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Instrumente der Welt

Bei diesem „Klavier“ sind die „Tasten“ zugleich die „Saiten“. Mindestens fünf Lamellen oder Zungen sind beim Daumenklavier üblich – es können aber bis zu 56 sein, die dann in mehreren Registerreihen übereinander liegen. Man zupft sie tatsächlich mit den Daumen an, außerdem mit den Zeigefingern, und zwar mit Fingernägeln und Fingerkuppen. Das Daumenklavier ist vielleicht das afrikanischste aller Instrumente – ohne Vorgänger oder Parallelen auf anderen Erdteilen.

Das Daumenklavier (Kalimba, Mbira, Sanza usw.)
Des Wanderers Freund
(2015)

Von Hans-Jürgen Schaal

Südlich der Sahara findet man es in vielen Gebieten, weit voneinander entfernt, in West-, Zentral-, Süd- und Ostafrika, bei ganz unterschiedlichen Stämmen und Völkern und unter ganz verschiedenen Namen. Timbili heißt es in Kamerun, Mbira in Simbabwe, Kadongo in Uganda, Nsansi in Mosambik, Kalimba in Malawi. In Tansania firmiert es auch als Luliimba, im Kongo als Likembe oder Gibinji. In Südafrika kennt man es als Deza, in Burkina Faso als Kone. Die Musikwissenschaftler bevorzugen den Namen „Sanza“ oder reden überhaupt von einem Lamellophon oder Zupf-Idiophon. Im Musikalienhandel heißt es meist Kalimba oder Mbira. Um da Verwirrungen vorzubeugen, ist der Begriff „Daumenklavier“ doch recht sinnvoll. Er mag veraltet und kolonialistisch sein, aber diskriminierend ist er nicht.

Die Lamellen des Daumenklaviers bestehen traditionell aus Metall, Bambus, Baumrinde, Schilfrohr oder Palmstengel. Im heutigen Afrika verwendet man dafür schon auch mal Teelöffel oder umgeschmolzene Sesselfedern und Fahrradspeichen. Befestigt sind die Zungen auf einem kleinen Resonanzkästchen, das aus Holz oder Bambus gefertigt wird. Auch Schalen, halbe Kalebassen, Schildkrötenpanzer, selbst Plastikgefäße dienen als Resonanzkörper. Gestimmt wird das „kleine afrikanische Klavier“ sehr unterschiedlich, je nach der vom jeweiligen Dorf bevorzugten Tonalität. Zungen, deren Töne dissonieren, liegen in der Regel weit auseinander. Gelegentlich werden Metallmanschetten, Schneckenhäuser oder auch Kronkorken an den Zungen befestigt, um einen „klirrenden“ Klang zu erhalten. Moderne Daumenklaviere werden heute auf der ganzen Welt gefertigt, meist unter dem Produktnamen „Kalimba“. Es gibt auch besondere Varianten wie die Array Mbira mit ihren 150 Lamellen oder die Sansula, die mit einer Rahmentrommel kombiniert ist. Auf Kuba ist die Marimbula (Rhumba-Box) gebräuchlich.

In Afrika findet das Daumenklavier in verschiedenen Ensembles Verwendung – beispielsweise zur Begleitung von Chorgesang oder satirischen Liedern oder im Duett mit dem Xylophon. Die Polyrhythmen, die beim gemeinsamen Musizieren mehrerer „Daumenpianisten“ entstehen, wurden gelegentlich mit dem Effekt eines Jazz-Vibraphons verglichen. Das Daumenklavier gilt zudem als „des Wanderers Freund“: Wer weite Fußreisen antritt oder als Nachtwächter in den Städten arbeitet, hat es gerne zur Entspannung und Kurzweil bei sich. Dahinter verbirgt sich möglicherweise der traditionelle Glaube, dass die sanften Klimpertöne vor bösen Geistern schützen. Bei manchen Ethnien besitzt das Daumenklavier noch heute eine wichtige rituelle Funktion. Beim Bantu-Stamm der Lemba in Südafrika zum Beispiel symbolisiert die „Deza Sanza“ den Schöpfungs-Mythos: Der Kalebassen-Resonator ist der Weltschoß, die Lamellen stehen für Männer und Frauen, der Zupfklang symbolisiert Geburt. Beim Fruchtbarkeitstanz ruft das Instrument die guten Geister der Ahnen, die in die Tänzer eindringen sollen.

Einen ganz besonderen Stellenwert hat das Daumenklavier bei den Shona in Simbabwe. „Mbira“ heißt dort nicht nur das Instrument, sondern auch die Musik, die darauf gespielt wird: Sie soll mehr als tausend Jahre alt sein und ein Repertoire von Hunderten von Stücken umfassen. Die Mbira-Musik der Shona kann angeblich all die Dinge vollbringen, die wir gewöhnlich „Voodoo“ nennen: Sie soll heilen und böse Geister vertreiben, den Regen herbeiholen oder ihn abstellen. Kein Wunder, dass die Mbira zu Kolonialzeiten als Teufelszeug galt und von der Kirche verboten war. Seit der Unabhängigkeit (1980) erlebt das Instrument in Simbabwe eine gewaltige Renaissance. Zahlreiche Künstler des Landes haben national und international als Mbira-Solisten Karriere gemacht – allen voran Stella Chiweshe, die ihre „Mbira dza vadzimu“ (mit mehr als 20 Eisenlamellen in zwei Reihen) auch gerne mit Gitarren kombiniert. Außerhalb Afrikas haben der Soulmusiker Maurice White (Earth Wind & Fire) und der Jazzmusiker Collin Walcott (Oregon, Codona) Daumenklaviere schon in den 1970er Jahren verwendet. Auch bei Rockbands (Genesis, King Crimson) und in Filmproduktionen („Aliens“, „Edward mit den Scherenhänden“) waren sie zu hören.

© 2015 Hans-Jürgen Schaal


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