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In Philadelphia gehört der Tenorsaxofonist Odean Pope (geb. 1938) seit mehr als einem halben Jahrhundert zu den Aktivposten der Jazzszene. „Schon um 1953 wurde sein Name oft genannt: als einer der hellen neuen Sterne am Horizont von Philadelphia“, erinnert sich Saxofonkollege Archie Shepp.

Odean Pope
Mann der tiefen Töne
(2010)

Von Hans-Jürgen Schaal

1956 bereits arbeitete Odean Pope mit Max Roach zusammen, dem führenden Schlagzeuger des modernen Jazz. 1979 wurde er festes Mitglied im Max Roach Quartet und dadurch endlich international in der Jazzwelt bekannt. Zur gleichen Zeit startete Odean Pope zwei eigene Ensembles: den üppigen Saxophone Choir (acht bis neun Saxofonisten mit einer Rhythmusgruppe) und ein sehr konzentriertes Trio (nur Saxofon, Bass und Schlagzeug).

So gegensätzlich diese beiden Formationen waren, es ging in ihnen um dasselbe: um die Erkundung unbekannter Saxofonwelten. Mit dem Saxophone Choir erforschte Odean Pope die vielfältigen strukturellen („choralen“) Möglichkeiten, die eine größere Saxofon-Gruppe eröffnet. Im Trio pochte er an die Grenzen der Instrumentaltechnik, experimentierte auf dem Tenor mit Mehrklängen, Obertönen, falschen Fingersätzen, extremen Sonoritäten und Zirkularatmung. Nicht zuletzt die Erforschung der tiefsten Töne des Tenorsaxofons war ihm ein Anliegen: „Ich spielte am unteren Ende des Tonumfangs so, wie John Coltrane am oberen spielte.“

Nun hat der Saxofon-Guru aus Philadelphia ein neues, packendes, unkonventionelles, ungebremst swingendes Album vorgelegt. Es heißt „Odean’s List“ und wurde im Herbst 2008 von einem Oktett eingespielt: drei Saxofone, zwei Trompeten, ein Rhythmustrio. Mit James Carter, einem der absoluten Saxofon-Stars der 90er-Jahre, mit Walter Blanding, dem aktuellen Saxofonisten von Wynton Marsalis, und mit Odean Pope selbst ist die Saxofon-Sektion höchstkarätig besetzt. Aber auch die Trompeten sind erste Sahne: David Weiss war der letzte musikalische Leiter des bedeutenden Jazztrompeters Freddie Hubbard. Und Terell Stafford ist seit vielen Jahren Feature-Gast bei Stars wie Diana Krall und Bill Cosby.

In gewisser Weise vereint dieses Fünf-Bläser-Fest das Beste aus Odean Popes bekanntesten Formationen, dem Choir und dem Trio. „Odean’s List“ greift einerseits die eigenwilligen orchestralen Erkundungen des Saxophone Choir wieder auf und lässt andererseits auch Raum für saxofontechnische Grenzgänge. Neben den höchst ausdrucks- und kraftvollen Improvisationen seiner Mit-Saxofonisten (dreimal Carter, einmal Blanding) ist es vor allem Odean Pope selbst, der mit seinen sechs solistischen Einlagen den „State of the Tenor“ neu definiert. Besonders im unbegleiteten Balladen-Duett mit dem Bassisten Lee Smith („Say It Over And Over Again“), im heißen Duo-Teil mit dem Drummer Jeff „Tain“ Watts („Odean’s List“) und im Blues-Trio mit beiden („Blues For Eight“) greift Pope – dabei unwiderstehlich swingend – tief in die Zauberkiste der Saxofon-Mehrklänge und extremen Tonlagen. Große, mutige Saxofonkunst.

Ein Interview mit Odean Pope

Was bedeutet eigentlich der Albumtitel „Odean’s List“?

Pope: Den Titel hat mein Manager vorgeschlagen, als er die Liste der Namen sah, die ich für das Projekt ausgesucht hatte. Es sind alles sehr spezielle Musiker, handverlesen, durchweg Bandleader. Mit Jeff „Tain“ Watts zum Beispiel, dem Schlagzeuger von Branford Marsalis, hatte ich im New Yorker Club „Iridium“ gespielt – und das lief so gut, dass ich ihn hinterher einfach fragte, ob er sich vorstellen könne, bei diesem Projekt mitzumachen.

Einige der Stücke auf dem Album kenne ich von früheren Aufnahmen. Welche Stücke sind wirklich neu? Und haben Sie sie speziell für diese Band geschrieben?

Pope: Neu sind „Minor Infractions“, „To The Roach“, „Blues For Eight“, „Collections“ und das Titelstück, „Odean’s List“. Aber auch die anderen Stücke spielen wir mit einigen Abänderungen. Ich habe 2008 ab Juni keine anderen Verpflichtungen mehr angenommen und mich dann bis Oktober ganz aufs Schreiben und Proben für dieses Album konzentriert. Das gesamte Album ist ein Tribut an die Max-Roach-Ära. Ich habe ja über 20 Jahre lang mit ihm gespielt und war sein letzter Saxofonist. Ich bin sehr dankbar, dass ich die großartige Gelegenheit hatte, mit Max Roach zu arbeiten. Das letzte Stück auf dem Album, „Cis“, schrieb ich einst für Max Roachs Double Quartet. Es ist eine Widmung an meine Frau Cis, die mich immer sehr unterstützt hat.

Sie haben auf dem Album drei Saxofonsoli an Ihren Kollegen James Carter gegeben, der wie Sie ebenfalls ein überaus expressiver und temperamentvoller Spieler ist. Fühlen Sie sich ihm besonders nahe?

Pope: James ist ein großer Musiker, aber auch ein sehr bescheidener Musiker. In jeder Band zeigt er viel Respekt und nie irgendwelche Allüren – ein großartiger Mensch. Vor etwa 20 Jahren traten wir beide bei einem Festival in Warschau auf und kamen damals ins Gespräch. Er erzählte mir, dass er die erste Platte des Saxophone Choir („The Saxophone Shop“) gehört hätte und dass er gerne einmal Teil eines solchen Projekts wäre. Von Anfang an war es in der Tat ein perfektes Verhältnis zwischen uns, eine Art Seelenverwandtschaft. Dazu fällt mir ein: John Coltrane wurde einmal auf seine Aufnahme „Chasin’ The Trane“ angespochen. Man sagte zu ihm, er klinge da wie sein Saxofonkollege John Gilmore. Trane antwortete: Well, wir kommen eben alle aus dem gleichen Whirlpool. Das ist es, was ich an Trane mochte: Er hielt sich für nichts Besonderes.

Sind Sie denn mit John Coltrane in Kontakt geblieben, nachdem er von Philadelphia nach New York gegangen war?

Pope: Ja, ich sprach mit ihm noch kurz vor seinem Tod. Er sagte damals, er wolle mehr auf seine Gesundheit achten und viel Saxofon üben. Ich war dann kaum zurück in Philly, als mich Reggie Workman anrief und erzählte, John sei gestorben. Ich habe wunderbare Erinnerungen an ihn. Wir spielten zusammen im Haus des legendären Pianisten Hasaan – zwei Tenorsaxofone und Klavier.

Ich habe den Eindruck, dass Sie eine Schwäche für unbegleitete Basssoli haben – und ebenso für Duos von Saxofon und Bass. Kommt das daher, weil Sie die tiefen Töne auf dem Saxofon so sehr mögen?

Pope: Sie haben es genau getroffen. Sie sind einer der Ersten, die das so formulieren. Ich habe tatsächlich in jungen Jahren viel mit einem Bassisten im Duett gespielt, das hat mich geprägt.

Sie unterrichten Musik und Saxofon. Bringen Sie Ihren Schülern auch Multiphonics und Zirkularatmung und solche Sachen bei?

Pope: Nun, das sind sehr fortgeschrittene Dinge. Erst einmal muss einer das Instrument beherrschen und darf keine schlechten Gewohnheiten entwickeln. Wichtig ist: auf seinen Sound achten, gut Noten lesen lernen, das Instrument begreifen...

Kann man denn Zirkularatmung überhaupt unterrichten?

Pope: Ja, ich kann das unterrichten. Spielen Sie ein Instrument? Wichtig ist, dass Sie erst mal Ihr Instrument beherrschen. Die tiefen Töne sind beim Saxofon viel schwieriger zu meistern als die hohen. Am schwierigsten sind wohl die ganz tiefen und die ganz hohen. Nur wenige Musiker blasen das tiefe D, Des und C bis runter zum B. Ich habe für meine Tonbildung jahrelang studiert, bei Kenny Clarke, Ron Rubin, Max Roach. Ich habe vom Piano gelernt, von der Gitarre. Auch beim Klavier musst du an der Qualität deines Tons arbeiten, den richtigen Anschlag haben. Natürlich habe ich auch Sängern zugehört, Frank Sinatra, Sarah Vaughan, Kenny Rogers...

Ist es nicht auf Dauer sehr erschöpfend, mit Zirkularatmung zu blasen?

Pope: Wenn man die richtige Technik hat, die Kontrolle übers Instrument, den richtigen Ansatz, dann ist es nicht erschöpfend. Ich kann eine oder zwei Stunden lang ununterbrochen mit Zirkularatmung spielen. Roland Kirk soll den Rekord halten mit 45 Minuten, aber das ist kein Rekord! Du kannst es ewig weitermachen, es ist ein ständiger Airflow.

Existiert eigentlich der Saxophone Choir noch?

Pope: Ja, der Choir ist quicklebendig. Wir haben im Sommer erst auf einem Festival gespielt. Im letzten Frühjahr hatten wir ein sehr erfolgreiches Engagement im „Blue Note“ in New York. Die Shows waren ausverkauft und wir sind für Mai 2010 wieder gebucht.

© 2010, 2014 Hans-Jürgen Schaal


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