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Der Jazz ist Clint Eastwoods gar nicht so heimliche Liebe. Den richtigen Partner, um seine Filme mit originellen, angejazzten Sounds zu versorgen, fand er 1984: Lennie Niehaus, einst einer der herausragenden Saxofonisten des Westcoast-Jazz.

Zwei glorreiche Kalifornier
Lennie Niehaus' jazzige Filmklänge für Clint Eastwood
(2012)

Von Hans-Jürgen Schaal

Die Fünfzigerjahre waren die große Zeit des kalifornischen Westcoast-Jazz, eines zeittypischen Cool-Jazz-Stils mit akademischer, verkopfter Schlagseite. Die Westcoast-Jazzer experimentierten mit tonalen und metrischen Neuerungen, mit Kontrapunktik und Zwölftontechnik, mit erweiterten und sinfonischen Formen. Viele von ihnen jobbten in den Fernseh- und Filmstudios von Hollywood und betrieben daneben Jazz als eine Art Musik-Labor; etliche arrangierten für Film und Jazz gleichermaßen. So kam es, dass klassische Kompositions-Kniffs zunehmend den Jazz aufmischten: Der Saxofonist Bob Cooper schrieb eine polyphone „Jazz Invention“, der Trompeter Shorty Rogers das zwölftönige „Three On A Row“, der Saxofonist und Klarinettist Jimmy Giuffre den Rondo-Kanon „Pas De Trois“. Die Liste ließe sich seitenlang fortsetzen.

Der Saxofonist: Niehaus

Zu diesen experimentierfreudigen Westcoast-Musikern gehörte auch der Altsaxofonist Lennie Niehaus. Sein Vater, in Russland geboren, war nach einer Violinisten-Ausbildung in St. Petersburg in die USA eingewandert. Der Sohn, ein echter Amerikaner, begeisterte sich als Teenager für die Swing-Orchester, lernte (gegen den Willen des Vaters) Saxofon und schrieb schon auf der Highschool Bigband-Partituren. Mit 22 Jahren wurde Lennie Niehaus Mitglied und Solist in Kaliforniens führender Bigband, dem Stan Kenton Orchestra, das bekannt war für seine neutönerischen und gigantomanischen Experimente. Bei Kenton war Niehaus der Nachfolger von Art Pepper; später – nach dem Militärdienst – löste er in derselben Band Lee Konitz ab und blieb fünf Jahre lang. Niehaus machte in dieser Zeit auch sechs Alben unter eigenem Namen mit so sachlichen Plattentiteln wie „The Quintets“, „The Octet, Number 2“, „The Quintets And Strings“ oder „The Sextet“.

Viele von Lennie Niehaus’ Weggenossen aus den Fünfzigerjahren sind zu Jazz-Legenden geworden: Lee Konitz, Charlie Mariano, Herb Geller, Jimmy Giuffre. Den Namen Lennie Niehaus jedoch kennen Jazzfans heute kaum noch. Der Grund: Niehaus verlegte sich sehr bald aufs Komponieren und Arrangieren. Schon bei seinem ersten Studio-Date als Leader (Juli 1954) verblüffte er mit einem dreistimmigen Saxofonsatz, den er durch seine Arrangements viel größer wirken ließ – dank gezielter Obertoneffekte. „Die Obertöne erzeugen den Eindruck, dass da drei weitere Saxofone spielen“, sagt Niehaus im Rückblick. „Dein Ohr glaubt, es höre Noten, die aber gar nicht da sind.“ Der Orchester-Chef Stan Kenton entdeckte Niehaus’ Talent und ließ seinen Saxofonisten mehr als 100 Arrangements für seine riesige Bigband schreiben, darunter drei komplette Alben. Der Sprung in die Fernseh- und Filmstudios von Hollywood lag nahe: Bereits 1959 komponierte Niehaus für die TV-Serie „Not For Hire“. Später arbeitete er jahrelang als Orchestrator für den Filmkomponisten Jerry Fielding.

Der Jazzfan: Eastwood

Wortkarge, coole, zynische, etwas geheimnisvolle Einzelgänger, einsame Revolverhelden, eigenbrötlerische Polizei-Ermittler – das sind Clint Eastwoods Lieblingsrollen. Berühmt geworden ist der kalifornische Schauspieler in den Sechzigerjahren durch die Italo-Western von Sergio Leone: „Für eine Handvoll Dollar“ oder „Zwei glorreiche Halunken“. Später spielte er als „Dirty Harry“ sehr erfolgreich einen Polizei-Inspektor in San Francisco. Seit 1971 ist Clint Eastwood auch hinter der Kamera tätig – als Regisseur, Produzent, Komponist. Seine erste Regiearbeit war „Play Misty For Me“ (1971, dt. Titel: „Sadistico“) – und bereits hier lässt Eastwood seine große Liebe erkennen: den Jazz. Mit „Misty“ ist die Jazzballade des Pianisten Erroll Garner gemeint, die im Film eine dramaturgische Funktion erfüllt. Auch Szenen vom Monterey Jazz Festival 1970, unter anderem mit dem Cannonball Adderley Quintet, sind montiert. „Keine andere Musik kann Stimmungen im Film besser transportieren als Jazz“, sagt Eastwood.

Clint Eastwood hat eine Menge dafür getan, dass Jazz an die Ohren des Kino-Publikums kommt. Im Film „Mystic River“ (2003) spielt das Miles-Davis-Album „Kind of Blue“ eine wichtige Rolle. In „The Bridges of Madison County“ (1995) gibt es Szenen im Jazzclub und ein paar große Jazzballaden. In „Midnight in the Garden of Good and Evil“ (1997) finden etliche Jazz-Standards von Johnny Mercer Verwendung. In „True Crime“ (1999) hört man die Jazzsängerin und -pianistin Diana Krall. In weiteren Filmen von und/oder mit Eastwood – „Honky Tonk Man“, „City Heat“, „In the Line of Fire“ – tritt der Schauspieler sogar selbst als Musiker in Aktion. Auch als Produzent der Dokumentarfilme „Straight No Chaser“ (über den Jazzpianisten Thelonious Monk) und „Blues Piano“ hat Eastwood die afroamerikanische Musik gewürdigt. „Der Blues war immer ein Teil meines musikalischen Lebens“, sagt er, „und das Piano spielte eine besondere Rolle, seit meine Mutter all die Fats-Waller-Platten nach Hause brachte.“

Das Team: Niehaus & Eastwood

Wenn sich Lennie Niehaus richtig erinnert, ist er Clint Eastwood schon 1952 beim Militärdienst erstmals begegnet. Einmal im „Basic Training“ soll Eastwood – damals noch nicht Schauspieler – den Neuling Niehaus gegen einen Ausbilder in Schutz genommen haben. Später stand Eastwood in der Kaserne auch hinterm Bartresen, als Niehaus mit der Army-Clubband spielte. Aber erst drei Jahrzehnte später kamen sie wirklich zusammen – nun als Regisseur und als Komponist. „Ich habe da diesen kleinen Film und ich glaube, du bist der perfekte Mann für den Job“: Mit diesem Anruf von Clint Eastwood im Jahr 1984 fing es an. „Ich möchte dich mitnehmen in die Bourbon Street in New Orleans, da gibt es so eine Art Kakophonie der Klänge.“ Die beiden flogen in die Geburtsstadt des Jazz, bummelten die Bourbon Street entlang und studierten die verschiedenen Fetzen Musik, die da alle paar Meter aus den Häusern dringen. Eine solche Collage musikalischer Fragmente wünschte sich Eastwood für seinen Film: „Schreib acht Stücke in acht Stilen“, sagte er zu Niehaus, „und wir schneiden das dann im Studio zusammen.“ Der Film „Tightrope“ (dt.: „Der Wolf hetzt die Meute“) wurde Niehaus’ erster kompletter Film-Soundtrack.

Danach hatte der Jazzer Niehaus rund 20 Jahre lang bei jedem von Eastwood verantworteten Film die musikalische Leitung: „Pale Rider“, „Heartbreak Ridge“, „White Hunter Black Heart“, „Rookie“, „Unforgiven“, „A Perfect World“, „True Crime“ und wie sie alle hießen. Für eine Dokumentation über Clint Eastwood („Out Of The Shadows“, 2000) komponierte Niehaus auch eine zehnteilige Suite, bei der Star-Saxofonist Joshua Redman zum Zuge kommt. Seine Filmscores für „Absolute Power“ (1997) und „Space Cowboys“ (2000) hält Niehaus für seine besten Eastwood-Arbeiten: „Bei ‚Absolute Power’ benutzte ich interessante Klangsignale, die auf ihre Weise atonal waren. Bei ‚Space Cowboys’ konnte ich einen Aaron-Copland-artigen Tonfall verwenden, ein Americana-Feeling, um damit den Patriotismus und Idealismus des Filmsujets zu beschreiben. Da gibt es ein Motiv, das ich besonders liebe, wenn die Astronauten die Gangway zur Rakete hinuntergehen.“

In der Zusammenarbeit von Niehaus und Eastwood nimmt der Film „Bird“ (1988) einen besonderen Rang ein, ist er doch eine Hommage an Charlie Parker, ihren gemeinsamen großen Jazzhelden. Niehaus hatte hier die knifflige Aufgabe, geeignete Parker-Soli aus historischen Aufnahmen zu isolieren und die Rhythmusbegleitung dazu neu einspielen zu lassen, damit die Musik eben nicht historisch klingt. Der Pianist Monty Alexander war von dieser Geister-Session mit Parker äußerst angetan: „Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal mit ihm spielen zu dürfen – es ist wie im Traum!“ Zusätzliche Bläserparts liefern Charles McPherson (Altsax), Jon Faddis und Red Rodney (Trompeten). Den Schauspieler Forest Whittaker musste Niehaus in die Szenen mit Saxofon einweisen: „Ich musste ihm beibringen, wie man das Alt hält und wo die Finger hinkommen. Bei einigen lange gehaltenen Tönen hatte ich Forest die Fingerstellung zu zeigen. Anderenfalls hätte nach Erscheinen des Films mein Telefon nicht mehr aufgehört zu klingeln, weil all die Leute mir mitgeteilt hätten, dass er falsch greift.“

Hin und wieder hat Lennie Niehaus noch eine Jazzplatte gemacht – mit alten Freunden aus Westcoast-Tagen. Unzählige seiner Saxofon-Arrangements, auch unbegleitete Saxofon-Duette und -Quartette, sowie verschiedene Lehrbücher sind im Druck erschienen. Für die Musik in Clint Eastwoods Filmen übernimmt er immer noch Orchestrierung und Dirigat. Das Komponieren jedoch hat der Jazzfan Eastwood inzwischen selbst in die Hand genommen – eines seiner offenbar zahllosen Talente. Und es überrascht kaum, dass sich Eastwoods ältester Sohn Kyle als Jazzmusiker versucht.

© 2012, 2014 Hans-Jürgen Schaal


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