später sogar sein erstes LP-Album aufnehmen konnte – natürlich auch für Strachwitz. Es hieß „Louisiana Blues and Zydeco“ und war – wie der Titel verspricht – tatsächlich zweigeteilt: Eine Plattenseite bot angerockten Blues im Quintett, die andere Plattenseite diese seltsame „French Music“ nur mit Schlagzeug- und Waschbrett-Begleitung. „Clifton machte Platten so, wie er zum Tanzen spielte“, erinnert sich Strachwitz. „Er nahm selten einen zweiten Take auf, weil er all seine Gefühle, Emotionen und Energie in den ersten Take steckte – so wie beim Auftritt.“ Cheniers Motto war: „Lasst uns nicht lang rummachen wegen eines besseren Takes. Der beste ist der erste!“

Cheniers „French Music“ kommt aus der Cajun-Kultur von Louisiana. Auswanderer aus der Bretagne und der Normandie hatten im Osten des heutigen Kanada eine der ersten französischen Kolonien in Amerika gegründet, genannt: Akadien. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden sie dort aber von den Engländern vertrieben: Manche siedelten daraufhin im heutigen Franko-Kanada (Québec), andere gingen nach Süden in die französische Kolonie Louisiana, die Napoleon dann 1803 an die USA verkaufte. Diese „Frenchies“ aus Akadien – daher der Name Cadiens oder Cajuns – ließen sich im Südwesten von Louisiana nieder, im Land der Bayous, im Gebiet von Baton Rouge, Lafayette, Lake Charles und New Iberia, und lebten dort lange Zeit ziemlich isoliert. Dabei entwickelten sie eine eigene kleine Musikkultur, zu der Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend auch die Schwarzen von Louisiana beitrugen: Kreolen, Ex-Sklaven und Haiti-Flüchtlinge. Man spielte in gemischten Bands, sprach eine gemeinsame Sprache – Cajun French – und führte auch gemeinsam ein neues Instrument in diese Musik ein: das Cajun Accordion, eine diatonische Knopfharmonika („Melodeon“). Außerhalb der Musik waren die Rassengrenzen allerdings streng. Amédé Ardoin, der wichtigste Vorgänger von Clifton Chenier, wurde von weißen Rassisten einmal halbtot geschlagen und war danach ein Pflegefall.

Als die Cajun-Kultur um 1930 aus ihrer Isolation heraustrat – dank Autos, Massenmedien, Ölfeldern im nahen Texas –, begannen sich die weiße und die schwarze French Music zu trennen. Die weißen Cajuns orientierten sich mehr in Richtung Countrymusik, betonten die Geigen, adaptierten die Steel Guitar. Die schwarzen Creoles dagegen öffneten sich den Einflüssen von Blues, Jazz und Latin und ersetzten das Cajun Accordion durch ein großes, chromatisches Piano-Akkordeon. Diese schwarze Variante der French Music hatte lange Zeit keinen eigenen Namen, hieß La-La, Push’n’Pull oder angeblich auch Zodico. Erst Clifton Chenier hat dafür den Namen Zydeco durchgesetzt: „Zydeco wird schon lange gespielt“, erzählte er, „der alte Stil, wie French Music. Aber ich war der Erste, der Pep hineingebracht hat. Ich packte ein wenig Rock’n’Roll in den Zydeco, um ihn ein bisschen aufzumischen. Zydeco ist Rock und French, zusammengemischt.“

Bereits Cheniers Vater spielte Akkordeon auf Tanzveranstaltungen: Twosteps, Walzer, die alte French Music. Von einem Nachbarn bekam Clifton das erste Akkordeon, vom Vater die Grundlagen. Als Kind half er den Eltern bei ihrer Arbeit auf einer Farm, verdiente auch sein erstes Geld auf den Zuckerrohr-Feldern, wollte aber immer Musiker werden. Mit 20 Jahren ging er ins 80 Meilen entfernte Lake Charles an der Interstate 10, westlich von Lafayette und Baton Rouge, arbeitete dort wie sein älterer Bruder Cleveland in der Ölraffinerie. Wenn sie bei Feierabend zusammen vor dem Werkstor aufspielten – mit Akkordeon und Waschbrett –, kam gutes Geld zusammen. Ein Onkel, selbst Geiger und Gitarrist, war übrigens Manager des Horseshoe Clubs in Lake Charles. Cliftons Arbeit in der Ölbranche setzte sich dann in Texas fort, in Port Arthur, gleich hinterm Bayou-Land. Nebenher spielte er kleine Wochenend-Gigs, fühlte sich als Bluesmusiker, bewunderte Muddy Waters, Lightnin’ Hopkins, Fats Domino, Professor Longhair. Angeregt vom Rhythm&Blues hatte er 1954 seine ersten lokalen Radiohits, „Clifton’s Blues“ und „Louisiana Stomp“. Manche haben sich damals über die Verbindung von Blues und Akkordeon lustig gemacht, aber Clifton war überzeugt: „Was immer du ins Akkordeon reinsteckst, das bekommst du auch heraus.“ Ob French Music, Ballade oder Blues: Das Akkordeon kann alles.

Mit 30 Jahren nahm er seine French Version von Professor Longhairs „My Little Girl“ auf: „Ay Tete Fille“. Die R&B-Nummer wurde USA-weit ein Akkordeon-Hit und machte Clifton Chenier zum „King of Zydeco“. Er kündigte seinen Job, kaufte sich einen Cadillac, ging mit eigener Band auf Tour (Zydeco Sizzlers, Zydeco Ramblers) und trat nur noch mit der Krone und dem Cape des Zydeco-„Königs“ auf. Hunderte tanzten sich jeden Abend schwindlig, wenn seine betäubend energetische Musik mit dem Schwung des Rock’n’Roll den Club wackeln ließ. „Let the good times roll!“ war sein Party-Motto – oder in Cheniers Patois: „Laissez les bon ton roulet!“

Chenier war es, der 1975 den berühmten Blues-Club Antone’s in Austin (Texas) eröffnete. Im nächsten Jahr startete er ein neues Projekt, die Red Hot Louisiana Band, in der auch Bläserfarben zum Zug kamen. Bald darauf steigerte sich das lokale Zydeco-Fieber zur weltweiten Popularität: 1983 erhielt Chenier einen Grammy für sein Album „I’m Here“, 1984 folgte der Auftritt im Weißen Haus in Washington, 1989 (nach seinem Tod) die Aufnahme in die Blues Hall of Fame. In seinen letzten Jahren spielte der „King“ fast nur noch in Lafayette, wo er wohnte, und im näheren Umkreis: Seine Diabetes bereitete ihm Nierenprobleme und zwang ihn zu regelmäßiger Dialyse. Rory Gallagher, Paul Simon, John Mellencamp huldigten dem „King“ in ihren Songs. Sein Sohn C.J. Chenier übernahm nach seinem Tod 1987 die Band.

Seit 2005 gibt es Clifton Cheniers erstes Album von 1965 endlich in Stereo und mit acht Bonus Tracks. Es beginnt mit „Zydeco Et Pas Sale“, dem Twostep-Stück, auf das Chenier den Begriff „Zydeco“ zurückführte, der eine Verballhornung von „les haricots“ („die grünen Bohnen“) sein soll. Nur Drums und Waschbrett begleiten hier, allerdings kein alltägliches Waschbrett: Das „rubboard“ oder „frittoir“, umgehängt wie eine Gitarre, wurde speziell für diese Musik entwickelt, angeblich von Clifton Chenier selbst. Sein Bruder Cleveland reibt es mit mehreren Flaschenöffnern. Dann gibt es Neufassungen von „Ay Tete Fille“ (hier: „Ay-Tete-Fee“), dem Hit von 1955, von „Ay, Ai Ai“, dem Hit vom Vorjahr (1964), und etliche weitere dieser schnellen Blues, die an Rock’n’Roll oder Boogie erinnern. Und dann sind da noch die schweren, langsamen Blues, in denen Chenier auch als Sänger (englisch!) oder Mundharmonika-Spieler glänzt: „Louisiana Blues“ (in Patois), „Banana Man“, „It’s Hard“, „I Can Look Down At Your Woman“, „Clifton’s Blues“ und „Elmore’s Blues“. In diesen langsamen Bluesnummern phrasiert er auf dem Akkordeon ebenso ausdrucksstark und fantasievoll, wie es ein Bluesgitarrist oder ein Jazzbläser täte.

© 2010, 2013 Hans-Jürgen Schaal


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