Die steigende Massenproduktion der Erhu in China beschäftigt die Tierschützer. Denn zu den Wahrzeichen der chinesischen Schoßgeige gehört die Schlangenhaut, die an der Vorderseite des Resonanzkästchens als Membran dient und den besonderen Klang des Instruments ausmachen soll. Seit einigen Jahren darf dafür offiziell nur noch die Haut solcher Pythons verwendet werden, die nicht wild, sondern auf Zuchtfarmen aufgewachsen sind. In einer „Eco“-Version der Erhu ist die Schlangenhaut bereits durch eine Polyester-Membran ersetzt.
Instrumente der Welt: Erhu
Der singende Python
(2014)
Von Hans-Jürgen Schaal
Die Geschichte von Hua Yanjun (1893-1950) erinnert an die alten Bluesmusiker im Süden der USA. Erblindet und besitzlos zog er viele Jahre lang durch die Stadt Wuxi und lebte von der Straßenmusik. Besonders sein Spiel auf der Erhu, der chinesischen Kniegeige, bewegte die Menschen und machte den „blinden Abing“, wie man ihn nannte, zum Lokalhelden. Denn die Erhu war als Solo-Instrument damals nicht üblich, die Schönheit ihres Tons eine Offenbarung. Weil der Volksheld Abing auch das Zeitgeschehen kommentierte, erhielt er jedoch eines Tages Berufsverbot. Erst kurz vor seinem Tod, als er schon jahrelang nicht mehr gespielt hatte, besuchten ihn zwei chinesische Musikwissenschaftler und nahmen ein paar Erhu-Stücke von ihm auf – drei von Hunderten, die sein Repertoire umfasste. Immerhin wurde Hua Yanjun auf diese Weise landesweit bekannt und ein Symbol für das Talent, das im Volke steckt. Dank ihm und einigen anderen Pionieren entwickelte sich die Erhu im 20. Jahrhundert zu Chinas populärstem Instrument.
Dabei ist die chinesische Schoßgeige eigentlich eine sehr alte Erfindung. Ihre Vorläufer sollen schon vor dem Jahr 1000 aus Zentralasien nach China gekommen sein. Man zählt die Erhu zur umfangreichen Familie der „huqin“, der Hu-Instrumente, wobei „hu“ einfach ein Sammelbegriff für die asiatischen Nomadenvölker ist. Dutzende ähnlicher Geigentypen findet man nicht nur in China, sondern auch in den umliegenden Ländern wie Kambodscha, Vietnam, Thailand, Korea oder Japan. Auch die mongolische Pferdekopfgeige gehört dazu, selbst in Indien und Ostafrika finden sich Ableger. Der Name „érhu“ bedeutet tatsächlich nichts anderes als „zweisaitiges (oder: zweithöchstes) Hu-Instrument“. Im 19. Jahrhundert war die Erhu unersetzlich zur Begleitung der chinesischen Oper. Noch heute spielt sie im chinesischen Orchester die Hauptrolle, häufig in Dutzendstärke, ganz ähnlich wie die Streicher im westlichen Orchester.
Wie eine Violine gespielt wird, wissen wir alle, aber eine Erhu ist doch noch etwas anderes. Zunächst einmal wird die Erhu nicht ans Kinn gedrückt, sondern man stellt sie sich im Sitzen auf den linken Oberschenkel und hält sie dort senkrecht. Der Hals des Instruments, an dem die Saiten befestigt sind, ist ein gerader Stock (qín gang), etwa 80 Zentimeter lang und gefertigt aus hartem Holz, zuweilen von einem alten Möbelstück. Daran befestigt sind nicht vier Saiten, sondern nur zwei (D und A), traditionell aus Seide, heute meist aus Stahl. Sie entsprechen den mittleren Saiten der Violine und erlauben einen Tonumfang von rund drei Oktaven. Die Erhu besitzt kein Griffbrett. Das heißt: Die Saiten werden „in der Luft“ gegriffen, immer beide zugleich, wobei der Hals des Instruments dem Daumen der Greifhand als Halt dient. Gestrichen wird mit einem Bogen, der so eingehängt ist, dass das Rosshaar zwischen den beiden Saiten liegt. Um die D-Saite anzustreichen, muss der Spieler daher den Bogen beim Streichen zusätzlich zu sich herziehen, für die höhere A-Saite von sich wegdrücken. Den Resonanzkörper bildet ein scheinbar viel zu kleines, meist sechs- oder achteckiges Holzkästchen (qín tong) am unteren Ende des Stocks. Nach hinten (zum Spieler hin) ist es offen, vorne mit der berühmten Pythonhaut gedeckt.
Der „Sound“ dieses Schlangenkästchens ist unverkennbar – hell, singend, ein wenig klagend und von großer Eindringlichkeit. Die Erhu kann eine menschliche Stimme ebenso nachahmen wie Vogelrufe und andere Naturlaute. Zu den traditionellen Grifftechniken gehören dabei Glissandi, Vibrati und Flageolett, auch Pizzicato-Einsätze sind heute üblich. Seit den Tagen von Hua Yanjun ist ein reiches Repertoire an solistischen Werken entstanden, häufig mit Hackbrett-Begleitung, kleinem Ensemble oder Orchester. Einige der bekanntesten Virtuosen und Virtuosinnen der Erhu lehren heute an Chinas Universitäten und Konservatorien oder arbeiten als Orchestersolisten. Der markante, elegische Klang ihres Instruments hat längst die internationale Musikwelt erobert. Auch der weltberühmte klassische Pianist Lang Lang tritt zuweilen mit einem Erhu-Spieler auf: seinem eigenen Vater Lang Guo-ren.
© 2014, 2023 Hans-Jürgen Schaal
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