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Gut möglich, dass Ihnen der Name Mike Patton irgendwo schon einmal begegnet ist. Denn dieser Bursche ist überall und nirgends unterwegs, ein unberechenbarer, wild über die Kontinente streifender Tausendsassa, ein von keinem Musikzoologen klassifizierbares Chamäleon.

Mike Patton, das Phantom
Ein Mann, drei Bands
(2010)

Von Hans-Jürgen Schaal

Mal taucht Mike Patton in Kalifornien auf, mal in Norditalien. Mal mit der brasilianischen Heavy-Band Sepultura, mal mit der isländischen Pop-Ikone Björk, mal mit dem Punk-Jazz-Geiger Eyvind Kang, mal als Chef seines eigenen Labels Ipecac. Seinen dauerhaftesten Gig hatte er als Frontmann der Punk-Funk-Rockband Faith No More (1988-1998), die Anfang 2009 sogar ihre Wiedergeburt feiern durfte. Seine abgefahrensten Alben machte er für das Label Tzadik seines Spezis John Zorn: unbändige Noise-Karambolagen, Soundtracks für die heftigsten Albträume.

Zum ersten Mal gehört habe ich Mike Patton um 1990 als Aushilfs-Vokalisten bei einer meiner Lieblingsbands, Naked City. Die Vokalparts dort bestanden aus Gackern, Brabbeln und Kreischen – ich meine: horrormäßigem, Gänsehaut erzeugendem Kreischen. Dass Mike Patton mit stimmlichen Mitteln das Tor zur Hölle aufreißen kann, wurde geradezu eines seiner Markenzeichen. 1995 hat er sogar eine ganze CD nur mit Stimmverfremdungen und Mikrofonrückkopplungen aufgenommen: Danach sind Sie dankbar, wenn wieder ein harmloses Popsternchen für Sie im Radio trällert. Seine infernalische Vokalkunst brachte ihm auch einige höchst interessante und lukrative Jobs ein: als Monster-Stimme und Generator des Grauens in Hollywood-Filmen („I Am Legend“) und Computerspielen („Bionic Commando“).

Zum Glück beschränkt sich Pattons vokales Können nicht auf den Horrorbereich. Der Kalifornier ist ein echtes Stimmwunder, verfügt über ein unvergessliches Rock-Organ wie über einen engelhaften Falsett. In unermüdlicher Feinarbeit näht er seine vielfachen Gesangsfäden ins Gewebe der Songs, stellt gewissenhaft im Multitrack-Alleingang Mönchs- und Schmalzchöre auf die Beine, spricht, raunt, echot ständig im Untergrund und singt auch mal auf Französisch, Portugiesisch oder meinetwegen Latein. Es gibt Stücke von ihm, in denen scheinbar zehnmal die Sänger wechseln, und es ist doch immer nur einer: Mike Patton. Er könnte komplette Rock-Sinfonien im A-cappella mit sich selber einsingen. Wäre er nicht so ein überzeugter Satiriker, Eklektizist und Sonderling, der grundsätzlich nur tut, wozu er gerade Lust hat, er müsste längst die bekannteste Stimme des Erdballs sein. Vor ein paar Jahren hat er mal mit dem Kommerziellen geflirtet und für sein Projekt „Peeping Tom“ angesagte Namen wie Massive Attack, Bebel Gilberto, Kid Koala und Norah Jones verpflichtet. Das Album kam auf Platz 3 der Independent-Charts, die Auskopplung „Mojo“ immerhin auf Platz 40 bei den Modern-Rock-Singles. Mike Patton aber ist für das breite Publikum ein Unbekannter geblieben. Ein prickelndes Phantom.

Beginnen wir mit Pattons kalifornischer Jugend- und Heimatkapelle: Mr. Bungle, benannt nach einer obszönen Clownsfigur aus einer Fernsehshow. Nach vier (!) Demo-Alben gelang der Band 1990 – Mike Patton war gerade erst 22 – das internationale Debüt bei Warner Records. Ko-Produzent des Albums „Mr. Bungle“ war John Zorn, der Workaholic des New Yorker Downtown-Jazz, der damals mit Naked City und anderen Projekten ebenfalls bei Warner unter Vertrag stand. Sicherlich ist es auch Zorns Einfluss zu verdanken, dass das Album vor keinem Stilbruch zurückschreckt und jedes Stück pausenlos von Genre zu Genre springt. Gleich im Opener „Quote Unquote“ mischen sich schwermetallige Riffs mit bizarren Keyboard-Farben, drängeln sich swingende Orgel-Intermezzi und schräge Reggae-Beats nach vorne, platzen Bläser-Freejazz und Noise-Breaks einfach herein. Und so geht es auch weiter: ein bunter Musik-Jahrmarkt, ein sich jagendes, wild-punkiges Zirkusprogramm, ein HipHop-Bluegrass-Funk-Panakustikum. In „Squeeze Me Macaroni“ kommt’s zum Rodeo-Rap („Knick knack paddywhack“) mit gackerndem Saxophon, in „Carousel“ und „Stubb (A Dub)“ scheinen Kirmesorgeln überzuschnappen. Das alles ist durchsetzt, eingepackt und veredelt durch Mike Pattons Vokalkunst: surreale Lyrics, spukhafter Doo-Wop-Kitsch, Bombast-Chöre. So wie dieser Mann eine Rockphrase singt, wird sie augenblicklich zur Hookline, zum psychedelischen Ohrwurm.

Nach der (vorläufigen) Auflösung von Faith No More (1998) und dem letzten Album von Mr. Bungle (1999) präsentierte Patton mit Fantômas seine nächste Band, ein experimentelles Rock-Quartett – immerhin mit Dave Lombardo, dem Heavy-Drummer von Slayer, am Schlagzeug. Der Bandname Fantômas (nach der französischen Krimifigur) passt nicht schlecht zu Pattons Phantom-Rolle auf der Musikszene, aber mehr noch zur stilistisch kaum greifbaren Souveränität der Formation: Ihr Debütalbum erfand mit 30 peniblen Lärm-Miniaturen, zusammengesetzt aus sogenannten „Frames“, ein völlig neues Rock-Genre. Der Nachfolger „The Director’s Cut“ schien dagegen fast versöhnlich: eine Hommage ans Psychothriller-Kino mit Filmmelodien von John Barry, Jerry Goldsmith, Bernard Herrmann, Henry Mancini, Ennio Morricone, Nino Rota und anderen Meistern. Die diabolische Umsetzung durch Fantômas allerdings wird dabei selbst zum Psychothriller: Death-Metal-Sounds, Kapuzenchöre, Horrorbässe, Krimi-Shuffles, falsche Idyllen und Lärmorgien laden ein zum Höllentrip. Pattons abgründige Version von „Rosemary’s Baby“ mit Glockenspiel, Teufelskinder-„Lalala“ und Metal-Staccato schlägt die Schrecken des Polanski-Films um Längen.

Pattons jüngste Band, aber auch bereits zehn Jahre alt und mittlerweile vom Quartett zum Trio geschrumpft, heißt Tomahawk. Wer bei diesem Namen Indianermusik erwartet, wird mit „Anonymous“, dem dritten Album, tatsächlich glücklich. Gitarrist Duane Denison hat in den amerikanischen Reservaten die traditionellen Melodien gesammelt, die dem Album zur Inspiration dienten: rituelle Stampftanzgesänge, Totembeschwörung, Kriegshymne, Wiegenlied. All das wird natürlich zum wahren Indianerfest für Mike Pattons Stimmbänder: Sphärisch-schwerelos oder kehlig-rau, pathetisch oder raunend zelebriert er die meist pentatonischen Gesänge, eingebettet in brummende, profunde Klangbilder mit breiten Gitarrenbändern, viel Bassdrum, auch Elektronik. Ein Album, das man schon jetzt klassisch nennen möchte, weil es einen großen, authentischen Geist beschwört, ohne dabei kleinliche Ethnoforschung zu betreiben. Die Musik auf „Anonymous“ besitzt eine poetische und exotische Faszination, atmet die Luft uralter Riten – und ist doch Rockmusik von heute, experimentell und laut und raffiniert. Eine nicht klassifizierbare Mischung. Ein echter Mike Patton.

© 2010, 2013 Hans-Jürgen Schaal


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