NEWS





Zurück

Die studierte Vibrafonistin arbeitet ständig an der Erweiterung ihrer faszinierenden Klangwelten. Im Übungskeller sammeln sich die kuriosen Tonerzeuger. Seit 2014 organisiert Izabella Effenberg in ihrer Wahlheimat Nürnberg auch das Festival „Vibraphonissimo“. Den Kulturpreis der Stadt (2018) hat sie schon.

Izabella Effenberg
Neue Klangdimensionen
(2021)

Ein Vibrafon stand bereits im Flur ihrer Schule in Polen. Als ihr das klassische Klavierüben zu viel wurde, empfahl man ihr dieses bizarre Stabspiel mit seinen drei Oktaven von chromatisch gestimmten Metallplatten, den Resonanzröhren darunter, dem Elektromotor, dem Dämpferpedal. Das Vibrafon, sagte man ihr, sei überhaupt das beste Instrument, das es gibt. Izabella Effenberg erinnert sich: „Ich habe damals angefangen, die ganze Schlagwerk-Familie kennenzulernen. Ich habe viel Bach gespielt, viel Klassik, auch Einzelnes fürs Vibrafon transkribiert.“ Den Jazz-Vibrafonisten Bernard Maseli erwählte sie sich später zum Privatlehrer. „Ich war von seiner offenen Persönlichkeit und seinem freien Spiel beeindruckt. Ich wollte auch so frei sein. Ich mag Swing und konventionellen Jazz, aber ich glaube, dass ich meinen eigenen Weg suchen muss.“ Izabella Effenberg war die erste polnische Musikerin am Jazzvibrafon.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Jazzmusiker neben ihrem Hauptinstrument verwandte Nebeninstrumente haben. Tenorsaxofonisten spielen auch Sopran, Trompeter auch Flügelhorn, Vibrafonisten auch Marimba. Für Izabella Effenberg waren Marimbafon, Xylofon, Glockenspiel, diverse Gongs und Glocken immer selbstverständliche Ergänzungen. Eine besondere Rolle jedoch spielten bei ihr die Crotales – chromatisch gestimmte kleine Messingzimbeln, die zum Instrumentarium von Orchesterperkussionisten gehören. „Ich benutze am Vibrafon ein paar Effekte, zum Beispiel das Anstreichen der Vibrafonplatten mit dem Kontrabassbogen“, sagt Effenberg. „Besonders aber mag ich die Verbindung von Crotales und Vibrafon gleichzeitig – das bildet einen anderen Raum. Vibrafon allein klingt für mich wie Glas, der Klang ist ziemlich kalt, so dass man als Spieler nach seinen Möglichkeiten suchen muss. Mit den Crotales mischt sich das aber sehr schön.“

Einen anderen Raum bilden – oder neue Klang- und Gefühlsräume öffnen: Darin liegt die Stärke dieser metallischen Schlaginstrumente. Ihre Klanglichkeit hat etwas Sphärisches, Körperloses, ihre Spielweise begünstigt aber pulsierende Rhythmen – beides zusammen kann sich zu einem fast hypnotischen Effekt vereinen. Ähnlich wirkt die afrikanische Kalimba, deren Metallzungen (Lamellen) mit den Fingern gezupft werden – man nennt sie daher auch Daumenklavier. Izabella Effenberg verwendet Kalimbas schon lange als Nebeninstrumente, vor allem die Marimbula, eine achttönige Bass-Kalimba.

Auf der Suche nach einem komplexeren Kalimba-Instrument ist sie dann eines Tages im Internet auf die Array Mbira gestoßen, quasi den Rolls-Royce unter den Daumenklavieren. Es ist ein modernes chromatisches Instrument mit einem Tonumfang von fünf Oktaven. Die 150 (!) Lamellen sind nach dem Quintenzirkel angeordnet, immer vier Oktavtöne übereinander. „Man kann fast alles darauf spielen“, sagt Effenberg. „Das Spielgefühl erinnert ans Klavier, ich würde gerne darauf Bach spielen. Aber die Lamellen sind dünn und ihre Anordnung ist ganz anders. Der Klang ist harfen- oder glockenähnlich mit schönen Bässen. Ich merke, dass das Publikum sich auf diesen Klang sehr gut konzentrieren kann.“ Effenberg spielt die Array Mbira seit Mai 2016, frühe Kostproben gab es als Zugabe auf ihrem zweiten Album („Iza“). Der warme Klang begleitete sie auch während der ersten Lebensmonate ihres Sohns Jan. Damals entstand die Musik für ein ganzes Album mit der Array Mbira im Mittelpunkt („Crystal Silence“) – Musik voller Zauber und Dichte, betörend, aber nie naiv. „Man träumt mit offenen Augen“, schrieb dazu der Jazzkollege Lars Danielsson.

Offenbar hat diese Super-Kalimba bei Izabella Effenberg einen besonderen Klang-Appetit geweckt. Das nächste besondere und besonders klingende Instrument kam im Mai 2019 hinzu: eine Glasharfe („Engelsorgel“). Ein polnisches Duo – Anna und Arkadiusz Szafraniec – brilliert auf der Glasharfe seit langem mit klassischer Musik. Bei den beiden bestellte Effenberg ihr Instrument – es sind mundgeblasene Gläser, fixiert in drei langen Reihen. Gestimmt werden diese Gläser nicht mehr durch Wasserbefüllung, sondern durch exakten Schliff. Gespielt wird, indem man mit angefeuchtetem Finger den Glasrand reibt – bei den tiefgestimmten Gläsern langsam, bei den höheren schneller. „Die Hände müssen ganz sauber sein, damit die Gläser richtig ansprechen. Das ist mitten im Konzert oft schwierig. Auch wenn man die Hände zu viel wäscht, das Wasser zu weich ist oder man zu viel geübt hat, kommen die Töne nicht richtig. Bei anderen Instrumenten genügt es zu üben. Hier geht es auch um Wasser, Schmutz und Glück.“ Es ist ein visionärer, traumartiger Klang – er erinnert an Orgelpfeifen.

Als es mit der Pandemie losging und Auftritte bald unmöglich wurden, wuchs Effenbergs Instrumentarium noch schneller. Mit berechtigtem Stolz lädt sie mich ein, im Übungskeller ihre Neuanschaffungen zu bewundern. Jan würde uns gerne hinunterbegleiten, bleibt dann aber doch bei seinem ADAC-Abschleppauto und seinem Stoffhasen. (Pimpi hat an diesem Tag Bauchweh.) Schon im Januar 2020 erwarb Izabella Effenberg ihre Singende Säge – ein Instrument, das im frühen 20. Jahrhundert in Mode war. Im Grunde handelt es sich um einen gewöhnlichen „Fuchsschwanz“, wie ihn Tischler und Heimwerker benutzen, aber mit einem langen Sägeblatt. Die stumpfe Kante wird mit einem Geigenbogen angestrichen – so entsteht der sphärische Ton, der an eine Frauenstimme erinnert. Die Tonhöhe wird durchs Biegen des Sägeblatts verändert.

Gut in Effenbergs spezielles Klangspektrum passt auch die Steelpan (Steeldrum), die sie gebraucht im Februar 2020 erworben hat. Man kennt das Instrument vor allem aus der Musik von Trinidad. Die einzelnen Tonfelder, die ins Feinblech eingehämmert sind, werden mit Schlägeln gespielt. Die Sundrum, eine stimmbare Zungentrommel aus Holz, die über ein Pick-up verstärkt werden kann, kommt aus Schweden. „Die Perkussionistin Marilyn Mazur hat sie mir im Sommer 2020 gezeigt. Sie dachte gleich, dass das Instrument zu mir passen könnte.“ Ähnlich – aber mit Metallzungen – funktioniert die kleine HAPI Drum, die Effenberg schon länger besitzt. Ende 2020 kam dann noch das Waterphone hinzu, ein Instrument für besondere, eher schauerliche Soundeffekte.

Längst ist Izabella Effenberg eine Multi-Instrumentalistin mit ganz eigener Soundwelt und ganz eigener, komplexer Soundfantasie. Doch das Wechseln zwischen den Instrumenten im Konzert oder auch das Spiel auf mehreren von ihnen gleichzeitig ist immer eine Herausforderung. „Jedes Instrument verlangt ein anderes Timing, eine andere Spieltechnik, andere Schlägel, hat eine andere Tonanordnung. Gutes Bühnenlicht ist wichtig.“ Ebenfalls hilfreich ist exakte Körperbeherrschung – Effenberg ist achtmalige polnische Karatemeisterin (Shotokan). Weil aber auch sie an Grenzen stößt, denkt sie darüber nach, einzelne Instrumente per Sample einzusetzen. „Es entsteht eine andere Klangwelt, wenn Glasharfe, Array Mbira, Vibrafon, Crotales und Waterphone gleichzeitig hörbar sind.“ Auf ihrem nächsten Album – es entsteht unter Pandemiebedingungen beim BR in Nürnberg – wird man das nachprüfen können. „Ich möchte in manchen Stücken auch wieder ein großes Marimbafon spielen. Das klingt wunderbar zusammen mit Array Mbira, Waterphone und Percussion.“

© 2021, 2024 Hans-Jürgen Schaal


Bild

10.11.2024
Neue Features auf der Startseite: JAZZ-PORTRÄTS (2) und FACETTEN DES PROGROCK (2)

09.11.2024
NEU bei Adrian Teufelhart: BLACK SABBATH

26.10.2024
China im Konzertsaal (Neue Musikzeitung)

24.10.2024
Über den Bildungsfetisch PISA (Brawoo 10/24)

mehr News

© '02-'24 hjs-jazz.de