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Seine Vorbilder sind Keith Emerson, Rick Wakeman, Patrick Moraz, Tony Banks – Herrscher über Arsenale rockender Keyboards. Doch Jordan Rudess scheint sie alle noch zu übertreffen – an Virtuosität, Einfallsreichtum und Humor. 2011 wurde er von Musikerkollegen zum besten Keyboarder aller Zeiten gewählt.

Ein Kosmos aus Keyboards
Die Abenteuer des Jordan Rudess
(2015)

Von Hans-Jürgen Schaal

Früher zeigten Rock-Keyboarder gerne, dass sie in ihrer Jugend ein paar richtige Klavierstunden genossen haben. Heute hat ein Rock-Keyboarder schon mal auch eine abgeschlossene klassische Musikausbildung. Bereits als Neunjähriger wurde Jordan Rudess an der Juilliard School aufgenommen, dem legendären New Yorker Konservatorium, das so viele berühmte Musiker hervorgebracht hat. Anstatt eine klassische Pianistenkarriere einzuschlagen, hängte der Junge sein Herz aber irgendwann an die elektrischen Keyboards und den progressiven Rock. Bis die großen Kollegen auf ihn aufmerksam wurden, war er allerdings schon 37 Jahre alt. Sein zweites Solo-Album „Listen“ (1993) brachte ihm Kontakte zu den Dixie Dregs und zu Dream Theater ein, es folgten Projekte mit Rod Morgenstein (Drums) und John Petrucci (Gitarre). Seit 1999 ist Jordan Rudess der gar nicht mehr wegzudenkende Keyboarder von Dream Theater, der führenden Progmetal-Band der Welt.

Feeding The Wheel (Magna Carta 9055-2) hieß 2001 sein fünftes Soloalbum – eine Science-Fiction-getönte, von tausend Keyboard-Klangfarben dominierte, in atemberaubenden Verwandlungen vorüberziehende Prog-Vision. Um die handwerkliche Bodenhaftung nicht zu verlieren, hat Rudess einen echten Drummer dabei – hier den Zappa-Veteranen Terry Bozzio – und ein paar Gitarren-Monster – diesmal John Petrucci und Steve Morse (Dixie Dregs, Deep Purple). Die Grundfärbung ist dunkel, es gibt Metal-Riffs und elektronische Schicksals-Chöre, die Themen zeigen einen Hang zum Dramatischen. Dennoch geht es bei Rudess immer Schlag auf Schlag: Alle paar Takte springt die Musik in eine andere Klang- und Rhythmuswelt. „Quantum Soup“ zum Beispiel bietet zwischendurch Ausflüge am Jazzpiano und knallende Funk-Rhythmen, „Crack The Meter“ mischt Fusionjazz-Qualitäten mit Orgelsounds, „Revolving Door“ klingt nach großem Orchester und keltischer Folklore. Am faszinierendsten ist Rudess, wenn er bizarre und kapriziöse Sachen macht: Dann hüpfen die wechselnden Metren ums Karree, die elektronischen Keyboard-Sounds werden knarzend und klirrend und spielen in wilden Phrasen miteinander Räuber und Gendarm. In „Dreaming In Titanium“ scheint einmal ein ganzes Perkussions-Orchester loszulegen.

Das Album erschien noch in Jordan Rudess’ Anfangszeit bei Dream Theater. Bald danach aber jagten einander die Produktionen und Tourneen mit der Band – und es stellte sich die Frage: Gibt es jemals wieder ein paar Monate Zeit für ein Solo-Album? Im November 2003 sah Rudess keine andere Lösung mehr als diese: Er schloss sich für 14 Tage am Stück in sein Heimstudio ein. „Telefon abschalten. E-Mails ignorieren. Mahlzeiten werden vor die Tür gestellt. Luftmatratze am Boden für seltene Schlafanfälle. Totale kreative Klausur, von der Familie abgesegnet.“ Die tägliche musikalische Ausbeute hat die Ehefrau direkt an Rod Morgenstein übermittelt, den Dixie-Dregs-Drummer. Weitere zehn Musiker spielten im Dezember ihre Stimmen ein. Vor dem 10. Januar 2004 war der Album-Mix fertig. An diesem Tag startete die nächste Tour mit Dream Theater.

So also entstand das Album Rhythm Of Time (Magna Carta 9068-2) – und das Ergebnis rechtfertigt die rabiate Methode. Noch üppiger als auf dem Vorgänger-Album schiebt Rudess die Keyboard-Stimmen polyphon und in ungeraden Metren ineinander, Riffs und Motive ziehen atemlos vorbei, Pathos und Humor, donnernde Rhythmen und sanftere Melodien wechseln sich ab. Wer kann da noch sagen, was Thema ist, was Nebenthema, Zwischenteil, Solo, Episode, Exkurs? Gitarrenhelden wie Joe Satriani, Steve Morse, Greg Howe und Vinnie Moore liefern weitere virtuose Töne. Im fast zappamäßig schrägen „Insectsamongus“ purzeln die schnarrenden und klingelnden Keyboard-Sounds nur so übereinander, dazwischen solieren Piano und Drums zu Bigband-Feeling. Auch „Bar Hopping With Mr. Picky“ ist ein kurioses Capriccio, in „Ra“ dominieren sogar orientalische Klänge. Die beiden Balladen (Gesang: Kip Winger) braucht man wahrscheinlich, um das alles zu überstehen.

Weitere drei Jahre später folgte The Road Home (Magna Carta 9092-2) – mehr als nur eine Hommage an die ProgRock-Helden, eher eine Lektion für sie. Vier verzwickte Klassiker von Genesis, Yes, Gentle Giant und ELP hat Rudess hier aufbereitet – mit viel Spaß an der Rekonstruktion der Vorbilder, aber immer auch mit pointierten eigenen Zutaten. Mancher Lauf ist bei Rudess komplizierter, mancher Sound bizarrer, manches nervöse oder gefühlige Zwischenspiel hat er hinzugefügt, die Stücke wachsen um zwei bis drei Minuten. Wer die Originale kennt, wird immer wieder lustvoll düpiert. Eine Riege aktueller Prog-Helden übernimmt die Vocals. Auch ein Piano-Medley gibt es mit Themen von Yes, Genesis und King Crimson – und außerdem ein abgefahren-geniales Drei-Minuten-Keyboard-Feuerwerk, das klingt wie eine Collage aus den besten Stellen des Albums. Von Rudess’ neuer Version von „Tarkus“ ist übrigens auch Keith Emerson begeistert: „Er hat eine Komposition, auf die ich stolz bin, auf ein neues Level gehoben.“

© 2015, 2018 Hans-Jürgen Schaal


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