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Die zehnte Hörhilfe 7.5.07

Vernon Reid

"Mistaken Identity" (Sony)
Vernon Reid, Don Byron, DJ Logic, Leon Gruenbaum, Curtis Watts, Hank Schroy u.a.

Gefundene Identität
Vernon Reids Kommentare zur Gegenwart

Die kleine Negerfigur auf dem Cover, bunt gewandet mit blauer Gitarre, gibt Rätsel auf. Soll das vielleicht Chuck Berry sein, schwarzer Erfinder des Rock'n'Roll? Oder eher Jimi Hendrix, schwarzer Heros der Hippies, im eklektischen Look der 60er Jahre? Am Ende gar ein weißer Minstrel-Sänger, der sein Gesicht dunkel gefärbt hat und die Schwarzen karikiert? Vernon Reids CD heißt "Mistaken Identity", und der Titel ist wie eine Bildunterschrift: Wie du mich auch einschätzt, du liegst immer falsch.

Das Verwirrspiel ist einem Gitarristen angemessen, dessen Vorbilder – Ornette Coleman, Elliott Sharp, Lou Reed – eine mehr als seltsame Trias bilden. In den frühen 80ern schien Vernon Reid noch ganz Colemans Free Funk verpflichtet: Mit Joseph Bowies Defunkt und Ronald Shannon Jacksons Decoding Society stieg er zum Gitarren-Messias der schwarzen No Wave auf. Dann wandte er sich Avantgardistischem zu, etwa auf der Duo-Platte mit Gitarrenkollege Bill Frisell, einer experimentellen Mischung aus Gitarren-Synthesizer, Drum-Computer, Midi und Banjo. Und schließlich das Engagement in der Black Rock Coalition: Mit seiner Band Living Colour übersprang Reid die Rassenschranke und wurde zum schwarzen Star im weißen Hardrock.

Wir vermuten: Die Figur auf dem Cover ist Vernon Reid selbst. Der Mann, der den Rock schwarz gespielt hat. Der darauf hinwies, daß auch Led Zeppelin ein Teil seiner amerikanischen Wirklichkeit ist. Der seine Band von Mick Jagger produzieren ließ. Und dem nicht selten vorgeworfen wurde, er hätte das schwarze Musikerbe verraten.

Was soll man darauf antworten? Die beste Replik gibt Vernon Reids CD selbst: ein Sound-Labyrinth der 90er Jahre, in dessen verschlungenen Wegen sich alle Forschungen zur musikalischen Tradition totlaufen. Metal-Riffs reiten auf HipHop-Beats, und Don Byrons Jazz-Klarinette sucht sich zwischen Rock-Gitarre, Rap-Talk und Synthesizern neuartige Jagdgründe. Eine artifizielle Instrumentalkunst bohrt sich durch zeitgenössische Materie, und selbst der Spaß am Erfinden neuer Klangerzeuger lebt dabei wieder auf. Solch kreativer Umgang mit Sounds ist in der Microsoft-Ära selten geworden. Nur auf "Mistaken Identity" finden zerhackstückte Blues-Samples und dschungelartige Weltmusik-Klänge noch einen gemeinsamen Nenner.

Dieser Nenner heißt Wirklichkeit. Vernon Reids musikalisches Statement ist vollgepackt mit zitierter Realität, TV-Sequenzen, kleinen Sitcoms und Stapeln aus Samples. Selbst wo alles original scheint, klingt das Knistern nach gescratchtem, geborgtem O-Ton. Dieses Abtauchen in die multimediale Alltäglichkeit ist zugleich Kommentar und Abstandnehmen: So souverän humorvoll kann das nur einer, der längst drüber steht (Stilfragen inklusive). Das belegen auch Vernon Reids Gitarrensoli - widerständig und unberechenbar wie einst jene von Hendrix und Zappa.

Geschrieben 1997. Erstveröffentlichung

©2007 Hans-Jürgen Schaal


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