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Die vierzehnte Hörhilfe 11.6.07

Horace Silver

"Horace Silver and the Jazz Messengers" (Blue Note)
Horace Silver, Kenny Dorham, Hank Mobley, Doug Watkins, Art Blakey

Heute ist Hartford, die Hauptstadt des US-Bundesstaats Connecticut, eine Hochburg der Jazz-Pädagogik. Schon vor 50 Jahren gehörte sie zu jenen Provinzorten im 150-Meilen-Umkreis von New York, in denen man als reisender Jazz-Solist immer eine ordentliche Begleitband finden konnte. Der junge Stan Getz entdeckte in Hartford 1950 drei Locals, die ihn derart beeindruckten, dass er sie auf der Stelle fest engagierte und noch im Dezember mit ins Aufnahmestudio holte. Der Bassist Joe Calloway und der Drummer Walt Bolden sind heute so gut wie vergessen. Der 22-jährige Pianist hieß Horace Silver.

Silver blieb ein Jahr lang bei Getz und fand danach rasch andere Arbeit in New York. Als der Altsaxophonist Lou Donaldson ihn im Oktober 1952 für eine Platten-Session bestellte, dann aber wegen Krankheit ausfiel, nahm der Pianist den Studiotermin unter seine Regie und kam unvermutet zu seiner ersten eigenen Trio-Platte. Im Februar 1954 spielte er bei Art Blakeys Quintett im Birdland, im April war er der Pianist auf Miles Davis’ „Walkin’“, im Herbst stellte er sein erstes eigenes Quartett in Minton’s Playhouse vor. Danach stand fest: Eine eigene Platte mit Bläsern war fällig. Silver wählte dafür den Trompeter Kenny Dorham (30), den Tenoristen Hank Mobley (24), den Bassisten Doug Watkins (20), den Schlagzeuger Art Blakey (35). Blakey brachte den Bandnamen mit, einen, den er in den 40er Jahren mehrfach (ohne großen Erfolg) benutzt hatte: Jazz Messengers. Doch „Horace Silver And The Jazz Messengers“ ist Silvers Platte (er schrieb sieben der acht Stücke): Er war der spirituelle Vater dieser ersten, führenden und ausdauerndsten Combo des Hardbop.

Die Debüt-Aufnahmen der Jazz Messengers vom 13. Dezember 1954 und 6. Februar 1955 markieren den Übergang vom nervösen, abstrakten Bebop in den neuen, schlichteren Stil, der deutlich vom Populären beeinflusst war, von Rhythm’n’Blues und Gospelmusik. Silvers Melodien wechseln nur noch ungern die Tonart, sie lieben die bluesige Pentatonik, die klaren Frage- und Antwort-Formen und die atmenden Pausen. Man empfand diese Themen damals als weltliche Amen-Gesänge, als traditionsverhaftet, schwarz, soulig. Aber da war noch etwas anderes in Silvers Musik, und er selbst hatte dem schon im Vorjahr mit dem Stücktitel „Opus De Funk“ den bleibenden Namen verpasst. „Funky“ war Silvers Art, das Klavier zu traktieren – fast perkussiv, mit vielen „blue notes“, kleinen Ostinati, starkem Offbeat. „Funky“ hatte etwas zu tun mit sympathischem Schmutz, mit dem Geruch nach Erde und Sex. „Funky“ wurde zum Losungswort des Jazz bis weit in die 60er Jahre hinein.

Die Platte beginnt mit „Room 608“, einer lupenreinen Bebop-Nummer, die den stilistischen Ort festhält, von dem die Reise ins Neue startet. Nur das Spiel des Pianisten kündigt an, dass Veränderungen auf der Tagesordnung stehen: mit einer widerspenstig hackenden Linken, einer bluesige Terzen platzierenden Rechten. Mit dem zweiten Stück, „Creepin’ In“, kriecht tatsächlich das Neue herein, um lange, lange Zeit im Jazz zu bleiben. Das Thema ist ein zum 32-Takter modifizierter Slow Blues in kurzen, aber teils großintervalligen Zwei-Takt-Phrasen und mit einem prickelnden Funk-Touch. Der zeitgenössische Liner-Notes-Mann Ira Gitler war überfordert: „Man kann es leichter hören als beschreiben“, meinte er. Auch für die Solisten war das noch ganz neu: Sie tendieren eher zur Ballade als zum Gospel-Shouting.

Doch ein Anfang war gemacht. „Stop Time“, weitgehend eine Blowing-Nummer, hat bereits die charakteristische Schlussphrase b-f-a-b, die dann in „The Preacher“ wiederkehrt (dort in F-Dur). „To Whom It May Concern“ ist eines dieser Staccato-Themen, die zusammen mit der Gospel-Pentatonik fast japanisch klingen. Und gegen Ende der Session ist der neue Stil voll da: „The Preacher“ wurde die inoffizielle Hymne des frühen Hardbop. Ein schlichter 16-Takter in 4-Takt-Phrasen, der über die Dominante und Subdominante zur Tonika zurückfindet, eine Art Kirchenlied mit „old gutbucket barroom feeling“. Jimmy Smith und Gerry Mulligan haben sich den „Preacher“ bald ausgeliehen, Eddie Jefferson und Babs Gonzales haben ihn gesungen, das Stück wurde Pflichtnummer auf allen Partys und Picknicks. Und ganz am Ende der Platte kommt dann noch „Doodlin’“, ein elementarer 12-taktiger Funky Blues mit gewitzter 3-gegen-4-Verschiebung. Das Stück wurde mindestens dreimal betextet und fand sogar Eingang ins Repertoire von Boogie-Pianisten. Aber wie das so ist mit dem Erfolg: Art Blakey reklamierte die Messengers für sich, und sein Artistic Director ging deshalb eigene Wege und gründete das Horace Silver Quintet. So markiert „Horace Silver And The Jazz Messengers“ die Zwillingsgeburt der zwei größten Hardbop-Bands.

Veröffentlicht auf Rondo online 2002

© 2002, 2007 Hans-Jürgen Schaal


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