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Ihre Nähe zu Eric Dolphy (1928-1964) war schon immer hörbar. Nun aber (2010) veröffentlicht die Saxophonistin und Klarinettistin Silke Eberhard sogar eine ambitionierte 2-CD-Hommage mit den „complete works of Eric Dolphy“. Ihr Projekt „Potsa Lotsa“ – benannt nach einem Dolphy-Stück – geht dabei überraschend neue und eigenständige Wege. Ein pures Bläserquartett – Silke Eberhard (Altsax) mit Patrick Braun (Tenorsax), Nikolaus Neuser (Trompete), Gerhard Gschlössl (Posaune) – erforscht über fast 100 Minuten das Entwicklungspotenzial von 26 Eric-Dolphy-Kompositionen.

Silke Eberhard
„In Berlin kann man sein, wie man will“
(2010)

Von Hans-Jürgen Schaal

*****

Warum Dolphy?

Silke Eberhard: Eric Dolphy war der Altsaxophonist, der mich nach Charlie Parker am meisten beeindruckt hat. Als ich Dolphy das erste Mal hörte, war ich von seinem Sound und seiner Energie einfach emotional berührt, gleichzeitig war diese Virtuosität unfassbar. Auch seine Kompositionen waren für mich eine wunderbare neue Welt – zwischen Bebop-Tradition und Atonalität. Damals habe ich auch die Bassklarinette als Jazz-Instrument zum ersten Mal wahrgenommen.

Ein 2-CD-Projekt wie POTSA LOTSA entsteht nicht über Nacht. Allein auf die Recherche der Stücke und ihre musikalische Analyse hast du wahrscheinlich Monate verwendet, vielleicht Jahre -- von den Arrangements ganz zu schweigen.

Ein Dolphy-Projekt zu verwirklichen war tatsächlich ein lang gehegter Wunsch von mir. Mitte der Neunziger, während meines Studiums an der Hanns Eisler Hochschule, habe ich schon einige Transkriptionen seiner Soli angefertigt und mich dann mehr und mehr für seine Kompositionen interessiert. Das war im Grund genommen schon der Anfang. 2009 erhielt ich das Jazzstipendium des Berliner Senats, um Dolphys Werke für das Bläserquartett POTSA LOTSA zu arrangieren. Diese Arbeit hat mich dann das ganze letzte Jahr begleitet.

Wie kam diese spezielle Instrumentierung zustande?

Ich wollte eine interessante Besetzung finden, um den Komponisten herauszustellen und nicht den Instrumentalisten Eric Dolphy. Eine kammermusikalische Besetzung sollte es daher schon sein.

In deinen Arrangements zeigst du dich selbst als großartige Komponistin. Kamen die Ideen dafür immer direkt aus Dolphys Stücken?

Bei einigen Stücken lagen die Ideen tatsächlich durch die Themenstruktur klar auf der Hand. Bei anderen war es mitunter schwieriger, manches ist in einer puren Bläser-Besetzung auch nicht so einfach umzusetzen. Ich habe oft versucht kammermusikalisch zu denken, als ob man für ein Streichquartett schreibt, ohne dabei aber den Jazz-Kontext zu verlassen. Die Bläserbesetzung erlaubt es, die Rollen flexibel zu verteilen. So entsteht dann auch mal ein hoher Walking-„Bass“ auf der Trompete. Im Zusammenspiel mit meinen Mitmusikern konnte man in den Proben am besten feststellen, was funktioniert und was nicht. Sowieso war es für mich beim Arrangieren entscheidend, zu wissen, für wen ich schreibe. Ich hatte immer den Klang und die Spielweise der einzelnen Musiker im Ohr.

Eric Dolphy ist in vielen Punkten ein Nonplusultra – etwa was Komplexität, Tempo, Technik betrifft. Ich glaube, er macht manchen Musikern geradezu Angst.

Vielleicht finden ihn manche Musiker „far out“. Aber die meisten, die ich kenne, verehren ihn.

Bei dir hat man immer schon die Nähe zu Dolphy gespürt, in deinen Stücken, manchmal auch in deinem Spiel.

Ich habe sehr oft auch Stücke von Dolphy gespielt, bei Konzerten oder Sessions, oft mit Jan Roder. Eines meiner erklärten Lieblingsstücke war „Serene“. Auch mit Aki Takase hatte ich öfter Gelegenheit dazu, etwa bei ihrem Projekt „April” auf dem JazzFest Berlin im Jahr 2000.

Du beschränkst dich auf POTSA LOTSA aufs Altsaxofon. Hast du da deine Klarinetten nicht vermisst -- gerade bei Eric Dolphy?

Ich habe anfangs nicht ausgeschlossen, dass ich später noch Klarinetten und Flöte mit einbeziehe – und vielleicht bei den Blechbläsern auch die Nebeninstrumente Tenorhorn bzw. Flügelhorn und Sousaphon. Aber dann kam die erste Probe mit POTSA LOTSA – und ich habe rein gar nichts vermisst. Der Klang hat mir genau so gefallen, wie er war.

So wie du war auch Dolphy ein Multi-Instrumentalist. Schafft das eine zusätzliche Nähe?

Wenn ich mal wieder mein gesamtes Instrumentarium irgendwohin geschleppt habe, denke ich manchmal daran, dass auch Eric Dolphy das schon gemacht hat…

Viele werden POTSA LOTSA als Freejazz empfinden. Ich höre darin aber vor allem viel Spaß am Verspielten, Artistischen, Bühnenkunstmäßigen, Episodenhaften und Humorvollen. Sind das vielleicht auch wichtige Aspekte von "Freejazz"?

Ich würde POTSA LOTSA nicht als Freejazz bezeichnen, obwohl wir Elemente davon mit einbeziehen. Es gibt viel komponiertes und arrangiertes Material, auch die improvisierten Teile sind oftmals an eine Form gebunden. Viele Stücke Dolphys haben eine solche Struktur, etwa AABA-Formen – vielleicht mit ungeraden Taktzahlen, aber doch mit festen Akkorden oder tonalen Zentren.

Dass dein Projekt POTSA LOTSA heißt und nicht „The Prophet“ oder „Burning Spear“, scheint mir auch das Fröhlich-Ereignishafte des Ganzen zu betonen.

Genau. Tatsächlich waren alle diese Vorschläge auch im Gespräch. Bei der Namenssuche fand ich dann aber POTSA LOTSA am passendsten für unser Ensemble.

Für mich zeigt POTSA LOTSA, dass man mit Eric Dolphys Stilmitteln (bei aller notwendigen Virtuosität!) doch auch spielerisch-sinnlich umgehen kann, ohne ihnen Unrecht zu tun.

Ja, denn hinter Dolphys Musik steckt natürlich weitaus mehr als seine Virtuosität.

Wie war das eigentlich bei dir: Wie kamst du als junges Mädchen überhaupt auf die Idee, Jazz spielen zu wollen?

Ursprünglich stamme ich aus einem Dorf in Süddeutschland. Mit 11 Jahren begann ich Klarinette in der Blaskapelle zu spielen, mit 14 kam ich zum Altsaxophon. Klarinettenunterricht erhielt ich zunächst von meinem Vater, der war ein engagierter Amateurmusiker. Zum Jazz kam ich durch das nächtliche Hören von Radiosendungen, in denen Jazz gespielt wurde und vor allem Bigband-Jazz.

Wer hat dir Mut gemacht, wer war ein Vorbild für dich?

Mein erster Jazzsaxophon-Lehrer in Heidenheim, Harry Berger, hat mich zum Studium ermuntert. Glücklicherweise bin ich dadurch in Berlin gelandet. Dave Liebman war als Lehrer für mich natürlich nicht ganz unwichtig. In den letzten Jahren spielt vor allem die Zusammenarbeit mit Aki Takase eine große Rolle, der ich sehr viel verdanke.

War Berlin eine Befreiung für dich?

In Berlin kann man sein, wie man will. Für jede noch so schräge Idee findet man Mitstreiter, Auftrittsorte und Publikum, dementsprechend bunt ist die Kulturlandschaft. Ich kannte vorher nur geschleckte, aufgeräumte Städte. Als ich 1995 nach Berlin kam, wohnte ich – dann 12 Jahre lang – in Wohnungen mit Kohleofenheizung. Dafür waren die Mieten billig, man musste nicht jeden Job annehmen und konnte sein Zeug machen.

Wie empfindest du die enorme Bereicherung, die der Jazz heute durch Pianistinnen, Bläserinnen, Schlagzeugerinnen erfährt?

Die Jazzszene ist eben Teil der Gesellschaft. Sie spiegelt deren Strukturen wider.

Ich habe das Gefühl, dass der stetig wachsende Beitrag von Frauen zum Jazz den Charakter dieser Musik bereits stark verändert hat. Hat er den Jazz nicht heute schon epischer, genussvoller, detailverliebter gemacht? Damit auch spannender?

Das sollen andere beurteilen. Aus meiner Warte kann ich das nicht sagen.

© 2010, 2013 Hans-Jürgen Schaal


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