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Entstanden ist er zu Ehren eines Regiments, dessen Kampfeinsatz durchaus fragwürdig war. Dann wurde er auch noch zum Auftrittsmarsch Adolf Hitlers erkoren. Heute gefällt der Badonviller-Marsch vor allem der rechtsradikalen Szene.

Der Badonviller-Marsch
Dunkle Kapitel deutscher Geschichte
(2015)

Von Hans-Jürgen Schaal

Gegen das Musikstück selbst lässt sich ja wenig sagen. Die Melodie mit den hochfahrenden Quarten und den Vierteltriolen verwendet eingangs die Töne des D-Dur-Dreiklangs, dann wird tiefer sequenziert in der Paralleltonart h-Moll. Es folgen eine chromatisch aufsteigende Linie über rasch wechselnde Akkorde und die Rückkehr über e-Moll und A7 zu D-Dur – das sind die ersten 16 Takte. Das Stück ist sauber komponiert, eine ordentliche Arbeit, aber sicherlich kein Geniestreich und bestimmt nicht „der beste Marsch der Welt“, wie die ewiggestrigen, verblendeten Rechtsradikalen so gerne behaupten. Wer das Stück hören will, findet es mühelos im Internet – meist zusammen mit politisch höchst unappetitlichen Anpreisungen und mit Bildern, die unverhohlen Krieg, Wehrmacht und Nazitum verherrlichen. Noch im Sommer 2013 sollte der Badonviller-Marsch bei einer NPD-Kundgebung in Münster erklingen, die Polizei verbot die Aufführung, aber das Verwaltungsgericht hat das Verbot später für rechtswidrig erklärt. Begründung: Der Badonviller-Marsch sei zwar „historisch belastet“, störe aber nicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Vor 60 (!) Jahren glaubte das Amtsgericht in Nürnberg, ein salomonisches Urteil zu fällen. Sieben wahrscheinlich harmlose Blasmusiker hatten auf einer Kirchweih’ den „Badenweiler-Marsch“ gespielt und waren wegen „groben Unfugs“ angezeigt worden. Das Amtsgericht von 1955 sprach sie frei – mit der Begründung, dass es sich hier keineswegs um Adolf Hitlers Lieblingsmarsch gehandelt habe, sondern um politisch sauberes bayerisches Kulturgut. Schließlich sei der Badonviller-Marsch ein „Marsch der alten bayerischen Armee, die tausend Jahre lang von der Schlacht auf dem Lechfeld bis zur Frühjahrsoffensive 1918 stets tapfer, anständig und ritterlich gekämpft hatte und nie zur Eroberung fremder Länder und Unterdrückung fremder Völker, sondern stets nur zur Verteidigung ihres Heimatbodens ausgezogen war“. Nach Ansicht der Amtsrichter sollten sich alle Bayern (und Franken) darüber empören, „dass ein nichtbayerischer Halbzigeuner aus der Hausierersippe der Schicklgruber diesen Marsch, der eine Erinnerung an eine schneidige Waffentat der alten bayerischen Armee hochhält, für seine das ganze deutsche Volk zum Gespött der übrigen Welt machenden Hanswurstiaden, genannt Führergroßkundgebungen, missbrauchen konnte“. Und weiter: „Wenn der Marsch von demokratischen Organisationen gespielt würde, würden rechtsradikale Kreise sehr schnell die Freude an ihm verlieren.“ Der Badonviller-Marsch – nur die Hommage an eine ritterliche, anständige, schneidige Waffentat zur Verteidigung des Heimatbodens? Im Ernst?

Badonviller und der Erste Weltkrieg

Komponiert wurde der Marsch 1914 von Georg Fürst (1870 bis 1936), einem gelernten Militärtrompeter aus Mittelfranken, der seit 1911 das Musikkorps des Königlich-Bayerischen Infanterie-Leibregiments leitete. Die Komposition von Märschen war Fürsts Spezialität, aber immerhin schrieb er auch ein paar nichtmilitärische, etwa den FC Bayern-Marsch und einen Bayrischzeller Skiclub-Marsch. Am 12. August 1914, gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs, hatte sich Fürsts Regiment im Gefecht um das Dorf Badonviller (Lothringen) besonders hervorgetan. Zu Ehren dieser Waffentat, die in Bayern als schneidiger Heldenakt gesehen wurde, entstand Fürsts berühmtester Marsch. Doch es ist durchaus fraglich, ob sich die bayerischen Soldaten tatsächlich heldenhaft benommen haben. Nach dem Sturmangriff auf Badonviller, der auf beiden Seiten viel zu viele Tote forderte, wurden auch Zivilisten gefangen genommen und zum Teil hingerichtet. In Frankreich steht der Name Badonviller für eine der ersten deutschen Gräueltaten im Ersten Weltkrieg.

Überhaupt sollte man nicht vergessen, wie dieser Krieg zustande kam. Seit der Reichsgründung 1871 hatten Deutschlands verblendete Staatslenker von einer zukünftigen „Weltmachtstellung“ ihres Landes geträumt. Ihre machthungrige Außenpolitik mit ständiger Aufrüstung, territorialen Ansprüchen, großspuriger Rhetorik und grausamen Kolonialgemetzeln kannte gar keine andere Perspektive als den Krieg mit den Nachbarn. Und diese wiederum sahen keine andere Wahl, als sich gegen den Aggressor in spe zu verbünden. Das deutsche Politikprogramm hieß „Präventivkrieg“: Krieg führen, bevor es die anderen tun. Die kommende militärische Auseinandersetzung wurde in Deutschland geradezu herbeigesehnt, als könne der Krieg alle innenpolitischen Probleme lösen, als wäre er ein „reinigendes Bad“. Der Kaiser schimpfte sogar über „das ewige Betonen des Friedens“ – man wollte keinen Frieden mehr!

Als der Thronfolger Österreich-Ungarns im Sommer 1914 einem Attentat zum Opfer fiel, hielten die deutschen Politiker und Militärs den Zeitpunkt für gekommen. Österreich griff Serbien an, Russland kam Serbien zu Hilfe, daraufhin erklärten die Deutschen erst Russland und dann dem Russland-Verbündeten Frankreich den Krieg. Einer Strategie folgend, die über Jahrzehnte gehegt worden war („Schlieffen-Plan“), marschierten die deutschen Truppen über das neutrale Belgien nach Frankreich ein – daher musste auch Großbritannien ein Ultimatum stellen. Und was sagte daraufhin der deutsche Kaiser? „Mitten im Frieden überfällt uns der Feind.“ – Diese Geschichtsklitterung teilte wohl auch das Nürnberger Amtsgericht von 1955, nach dessen Ansicht die bayerische Armee „nie zur Eroberung fremder Länder und Unterdrückung fremder Völker, sondern stets nur zur Verteidigung ihres Heimatbodens“ ausgezogen sei.

Hitlers Auftrittsmarsch

Die Geschichte mit den erschossenen Zivilisten und dem Angriff auf Lothringen lag von Anfang an als dunkler Schatten über dem Badonviller-Marsch. Aber es kam noch schlimmer für das kleine Musikstück. Ausgerechnet Adolf Hitler, der größte Verbrecher der Weltgeschichte, erkor Fürsts Komposition zu seinem Lieblingsmarsch. Dabei gefielen Hitler doch sonst nur Musikwerke, in denen mit Donner und Pathos die ganze Welt zugrundegeht – etwa das Finale der „Götterdämmerung“, „wenn in Bayreuth die Götterburg unter dem musikalischen Aufruhr brennend in sich zusammensank“ (Joachim Fest). Andererseits: Hört man den Badonviller-Marsch in einem bestimmten Tempo und mit wenig Verzierung, dann verliert er manches von seinem schmissigen, vitalen Ton. Die markanten Quarten, die angeblich vom Hupen der Sanitätswagen angeregt waren, können dann recht schicksalsschwer und dramatisch wirken. Fast wie in Wagners „Walkürenritt“, der ebenfalls in D-Dur beginnt.

Übrigens durfte der Badonviller-Marsch in der Nazizeit nicht mehr so heißen, sondern wurde flugs germanisiert zum „Badenweiler-Marsch“. Man hörte dieses Musikstück praktisch bei allen offiziellen Auftritten und Kundgebungen Hitlers, auch in der „Wochenschau“ wurde es den Filmszenen unterlegt. So sehr hat man diesen Marsch damals mit dem Reichsführer identifiziert, dass es einem Missbrauch und Sakrileg gleichgekommen wäre, hätte man den „Badenweiler“ gespielt, ohne dass Hitler zugegen war. 1939 legte eine Polizeiverordnung fest, dass der Badenweiler-Marsch „nur bei Veranstaltungen, an denen der Führer teilnimmt, und nur in seiner Anwesenheit öffentlich gespielt werden“ dürfe. Auch in der Wahrnehmung des Auslands gehörten sie einfach zusammen: der Badenweiler und der Braunauer. Noch heute werden Film-Dokumentationen über die Nazizeit regelmäßig mit Fürsts bayerischem Marsch von 1914 unterlegt.

Verboten oder nicht?

Weil der „Badonviller-Marsch“ so eng mit Hitlers Auftritten assoziiert wird, darf er heute in Deutschland bei offiziellen Anlässen von den Militär- und Polizeikapellen nicht gespielt werden. Bereits bei der Gründung der Bundeswehr 1956 wurde dies durch eine „fachdienstliche Anweisung“ geregelt. Eine Ausnahme bilden didaktische Konzerte, zum Beispiel Veranstaltungen zur Geschichte der Marschmusik. Der in der Nazizeit gebräuchliche Name „Badenweiler-Marsch“ muss dabei aber vermieden werden. Wohlgemerkt: Der Badonviller-Marsch ist in Deutschland keineswegs verboten. Es steht dem Leiter jeder Feuerwehrkapelle und jedes Musikvereins frei, ihn ins Programm zu nehmen. Allerdings sollte man sich der historischen Belastung bewusst sein und die Aufführung entsprechend moderieren. Als die Schützenbrüder von Langenfeld (Rheinland) bei einer Feier 2008 den Badonviller-Marsch spielen ließen, empörten sich einige Anwesende zu Recht über so viel „Geschichtsvergessenheit“. Eine Politikerin der Grünen mahnte: „Der Badonviller-Marsch löst bei Zeitgenossen unweigerlich Erinnerungen an das NS-Regime aus. Es ist eine Provokation der Opfer, ihn zu spielen.“

Im Ausland ist der Badonviller-Marsch erstaunlich beliebt. US-Marinebands und andere militärische und zivile Blaskapellen haben das Stück bis heute im Repertoire. Die chilenische Marine singt sogar einen Text dazu: „Naval, naval, naval, que vas a la pista a luchar...“. Gleich nach dem Krieg war der Marsch auf amerikanischen Schallplatten zu hören, die mit O-Tönen die historische Nazizeit dokumentieren sollten. Solche Platten wurden in den 1950er Jahren auch nach Deutschland importiert und fanden hier gerade wegen des Badonviller-Marschs guten Absatz. Weil auf diesen „History Records“ aber auch NS-Propaganda dokumentiert war, schritt damals der Staatsanwalt ein.

© 2015, 2022 Hans-Jürgen Schaal

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