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Longtrack

Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.

Black Sabbath, Sleeping Village / Warning (1970)

Von Adrian Teufelhart

Mit diesem Album begann eine neue Zeitrechnung. Mit dem Geräusch von Regen, Donner, einer Totenglocke – und mit diesem elementaren Riff: Grundton, Oktave, Tritonus. „Black Sabbath“ hieß das Stück, das Album, die Band. Im Songtext ging es um den Teufel – das Image der Band stand schon mal fest. Dabei war die schauerliche Geräuschcollage von der Plattenfirma eingefügt worden, ohne Rücksprache mit den Musikern. Und der Bandname „Black Sabbath“ wurde erst bei der Aufnahme im Studio gewählt. Und sie waren auch keine Satansanbeter, sondern fürchteten den Teufel. Aber ganz egal: Das Album erschien an einem Freitag den Dreizehnten. Und das war die Geburtsstunde von Heavy Metal und seiner diversen Death-, Black-, Doom-, Stoner- und Goth-Ableger. So hart, massiv, abgründig, schmutzig, elementar und reduziert klang damals keine andere Band. Dass die Reduktion auch diversen technischen Handicaps geschuldet war, steht auf einem anderen Blatt.

Das längste Stück des Albums – und das längste, das Black Sabbath je im Studio aufgenommen haben –, ist eine Art Medley von ca. 14:15 Minuten Dauer. Lange Zeit war unklar, wo in diesem Medley welches Stück endet oder beginnt. Heute ist man sich einig: „Sleeping Village“ endet bei 3:45, dann beginnt „Warning“ (10:30). Das Ganze ist aber mehr als nur ein Medley, es ist ein Flickenteppich immer neuer Gitarrenriffs und wechselnder Tempi, eine Collage von Studio-Fragmenten. Die Band nahm ihr erstes Album nämlich ziemlich spontan in wenigen Stunden auf, selbst Ozzy Osbourne steuerte seinen Gesang in Echtzeit bei. Nur wenige Overdubs wurden gemacht. Man kann hören, dass dieses Medley zusammengestückelt wurde – eine ziemlich avantgardistische Form. Wer die Musik im Ohr hat, möchte aber keinen einzigen Ton geändert haben.

Schon das kurze „Sleeping Village“ hat mehrere Teile: den eigentlichen Song (eine etwas finstere Idylle mit unheimlichen Maultrommeltönen), dann (neues Tempo!) zwei Riffs in a-Moll mit zwei Gitarrenstimmen, dann (neues Tempo!) ein d-moll-Riff, dann (neues Tempo!) eine Gitarrenduo-Improvisation, dann (Tempo wie vorhin!) wieder das d-moll-Riff. Der Instrumentalteil – ab wo? – soll übrigens „A Bit Of Finger“ heißen.

Wieder in einem neuen Tempo beginnt dann der Blues-Song „Warning“, eine Coverversion, die sich eng ans Original der Aynsley Dunbar Retaliation von 1967 hält. Selbst der Aufbau des Songs entspricht zunächst dem Vorbild: zwei Gesangsstrophen, zwei Chorusse Gitarrensolo, dann die dritte Strophe. Ozzy singt mechanischer, gefasster als der etwas pathetische Victor Brox. Wo das Stück bei Dunbar zu Ende ist, beginnt nun aber ein sechsminütiger Instrumentalteil. Eine Gitarrenkadenz ohne feste Time (der Drummer spielt schön frei), dann ein stampfendes Riff mit nachfolgendem Gitarrensolo – und dann fast drei Minuten Tony Iommis Gitarre ganz ohne Begleitung. Solokadenz, Riff, Breaks, Arpeggio, Ritardando, viele Tempowechsel. Schließlich, ganz am Ende, gibt es eine Reprise: Ozzy singt noch einmal die dritte Strophe. Eine instrumentale Coda folgt auch noch. Wow.

Erschienen in: Fidelity 45 (2019)
© 2019, 2024 Hans-Jürgen Schaal


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