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Komplexe Themen, hyperaktive Abläufe, wechselnde Rhythmen, stilistische Brüche, kluge Improvisationen... Wenn Rockmusik so spannend ist – wer braucht da noch Vokalrefrains?

Progressiv instrumental
Drei Rockbands ohne Sänger
(2020)

Von Hans-Jürgen Schaal

„Ahvak“ ist hebräisch und bedeutet „Staub“. Das Sextett Ahvak aus Israel machte nur ein einziges Album (2004) – aber das hat es in sich. Produziert wurde es von Dave Kerman, dem Schlagzeuger der Band, und Udi Koomran, ihrem Elektronik-Fachmann. Man kennt die beiden auch im Zusammenhang mit Formationen wie Thinking Plague (USA) und Univers Zéro (Belgien). Die Richtung ist also schon mal klar: Es geht hin zum RIO (Rock in Opposition), zum Zeuhl, zum Avant-Prog. „Frickelig, schräg, zeuhlig-repetitiv und wüst“, so beschreibt ein deutscher Rezensent das Album „Ahvak“ (Cuneiform Rune 185). In diesen sieben Stücken passieren ständig mehrere Dinge gleichzeitig, unter Verwendung bizarrer Keyboardsounds, atonaler Melodien, experimenteller Verschränkungen und fantasievoller Psychedelik. Es gibt reine Geräuschpassagen, nervöse Brüche in Stil und Charakter, dissonante Experimente, auch Flöten- und Stabspieleinsätze. Kritiker verglichen Ahvak mit finsteren Bands wie Shub Niggurath, aber auch mit moderner Klassik von Béla Bartók. Polka- und Klezmer-Elemente kann man ebenfalls blitzartig heraushören sowie eine große Portion Arabisches und Türkisches (mit Darbuka und Baglama). Dieses Album ist ein kostbares Meisterwerk eines tonal befreiten Avant-Prog. Neben Koomran gehören übrigens noch zwei richtige Keyboarder zur Band, die beide konservatoriumsgestählt sind, Udi Susser und Roy Yarkoni – sie haben fast die komplette Musik geschrieben. Der Gitarrist Yehuda Kotton steuerte das kurze, kaleidoskopische Kammerstück „Melet“ bei.

Aus England kommt das Trio Troyka – nicht zu verwechseln mit den kanadischen Troyka (Debüt: 1970) oder den norwegischen Trojka (Debüt: 2017), übrigens alles Progrock-Bands. Hinter dem britischen Trio stehen drei Musiker, die sich selbst eher der Jazzszene zuordnen. Chris Montague (elektrische Gitarre), Kit Downes (elektrische Orgel) und Joshua Blackmore (Schlagzeug) spielen eine Art Math-Rock mit Jazzdrums – eine virtuose, sperrige, nervöse Musik. Die eng gestrickten Themenkomplexe auf ihrem zweiten Album „Moxxy“ (Edition EDN 1033) dauern nicht selten allein schon zwei bis drei Minuten. Kantige Rock-Grooves treffen dabei auf Improvisationen von jazziger Klugheit. Ruhige, minimalistische Passagen kippen in donnernde Riffs um – und umgekehrt. Die Kritiker assoziieren bei Troyka sowohl Progbands wie King Crimson und Pink Floyd als auch Jazz-Acts wie Tim Berne und Wayne Krantz. Sogar Vergleiche mit Frank Zappa, Aphex Twin, Tortoise, Bernard Herrmann, Jimi Hendrix und Flying Lotus hat man schon gelesen. Es stecken einfach viele Inspirationen in dieser Musik – Brüche, Wandlungen und Gegensätze sind bei Troyka elementar. Der Opener „Rarebit“ zum Beispiel sprintet hyperaktiv durch die Motive, „Crawler“ dagegen bietet eine surreal-schummrige Orgelballaden-Mood, „Zebra“ wiederum startet mit einem verwinkelten Bluesrock-Riff. Ein Kritiker schrieb, die Band klinge, „als würde Acid Jazz von Free Jazzern auf Speed gespielt“. Manchmal klingt sie aber auch, als hätte Olivier Messiaen für ein Rocktrio komponiert.

Die Kinky Wizzards sind ebenfalls ein Trio und ebenfalls im Vereinigten Königreich zu Hause, genauer gesagt: in Wales. Doch anders als die drei von Troyka kommen „Riffy“ Elliott (Gitarren, Moog), „Miffy“ Griffiths (E-Bass) und „Jiffy“ Griffiths (Drums) vom harten Rocksound her. Einige ihrer Riffs – oft mit gedoppelter Gitarre – haben Black-Sabbath- und Led-Zeppelin-Qualität, ihre Grooves bedienen sich bei klassischen Hardrock- und Heavy-Metal-Klischees. Durchbrochen wird der stilechte Rock-Gestus immer wieder von Funk- und Swingpassagen, auch Synthesizer-Improvisationen und anderen ironisch-luftigen Episoden. Ihr zweites Album „Quirky Musings“ (White Knight CD 3117) ist ein Grenzgang zwischen den Genres, aber eben durchgängig im Sound eines elektrischen Rocktrios. Bei den straighten, harten Momenten fühlen sich Kritiker an Uriah Heep oder Rush erinnert, an den virtuoseren Stellen an die Aristocrats, Frank Zappa und das Mahavishnu Orchestra. Das zentrale Stück „Door Dancing Penny Collector“ setzt sogar auf Swingmelodik und ein Gast-Saxofon, gespielt vom Kanadier Terry Quinney. Es gab Hörer, die so sehr auf den rockigen Sound fixiert waren, dass sie die vielen Stil- und Rhythmusbrüche gar nicht richtig registrierten. Ganz anders dieser Kollege (musikreviews.de): „Bemerkenswert, wie die Musik auf ‚Quirky Musings‘ allein durch Ideenreichtum und kombinatorischen Mut einen progressiven Charakter bekommt, ohne ein einziges der üblichen Prog-Werkzeuge anzurühren.“

© 2020, 2023 Hans-Jürgen Schaal

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