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Vor fünf Jahren starb Jon Lord, der Mitbegründer und langjährige Keyboarder von Deep Purple. Lord erfand nicht nur die Hardrock-Orgel – er war ein Grenzgänger zwischen den Genres. Noch in seinen letzten Jahren spielte er Blues mit den Hoochie Coochie Men und komponierte für klassische Orchester.

Zwischen den Genres
In memoriam Jon Lord (1941-2012)
(2017)

Von Hans-Jürgen Schaal

1982 – Deep Purple existierten gerade mal nicht – entstand Jon Lords viertes Solo-Album – sein erstes ohne Sinfonieorchester. Before I Forget bietet eine wildbunte Sammlung von straighten Rocksongs, sentimentalen Balladen und virtuosen Instrumentals. Keyboards aller Art dominieren, die Mitspieler und Sänger wechseln, aber beeindruckend ist die Liste der beteiligten Drummer: Ian Paice, Simon Phillips, Cozy Powell. Die seltsame Mixtur des Albums dokumentiert eindrucksvoll Jon Lords „leicht schizophrene musikalische Persönlichkeit“ – so beschrieb er selbst sein Grenzgängertum. Den Höhepunkt auf „Before I Forget“ bildet das Stück „Bach Onto This“, eine mitreißend rockende Acht-Minuten-Version von Bachs Toccata und Fuge d-Moll (BWV 565).

Schon in der diffusen Anfangszeit von Deep Purple (1968/69) war Jon Lord der Band-Beauftragte für „progressive“ Brückenschläge in Richtung Klassik, Psychedelik, Jazz und Blues. Damals coverten Deep Purple noch aktuelle Hits, und Jon Lords Aufgabe war es, „ein bisschen Beethoven in die Beatles-Songs reinzuknallen“. Man zitierte Bach, de Falla, Rimsky-Korsakow, Richard Strauss oder Tschaikowsky, der Keyboarder mobilisierte sogar ein Streichquartett („Anthem“), ein Cembalo („Blind“) und ein ganzes Kammerorchester („April“). Lord war der Kulturbeflissene, der musikalisch Gebildete, der Nestor der Band. Spätere Mitglieder von Deep Purple erlebten ihn als „überraschend sympathisch und genial“ (Roger Glover) und „echten Gentleman“ (Tommy Bolin).

Als Jazzfan liebte Jon Lord den Organisten Jimmy Smith und die Klavierspieler des Boogie. Und natürlich kannte er Dave Brubecks Aufnahmen mit den New Yorker Philharmonikern unter Leonard Bernstein – sie hatten 1960 die „Dialogues for Jazz Combo and Orchestra“ eingespielt. Diesem Vorbild folgend entstand für Deep Purple 1969 Jon Lords „Concerto for Group and Orchestra“. Der britische Dirigent und Komponist Malcolm Arnold unterstützte das revolutionäre Crossover-Projekt: „Kein anderer Popmusiker wäre in der Lage gewesen, so ein Werk zu komponieren“, meinte Arnold generös. Lord bekannte: „Hätte er gesagt, das sei Mist, wäre die ganze Sache gestorben.“ Den eher unwilligen Musikern des Royal Philharmonic Orchestra hielt Arnold sogar manche Standpauke: „Ihr spielt wie ein Haufen Arschlöcher! Ihr seid nicht würdig, mit diesen Männern [den Musikern von Deep Purple] gemeinsam auf der Bühne zu stehen!“ Widerstand gegen das Rock-meets-Classic-Vorhaben kam aber auch aus der Band: Die beiden „Diven“ Ritchie Blackmore (Gitarre) und Ian Gillan (Gesang) ließen den Auftritt in der Royal Albert Hall beinahe platzen.

Der Konzertmitschnitt von 1969 – Deep Purples viertes Album – wurde legendär. Die Partitur aber ging bald danach verloren und wurde erst 30 Jahre später (durch den Komponisten Marco de Goeij) auf der Basis der alten Aufnahme neu geschaffen. Daraufhin erlebte das „Concerto“ rund 70 Aufführungen in Europa, den USA, Australien, Südamerika und Japan – meist unter Mitwirkung von Jon Lord persönlich. Am Ende (2012) entstand sogar eine Studioaufnahme unterm Dirigat von Paul Mann, das Album Concerto. Hier kann man Lords Großwerk endlich so richtig genießen: die „Battle“ zwischen Band und Orchester im ersten Satz (mit Gitarrensolo), das bluesige Andante mit Gesang und 5/4-Takt (Brubeck lässt grüßen), die Verschmelzung der Ensembles im Schlussatz (mit Drumsolo) sowie die diversen stilistischen Anklänge an Dvořák, Holst, Sibelius, Tschaikowsky und – natürlich – Malcolm Arnold. Die Akteure sind diesmal nicht nur willig, sondern begeistert bei der Sache, darunter die Gitarristen Steve Morse und Joe Bonamassa. An der Hammondorgel: Jon Lord. Es war sein letztes Projekt.

Bald nach der ersten Aufführung des „Concertos“ (1969) folgte einst das Album „Deep Purple In Rock“, die Erfindung des Hard Rock – ein klares Statement der Band, dass sie in eine andere Richtung gehen wollte. Jon Lord versprach, Deep Purple nicht mehr mit Crossover-Projekten zu belästigen: „Gemini Suite“ (1971) und „Windows“ (1974) verantwortete er unter eigenem Namen. Sein schönstes Rock-meets-Classic-Projekt aber erschien 1976, das Album Sarabande. Hier schraubte Lord seine „modernen“ Orchester-Ambitionen deutlich zurück und besann sich auf schöne, tonale, stimmungsvolle Hauptmelodien mit orchestralen Ausstaffierungen und Episoden. Angeregt von barocken Suiten, besteht das Album aus sechs „Tanzstücken“ – sowie einer pompösen Ouvertüre und einem Potpourri-Finale. Es gibt Anklänge an Orient („Bourée“) und Cocktail-Jazz („Pavane“), es gibt Klavierromantik („Aria“) und klassische Gitarre („Pavane“), dazu barocke Einschübe, Synthesizer-Features, Streicherkitsch, Bach-Zitate, E-Gitarren-Soli und viel Percussion – Jon Lord kannte keine stilistischen Grenzen. Unter den beteiligten Solisten waren übrigens der spätere Police-Gitarrist Andy Summers und der Schlagzeuger Pete York. Erstmals aufgeführt wurde die komplette Suite erst 2010.

© 2017, 2023 Hans-Jürgen Schaal


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