Wer hat’s erfunden? Natürlich die Schweizer! Aber in der Technik des Hangs steckt die Klangweisheit vieler musikalischer Kulturen.
Der Hang zum Hang
Das Seelen-Instrument aus Bern
(2012)
Von Hans-Jürgen Schaal
Angefangen hat alles mit der Steelpan oder Steeldrum, dem Wahrzeichen der karibischen Steelbands. Weil die britischen Kolonialherren auf Trinidad die traditionellen Trommeln zeitweilig verboten hatten, begannen die Insulaner einst auf Pfannen und Ölfässer einzuschlagen. Dabei entdeckten sie, dass durch die entstehenden Verformungen des Blechs an verschiedenen Stellen verschiedene Töne erzeugt werden können. Man entwickelte daraufhin die runde Steelpan aus Feinblech – mit eingedellten Tonfeldern.
Seit den 1950er Jahren wurde das Schlägeln auf der Steelpan auch in Europa populär und begeisterte bei Straßenveranstaltungen immer mehr Menschen. Auch Felix Rohner aus Bern wurde zu einem Fan der Steeldrum – und versuchte dann einfach mal, selbst eine zu bauen. 1976 stellte er seine erste Steelpan her, ab 1985 machte er das hauptberuflich, 1993 gründete er die PANArt Steelpanmanufaktur AG Bern. Über die Jahre hat Rohner sein Material, seine Herstellungstechnik, sein klangphysikalisches Wissen immer mehr verfeinert. Er studierte das Klangverhalten von Glocken und Gongs, indischen Tablas, nigerianischen Udus oder indonesischen Gamelan-Instrumenten und lernte daraus. Rohners Steelpans – er nannte sie Pang-Instrumente – waren einzigartig.
Dann kam der Tag, als der Schweizer Jazz-Perkussionist Reto Weber die Frage stellte, ob die karibische Steelpan nicht auch als Handtrommel denkbar wäre, ähnlich der indischen Ghatam, einer Tontopf-Trommel. Rohner versuchte, bestimmte Eigenschaften beider Instrumente zu kombinieren, und setzte dafür zwei Steelpan-Schalen mit den Öffnungen aufeinander. Äußerlich ähnelte das Ergebnis einem Wok mit Deckel oder einer riesigen Schokolinse; manche sagten auch: einem UFO. Rohner nannte das neue Instrument „Hang“: Das ist kein chinesisches Wort, sondern Berner Dialekt für „Hand“. Denn gespielt wird nur mit den Fingerspitzen, den Daumen, den Handballen, der Handwurzel.
In der Unterschale des Hang befindet sich eine Öffnung, genannt „Gu“: Sie dient als Resonanzloch. In der Mitte des Deckels thront dagegen eine Kuppel, genannt „Ding“: Dort sitzt der Zentralton. Um ihn herum sind sieben oder acht Tonfelder eingehämmert, die mit dem Zentralton korrespondieren. Das heißt: Schlägt man eines der Felder an, erklingt nicht nur ein einzelner Ton, sondern der ganze Wok schwingt obertonreich mit, einem Gong ähnlich. Schlägt man mehrere Klangfelder hintereinander an, baut sich geradezu eine Klangglocke auf, eine akustische Kathedrale, ein Schwingungs-Dom. Der Effekt ist frappierend.
Erst ein Jahrzehnt alt ist das Instrument, aber das Hang hat längst die ganze Welt erobert. Perkussionisten entdeckten es als „Hang Drum“, Straßenmusiker bringen damit den Sommer in der Stadt zum Schwirren, andere begleiten auf dem Hang Sängerinnen oder Didgeridoos. Auch Therapeuten, Sufi-Mystiker oder selbsternannte Schamanen schwören auf seine heilenden Kräfte. In den ersten fünf Jahren verkauften die Berner Hangbauer fast 5.000 dieser Instrumente, jedes handgefertigt mit viel Aufwand und Hingabe. Sie respektierten dabei die Wünsche der Musiker und Therapeuten, variierten die Größe, den Grundton, die Tonleiter, boten 45 Klangmodelle an. Hunderte von CDs mit Hang-Musik sind schon erschienen.
Wer immer das Hang hört, scheint seiner Klang-Energie zu erliegen, seinem Obertonzauber, seinem Schwingungsfeld. „Wie heißt dieses Instrument? Wo kann ich es hören? Wo kann ich es kaufen?“ Im Internet grassieren Hang-Foren und Hang-Blogs: Der Sound macht süchtig. Die Berner Hangbauer sitzen da auf einer Goldmine, die nach globaler Vermarktung und Expansion schreit. Doch das Gegenteil ist passiert: Die PANArt Hangbau AG von Sabina Schärer und Felix Rohner, den Inhabern des Hang-Patents, sperrt sich gegen das Leistungsprinzip und die Gesetze des Marktes. Vor Jahren schon hat man den internationalen Vertrieb gestoppt, die eigene Website vom Netz genommen, sich fast unerreichbar gemacht.
Immerhin kommt aus Bern etwa einmal im Jahr eine Depesche an die Welt: Man sei nicht einverstanden mit vielem, was dem Hang widerfährt, lautet die Botschaft. Nicht einverstanden damit, dass das Instrument auch mit Schlägeln oder Handschuhen gespielt wird. Dass Musiker mehrere Hanghang (so die Mehrzahl) miteinander kombinieren. Dass sie überhaupt das Hang in musikalische Zusammenhänge und Ensembles einbringen. Dass das Instrument auf Bühnen vor Zuhörern erklingt. Dass es auf dem freien Markt viel zu teuer weiterverkauft wird. Man hält auch nichts von Tonaufnahmen, Mikrofonen und Lautsprechern, man misstraut ebenso den Therapeuten und ermahnt die Straßenmusikanten, „über ihre Berufung nachzudenken“.
Seit 2010 stellen Schärer und Rohner nur noch ein einziges Modell her: das Freie Integrale Hang. Es wird nur nach Gehör gestimmt, nach optimaler Resonanz, nicht nach vorgegebenen Tonhöhen und Tonskalen. Das heißt: Jedes Instrument ist ein wenig anders, eine einmalige, selbstgenügsame Klanglandschaft, ungeeignet zum Musizieren mit anderen. „Das Hang sollte ein klingender Kosmos sein, kein Musikinstrument für die standardisierte Musikwelt“, schreiben die Hangbauer von Bern. Sie sehen das Hang als Seelen-Instrument, als sensiblen Resonator für Menschen, „die sich nach Gleichgewicht und nach innerer Ruhe sehnen“. Wer ein neues Hang kaufen möchte, schickt daher am besten einen altmodischen Brief nach Bern, in dem viel von kosmischer Harmonie die Rede ist. Man muss sich qualifizieren, um eines Hangs würdig zu sein. Mit Glück wird man dann eingeladen ins „Hanghaus“, um die Resonanz zwischen Seele und Instrument zu erforschen. Einmal im Jahr, im Sommer, werden die Hanghang geerntet, die „Spuren hämmernden Horchens“.
Die Mitteilungen aus Bern klingen inzwischen tatsächlich einigermaßen esoterisch: Von anderen Bewusstseinsgraden ist die Rede, vom heiligen Augenblick, von kosmischer Klarheit, vom inneren Geschehen, von einem „Singsang von Engelszungen“ und der „Musik hinter der Musik“. Mancher Satz tönt wie Poesie:
Auf unserem Schoß eingebettet liegt ein Hang.
Ein Instrument sich einzustimmen in einen freien Fluss.
Es trifft den Menschen im Innersten.
Spielen Sie das Hang zum Lobe des Seins!
Mit Vorteil schließen Sie die Augen.
Wir bleiben am Blech.
© 2012, 2015 Hans-Jürgen Schaal
© 2012 Hans-Jürgen Schaal |