NEWS





Zurück

Es gibt nicht nur Coverversionen von Songs. „Gecovert“ werden auch Plattenhüllen. Das gecoverte Cover – ist es witzige Anspielung oder respektvolle Verehrung, Parodie oder tieferer Sinn?

ALBUMDOPPEL (12)
Rotes Gebrüll
(2016)

Von Hans-Jürgen Schaal

Der Sussex Express schrieb: „Ein gequältes, gemartertes Gesicht brüllt dich lautlos vom Cover an. Es ist hässlich, widerlich und doch seltsam fesselnd.“ Michael Giles, der Drummer der Band, fand das Albumcover schrecklich, es bereitete ihm Albträume. Dabei war das Artwork speziell für die Platte entstanden. Peter Sinfield, der Texter, der mal Student am Chelsea Art College gewesen war, hatte einem malenden Freund ein paar erste Aufnahmen fürs Debütalbum vorgespielt. Der Malerfreund hieß Barry Godber, er verdiente sein Geld als Computerprogrammierer, und das im Jahr 1969! Was hat er hier wohl gemalt? Den „Crimson King“, den Purpurkönig? Oder den „21st Century Schizoid Man“? Oder vielleicht seine ganz eigene Reaktion auf diese Musik? Ist der Maler selbst derjenige, der lautlos schreit? Sein Bild hat Schockqualität. Da ist einer überfordert, da geschieht etwas Unsagbares, etwas Beängstigendes, etwas Monströses.

Nicht nur Barry Godber, der Kunstmaler, empfand so. Eine so disparate Platte wie King Crimsons Debütalbum hatte es bis dahin nicht gegeben. Mellotron-Bombast und Bläsereinsätze, heftige Rockriffs neben freien Klangcollagen und Schmeichelmelodien... Was war das überhaupt – oder was sollte einmal daraus werden? Die Musikjournalisten zeigten ihre Ratlosigkeit. Einer schrieb, die neue Band sei eine Kombination aus The Family, The Pretty Things und The Moody Blues. Ein anderer brachte Pink Floyd und Paul McCartney ins Spiel. Im Rolling Stone stand, King Crimson würden als die neuen Beatles gehandelt. Robert Fripp, der Gitarrist und Kopf der Band, nutzte die Stunde der Verwirrungen und gab irgendetwas Verquastes an die Presse: „Das fundamentale Ziel von King Crimson ist es, Anarchie zu organisieren, die latente Macht des Chaos nutzbar zu machen und zuzulassen, dass die verschiedenen Einflüsse interagieren und ihre eigene Balance finden.“ Daraufhin schrieb jemand, Fripp sei entweder ein Ignorant oder ein Schwindler, aber wahrscheinlich beides.

King Crimson sollte der letzte Versuch sein. Nach vielen Monaten des Misserfolgs mit dem Trio Giles, Giles & Fripp machten die Musiker noch einmal einen Anlauf. Mut gab ihnen die Tatsache, dass sie jetzt einen Sänger hatten. Er hieß Greg Lake, war ein alter Schulfreund von Fripp, gerade 21 geworden und von zu Hause ins große London gekommen, vermutlich mit der Melodie zu „Epitaph“ im Gepäck. „If we make it we can all sit back and laugh“, heißt es in dem Song. So richtig geglaubt an den Durchbruch hat damals wohl keiner. John Kay von Steppenwolf meinte, die Band klinge „wie ein blutendes Orchester“. Im Oktober 1969 erschien das Debütalbum mit dem schreienden Schizoiden in Karminrot – Barry Godbers Gemälde ging um die ganze Welt. Und was wurde aus dem Maler? Peter Sinfield weiß es: „Gerade, als die Schaufenster von Hunderten von Plattenläden mit seinem Kunstwerk gefüllt waren, ging er hin und starb uns weg.“ Godber wurde nur 24 Jahre alt.

Beim dritten Album waren nur noch Fripp und Sinfield von der Debüt-Besetzung übrig. Aber das Rätselgebilde namens King Crimson überlebte tatsächlich und erschloss sich immer weitere musikalische Felder. Sie waren Underground, dann Progressive, dann Artrock: ein Monstrum, das ständig monströser wurde. 1995 erfand sich die Band zum dritten Mal, nun mit Drum-Gewittern und Donner-Riffs und einer neuen, metallischen Härte im Millenniums-Sound. Das gab dann wohl auch die Anregung zur Compilation Schizoid Dimension. Experimentelle Formationen wie Controlled Bleeding und Melting Euphoria entrichten hier ihren Tribut an die Inspiratoren. Das King-Crimson-Erbe findet sich 1997 übersetzt und verstanden in einer Klangwelt, in der Electronica, Heavy Metal, Industrial, Ambient, Noise, Sampling und Gothic fantasievoll zusammenströmen. All das hat Wurzeln beim Purpurkönig, all das ist Teil seiner immer weiter gewachsenen Monstrosität. „Cat Food“ mutiert Richtung Death Metal, „I Talk To The Wind“ wird zur Beats-Bastelei. Aber auch alte Weggenossen wie David Cross, John Wetton und Brand X sind hier noch in der Spur. Der König ist in sehr, sehr viele Persönlichkeiten gespalten.

Da ist das Albumcover des Tributs doch nur konsequent. Man erkennt ihn sofort wieder, den Schockbrüller von einst. Die Zähne sind alle noch da, die Nase ist unverwechselbar. Nur die Augen – sie sind zu großen, schwarzen, nichtmenschlichen Knöpfen geworden. Außerdem vollführen bunte, visionäre Kugeln einen psychedelischen Tanz, wahrscheinlich angetrieben vom monströsen Geschrei. Die Botschaft ist klar: Das Monster erhält immer mehr Facetten, es öffnet fremdartige Dimensionen und Schizoismen – nachzuprüfen in den wild-originellen Electronica-Metal-Industrial-Versionen auf dem Tributalbum. Gemalt hat das Tribut-Cover der Space-Rock-Gitarrist Tommy Grenas, der damals für dasselbe Label auch Musikaufnahmen machte. Mit einer seiner Bands, Pressurehed, ist er sogar auf dem Album vertreten. Als Tribut-Song hat er den „21st Century Schizoid Man“ gewählt.

+++

King Crimson: In The Court Of The Crimson King (EG Music EGCD 1)
Various Artists: Schizoid Dimension. A Tribute To King Crimson (Purple Pyramid CLP 0123-2)

© 2016, 2018 Hans-Jürgen Schaal


Bild

10.11.2024
Neue Features auf der Startseite: JAZZ-PORTRÄTS (2) und FACETTEN DES PROGROCK (2)

09.11.2024
NEU bei Adrian Teufelhart: BLACK SABBATH

26.10.2024
China im Konzertsaal (Neue Musikzeitung)

24.10.2024
Über den Bildungsfetisch PISA (Brawoo 10/24)

mehr News

© '02-'24 hjs-jazz.de