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Bigband, Spielmannszug, sinfonisches Blasorchester, Brassband... Es gibt gute, bewährte Formate für Blasinstrumente. Aber es gibt auch Bläser-Ensembles, die faszinierend anders sind.

Aus dem Plattenschrank (18)
John Mayall und die Ad-hoc-Jazzband
(2016)

Von Hans-Jürgen Schaal

Es gab und gibt viele Arten von Blues: den akustischen Country Blues, den elektrischen Urban Blues, den klassischen Sängerinnen-Blues, auch den Texas Blues, den Mississippi Blues, den Chicago Blues, den Rhythm ’n’ Blues, den Blues-Rock, den Boogie-Woogie. Damit nicht genug: Der Blues steckt außerdem in vielem anderen mit drin, zum Beispiel im Rock ’n’ Roll, im Soul, natürlich im Jazz – und in der europäischen Rockmusik. Blues, das war nämlich der neueste Schrei im „Swinging London“ der 1960er Jahre. Viele berühmt gewordene Rockbands starteten einst mit dem weißen Londoner Blues: Ten Years After, Rolling Stones, Jethro Tull, Cream, Fleetwood Mac, Led Zeppelin. Man konnte den Blues auch bei Deep Purple hören, bei Uriah Heep, Black Sabbath, Emerson Lake & Palmer, sogar bei Pink Floyd und Queen.

Zu den Vätern dieses weißen Blues von der Insel gehörte damals der Sänger, Gitarrist, Keyboarder und Mundharmonikaspieler John Mayall. Nachdem er über die Jahre hinweg diverse Spielarten des Blues durchprobiert hatte – mal näher beim Rock, dann wieder näher beim Songwriter-Folk, mal elektrischer, dann akustischer, mal mit Clapton, dann ganz ohne Schlagzeug –, landete er irgendwann im Heimatland des Blues und bei den Bläsern. Für das Live-Album „Jazz Blues Fusion“ holte sich John Mayall 1971 einfach zwei afroamerikanische Jazzmusiker in die Band – und die deuteten seine Bluesstücke in ihren Soli auf ihre eigene Art. Und weil das so gut funktionierte, machte Mayall im Sommer 1972 in Los Angeles dasselbe gleich noch einmal – aber diesmal schon mit fünf Jazzbläsern.

Moving Out war John Mayalls bereits 18. offizielles Album als Bandleader. Und obwohl er darauf seine Songs so singt wie immer und seine vertraute Mundharmonika bläst und sogar seinen alten Drummer Keef Hartley aus England mit dabei hat, ist das Album dank der Bläser über weite Strecken ein Jazzalbum geworden – die gemeinsame Basis des Blues macht es möglich. Gleich fünf großartige Soli steuert hier der Trompeter Blue Mitchell bei, der seinen Ehrennamen „Blue“ ja nicht von ungefähr trug. (Eigentlich hieß er Richard.) Mitchell hatte zuvor jahrelang beim Hardbop-König Horace Silver gespielt und beim Soul-Kaiser Ray Charles. Mitchells Holzbläser-Kollege Charles Owens beweist vor allem seine Vielseitigkeit, die ihn noch durch viele Bigbands führen sollte. Owens spielt hier eine lyrisch fantasierende Flöte in „Christmas 71“, zwei mutige Sopransax-Soli in „Worried Mind“ (mit Zirkularatmung!) und „Things Go Wrong“ und außerdem noch Tenorsax im Bläsersatz. Auch die Saxofonisten Fred Jackson Jr., der später in die Fusion-Richtung gehen sollte, und Clifford Solomon, der aus dem Rhythm ’n’ Blues kam, haben ihr Solo. Und das letzte Ausrufezeichen setzt dann der Tenorsaxofonist Ernie Watts mit sieben hoch inspirierten, hoch expressiven Blues-Chorussen im Schlussstück „High Pressure Living“. Dank seiner Bigband- und Studiokarriere war Ernie Watts schon damals (mit 26) eine kleine Legende. Der Grammy-Gewinner und Frankfurter Musikpreisträger hat bis heute an mehr als 500 Albumproduktionen mitgewirkt.

So vielseitig der Blues ist, so schnell lässt er sich stilistisch verwandeln – gerade John Mayall hat das in seiner Karriere häufig bewiesen. Auf „Moving On“ hat er einen afroamerikanischen Bluesgitarristen aus Memphis dabei und einen bleichgesichtigen Rockdrummer aus Lancashire, außerdem zwei sehr unterschiedliche Bassisten aus New York. Aber nimm eine Handvoll Jazzbläser, und die Musik geht in eine ganz neue Richtung! Übrigens spielen die Bläser im Satz nur einfache Riffs und Backgrounds – das genügt völlig. Ihre Improvisationen über den Blues allerdings, die haben es in sich.

© 2016, 2018 Hans-Jürgen Schaal

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