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Auch Mozart schrieb Tripelkonzerte – für drei Streicher mit Orchester oder drei Klaviere mit Orchester. Das Konzept eines Tripelkonzerts für Violine, Cello, Piano und Orchester ist dagegen Beethovens ganz eigene Erfindung.

Beethoven Experience (6)
Tripelkonzert und 3. Symphonie
(2017)

Von Hans-Jürgen Schaal

Mit seinem Opus 56 von 1804 verknüpft Beethoven die Idee der „konzertanten Symphonie“, in der einzelne Orchesterinstrumente besonders hervortreten, mit dem Konzept eines Klavierkonzerts. Gleichzeitig entspricht die von Beethoven gewählte Solisten-Kombination auch dem klassischen Klaviertrio, einem bewährten Kammermusikformat, das Beethoven schon für sein Opus 1 gewählt hatte. Sein Tripelkonzert ist also mehreres auf einmal: konzertante Symphonie, Variante des Klavierkonzerts und Kammertrio mit Orchesterbegleitung. Als wäre das nicht genug, wird dieses Werk häufig zudem noch als „heimliches“ oder „verstecktes“ Cellokonzert bezeichnet. Denn entgegen aller Erwartung spielt in Beethovens Tripelkonzert nicht die Violine oder der Flügel, sondern das Violoncello die Hauptrolle. Das Cello hat die technisch anspruchsvollste Partie und muss Höhen meistern, die damals an diesem Instrument nicht üblich waren. Das Cello stellt auch alle Hauptthemen vor – die beiden anderen Solo-Instrumente folgen nur nach.

Wählt ein Komponist eine so spezielle, erstmalige Besetzung, so hat er sicherlich bestimmte Solisten vor Augen. Anton Kraft (1752-1820) hieß der böhmische Musiker, für den Beethoven dieses „heimliche Cellokonzert“ geschrieben hat. Kraft war (wie Beethoven) Kompositionsschüler von Haydn gewesen und galt als einer der größten Cellisten seiner Zeit. Er gehörte dem Orchester des Fürsten Lobkowitz an, der Beethoven förderte und dem das Tripelkonzert auch gewidmet ist. Den Part der Solo-Violine sollte der Musicus Seidler übernehmen. Und den Klavierpart? Lange glaubte die Forschung, Beethoven hätte dafür Erzherzog Rudolph vorgesehen, seinen Schüler und Gönner, und hätte die Klavierstimme auf dessen Fähigkeiten zugeschnitten. Tatsächlich aber war der Erzherzog bei der Komposition (1804) erst 16 Jahre alt und wurde erst nach der Uraufführung (1808) Beethovens Schüler. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass Beethoven sich selbst am Flügel „sah“ – und womöglich obendrein noch das Dirigat übernehmen wollte. Der Klavierpart ist nicht sehr umfangreich.

Die Cello-Einsätze im Tripelkonzert sind besonders wirkungsvoll inszeniert. Nachdem die Orchester-Einleitung die Erwartung des Publikums genug angefacht hat, ist die Bühne fürs erste Thema des Cellos bereitet. Danach greift die Violine es auf, dann folgt das Piano, und nacheinander und miteinander verarbeiten die drei Solisten das thematische Material. Zeitweise scheinen sie darüber das Orchester fast zu vergessen – das Klavier ist ein guter Orchester-Ersatz für die beiden Solo-Streicher. Der Kopfsatz präsentiert die ungewohnte Trio-plus-Tutti-Konstellation recht ausführlich. Das folgende Largo ist desto kürzer, das sangliche Cello-Thema darin noch schöner als das erste, und das Orchester begleitet die drei Solisten sehr sparsam. Und wiederum ist es das Cello, dem der clevere Übergang vom Largo zum Rondo zufällt. Das Hauptthema mit seinen großen Intervallen verlangt am Cello einiges Können. In diesem dritten Satz ist vor allem rhythmische Begeisterung angesagt: Ein folkloristisch inspirierter Tanz „alla Polacca“ suggeriert temperamentvolles slawisches Musikantentum. Der Rhythmus beschleunigt noch und mündet nach einem Fugato in übermütigen Trillern.

Verglichen mit Beethovens oft dramatischen Symphonien ist das Tripelkonzert ein verspieltes, entspanntes, heiteres Werk. Auch die großen Ecksätze sind formal locker gehalten, statt strenger Durchführung hören wir quasi Strophen und Refrains. Diese Komposition dient den Solisten, nicht umgekehrt. Die Solisten allerdings müssen zusammen auch ein Team bilden, ein kleines Ensemble im größeren Ensemble, nach dem Motto: Drei Freunde sollt ihr sein! Oder zumindest: Vertraute, die an einem Strang ziehen. Beethovens Zeitgenossen fehlte das Verständnis für diese Idee ein wenig. Es soll nach der Premiere 12 Jahre gedauert haben, ehe das Tripelkonzert zum zweiten Mal aufgeführt wurde. Auch danach wurde es noch lange Zeit unterschätzt – im Grunde bis 1969, als Herbert von Karajan drei weltberühmten Solisten „seine“ Konzeption des Konzerts aufzwang.

3. Symphonie

Praktisch gleichzeitig mit dem Tripelkonzert entstand Beethovens 3. Symphonie, die 1804 im Palais des Fürsten Lobkowitz uraufgeführt wurde. Oft genug hat man Beethovens Orchestermusik als „kämpferisch“ oder „heroisch“ beschrieben. Die Dritte aber nannte der Komponist selbst so: „Sinfonia Eroica“ – Heroische Symphonie. Der Heros, an den Beethoven dabei ursprünglich dachte, war kein anderer als Napoleon Bonaparte, der die Revolution, die Freiheit und den Fortschritt in die rückständigen europäischen Länder bringen wollte. „Bonaparte“ – diesen Titel hatte Beethoven für seine Symphonie geplant. Die Komposition war offenbar schon abgeschlossen, als der Komponist 1804 von Napoleons Plänen hörte, sich zum Kaiser zu krönen. Beethoven war enttäuscht. Mehr noch: Er war entrüstet über diesen Verrat an den Idealen der Französischen Revolution – seinen Idealen! „Nun wird er auch ein Tyrann werden!“, soll Beethoven gerufen haben. Danach hat er angeblich das Titelblatt der Symphonie zerrissen oder zumindest den Titel „Bonaparte“ ausradiert.

Doch wer sollte nun der Held seiner heroischen Symphonie sein? Die endgültige Widmung der „Eroica“ gilt der „Erinnerung an einen großen Mann“. Meinte Beethoven damit noch immer Napoleon, wollte nun aber seinen Namen nicht mehr nennen? Die Spekulationen über den Widmungsträger der Eroica schossen im Lauf der Jahrzehnte ins Kraut und haben sich bis heute nicht beruhigt. Für zusätzliche Verwirrung sorgte der langsame Satz der Symphonie: ein Trauermarsch. Wie kann der Held im zweiten Satz schon sterben? Ging es in der Symphonie etwa um verschiedene heroische Gestalten? Galt der Trauermarsch den Märtyrern der Revolution? Oder gar irgendeinem englischen Feldherrn, der im Kampf gegen Napoleon heroisch gefallen war? Auch im Finalsatz glaubten Beethoven-Forscher Hinweise auf England und Gesamteuropa zu finden und interpretierten sie im Sinne einer Abkehr Beethovens von Napoleon. Doch es scheint, dass der Komponist die Intention seines Werks nie verleugnet hat: Diese Symphonie war nun einmal „geschrieben auf Bonaparte“. Allerdings auf den jungen, den frühen, den revolutionären Bonaparte. Den aber gab es für Beethoven nicht mehr – vielleicht kann man den Trauermarsch auch in diesem Sinn verstehen.

Die Eroica dauert fast 50 Minuten und ist damit nahezu doppelt so lang wie Mozarts letzte Symphonien. Sie war die erste Symphonie eines solchen Umfangs – und auch die erste Symphonie einer neuen Art. Mit der Eroica nämlich beginnt die Gattung der Symphonie zum kompositorischen Hauptwerk zu werden – zum Bekenntnis, zum Innovations-Instrument der Musikgeschichte. Beethoven geht diesen Schritt sehr bewusst, als wäre es seine historische Aufgabe, die neue, revolutionäre Zeit in die Musik zu übersetzen. Schon seine Themen sind unkonventionell: entwicklungsfähige, knappe Gedanken oder gleich mehrteilige Themenkomplexe. Sein 3. Satz ist kein harmloses Menuett mehr, das vom Publikum am Ende auch getanzt wird, sondern ein anspruchsvolles Scherzo. Nicht nur im äußerlichen Umfang, auch in der innerlichen Struktur wachsen die Sätze mächtig an. Selbst das Orchester wird immer größer. Jede neue Symphonie Beethovens will nun die musikalische Sprache vorantreiben.

Der erste Satz der Eroica hält sich gar nicht erst mit einer Einleitung auf: Wir sind sofort mittendrin. Aber trotz seines ausgesprochen machtvollen, kämpferischen Charakters besitzt der Kopfsatz doch einen besonderen Charme. Den verdankt er dem an dieser Stelle ungewohnten Dreivierteltakt, der auch noch die dramatischste Geste beschwingt wirken lässt. Der „Held“ der Eroica ist eben eine wahre Lichtgestalt! Dennoch rüttelt der erste Satz mehrfach auch an den harmonischen Konventionen der Zeit. Das folgende Adagio bietet dann statt anrührender Melancholie den tiefernsten, fast trostlosen Begräbnismarsch. Angeblich ließ sich Beethoven dabei von Trauerzeremonien der französischen Revolutionäre inspirieren. Dramatische Dynamikwechsel kennzeichnen das Scherzo. Im Finale, das viele leise und differenzierte Stellen hat, wird die motivische Verwandtschaft der Eroica mit Beethovens „Prometheus“-Ballett am deutlichsten. Prometheus – das ist der mythische Name jenes Helden der neuen Zeit, dem die Symphonie gewidmet ist.

Der Übergang von der Durchführung im ersten Satz zur Themen-Reprise ist in besonderer Weise berühmt geworden. Hier kollidieren die Töne g und as, hier provoziert der Komponist mit gezielter Dissonanz. Mehrere spätere Interpreten fühlten sich sogar berufen, den Avantgardisten Beethoven an dieser Stelle zu „korrigieren“. Überhaupt fand so mancher, dass die Freiheiten und Neuerungen der Eroica zu weit gingen. Als „grell“, „bizarr“ und „regellos“ beschrieben Zeitgenossen die 3. Symphonie. Am Prager Konservatorium durfte sie 40 Jahre lang nicht aufgeführt werden. Man hielt sie dort für eine Gefährdung der Sitten.

© 2017, 2020 Hans-Jürgen Schaal


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